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Tourismusdestinationen: SECO und Kantone unterstützen bei der Neuausrichtung von Angeboten

Für viele Tourismusdestinationen ist das Wintergeschäft überlebenswichtig. Aufgrund des Klimawandels ist jedoch selbst mit technischer Beschneiung vielerorts mit kürzeren Wintersaisons zu rechnen. Eine Reihe von aktuellen Projekten, unterstützt vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) im Rahmen der Förderinstrumente Neue Regionalpolitik (NRP), Interreg und Innotour, begleiten Destinationen bei der Anpassung an den Klimawandel.

Ein weisses Band umgeben von grün-braunen Wiesen. An diesen Anblick mussten sich viele Skigebiete in den letzten Jahren gewöhnen.Die Anzahl Schneetage hat sich seit 1970 unterhalb von 800 m halbiert und auf 2000 m um 20 % reduziert. Das ist die ernüchternde Bilanz der bisherigen Auswirkungen des Klimawandels auf die Schneebedeckung in der Schweiz. Gemäss den Klimaszenarien von MeteoSchweiz wird diese Entwicklung auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weitergehen. Insbesondere für Skigebiete unterhalb von rund 1500 m (Seilbahnen Schweiz, 2024) dürfte es zunehmend schwierig werden, einen rentablen Skibetrieb aufrecht zu erhalten. Dies nicht nur aufgrund der steigenden Schneefallgrenze, sondern auch aufgrund der Abnahme der Anzahl Tage, die kalt genug für die technische Beschneiung sind. So hat sich beispielsweise in Engelberg auf 1037 m die Anzahl Eistage, an denen die Maximaltemperatur unter 0° C liegt, seit 1970 fast halbiert – von ca. 40 Tagen auf knapp über 20 Tage (MeteoSchweiz, 2024). Zu den klimatischen Veränderungen hinzu kommt auch die zunehmende internationale Konkurrenz sowie die demografische Entwicklung. Insgesamt hat dies zu einer schweizweiten Abnahme der Eintritte in Skigebiete (Skier-days) von über 30 % seit Anfang der 1990er Jahre geführt (Seilbahnen Schweiz, 2024c).Die im Folgenden vorgestellten Projekte zeigen Prozesse und Lösungsansätze auf, wie Tourismusdestinationen mit Schneemangel umgehen können und welche Chancen und Risiken es dabei gibt.

Innotour-Projekt «Kompass Schnee»: Schneesicherheit im sich erwärmenden Klima

Seilbahnen Schweiz hat zusammen mit dem Verein Schweizer Tourismusmanagerinnen und Tourismusmanager und Schweiz Tourismus das Projekt «Kompass Schnee» lanciert. Das Projekt wird gefördert durch Innotour und hat zum Ziel, Tourismusdestinationen im Umgang mit den sich verändernden Schneebedingungen zu unterstützen. Basierend auf aktuellen Klimadaten und -projektionen und in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich und dem Institut für Schnee und Lawinenforschung (SLF), entwickelt das Projekt ein Werkzeug für Wintersportregionen der Schweiz, um ihre aktuelle und zukünftige Schneesicherheit einzuschätzen und Massnahmen abzuleiten. Dazu gehören Optimierungen des Wintersportangebots beispielsweise durch technische Beschneiung und Veränderung der Saisondauer aber auch vermehrtes Setzen auf schneeunabhängige Angebote wie Kultur und Gastronomie. Ein Factsheet zu den Klimaszenarien für den Winter 2050 ist bereits verfügbar (Seilbahnen Schweiz, 2024). Das Projekt Kompass Schnee läuft von 2024–2026 und im Sommer 2025 sind weitere öffentliche Resultate zu erwarten (Seilbahnen Schweiz, 2024b).

Interreg-Projekt «Beyond Snow»: Weg vom reinen Wintertourismus

Viele Wintersportgebiete, die unterhalb von ca. 1500 m liegen, werden sich strategisch neu orientieren müssen, um unabhängiger vom klassischen Wintersportgeschäft zu werden. Das Interreg-Projekt «BeyondSnow» (2022–2025), finanziert im Rahmen der Neuen Regionalpolitik (NRP), unterstützt neun Wintertourismusdestinationen in sechs Alpenländern, die stark vom Schneemangel betroffen sind, bei diesem Wandel. Aus der Schweiz ist Sattel-Hochstuckli im Kanton Schwyz als Pilotdestination mit dabei. Dort mussten 2023 aufgrund der schwierigen finanziellen Situation zwei von drei Schleppliften geschlossen werden. «Das ist natürlich eine sehr emotionale Geschichte» sagt Peter Niederer, Vizedirektor bei der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB), welche das Projekt mitinitiiert hat. «Sattel-Hochstuckli ist eines der ältesten Skigebiete in den Voralpen und das Skifahren fester Teil der Tradition.» Lokale Akteure der Destinationen werden bei «BeyondSnow» konsequent eingebunden. So wurden in Sattel-Hochstuckli mit der lokalen Bevölkerung 22 Massnahmen erarbeitet, welche die Destination zukunftsfähig machen sollen. Im Fokus stehen dabei der Ganzjahrestourismus, Investitionen in Events und Kooperationen, sowie die Reduktion von Fixkosten. Gleichzeitig soll die Skiinfrastruktur trotzdem flexibel einsetzbar sein, wenn es die Schneebedingungen erlauben. Die teilnehmenden Skigebiete profitieren auch von einem Erfahrungsaustausch untereinander. So überlegt man in Sattel-Hochstuckli, einen Ultra Trail Event auf die Beine zu stellen, inspiriert von Métabrief (FR), einer anderen Destination, die bei «BeyondSnow» mit dabei ist. In Zukunft soll zudem ein öffentlich zugängliches, digitales Entscheidungswerkzeug entwickelt werden, welches auch anderen Tourismusdestinationen helfen soll, sich durch Neuausrichtung und Diversifikation proaktiv der veränderten Schneesituation anzupassen (SAB, 2024).

Eine Serie schneearmer Winter machte eine Neuorientierung unumgänglich, Destination Sattel-Hochstuckli im Februar 2023 (Foto Thomas Egger, SAB)

Interreg-Projekt: «TransStat»: Nachhaltiger Skitourismus für die Alpen von Morgen

Ein ähnliches Ziel wie «Beyond Snow» verfolgt das Interreg-Projekt «TransStat» (2022–2025), das mit neun alpinen Skidestinationen in fünf Ländern zusammenarbeitet. Mit diesen Destinationen wird ein Vorgehen erprobt, um gemeinsam mit lokalen Akteurinnen und Akteuren wünschenswerte Zukunftsszenarien für einen nachhaltigen und zukunftsfähigen (Ski-)Tourismus zu entwickeln. Diese sollen als Grundlage für den Übergangsprozess der Skidestinationen dienen. Zu diesem Zweck entwickelt TranStat ein physisches und digitales Netzwerk von Orten im Wandel, um Wissen und Erfahrungen über die Zukunft auszutauschen. Ein weiteres Ziel ist es, politische Empfehlungen sowohl für den gesamten Alpenraum als auch für regionale Kontexte zu entwerfen.

Innotour-Projekt «Klimafitte Destinationen»: Ein ganzheitlicher Ansatz ist gefragt

Destinationen im Berggebiet sind von vielen weiteren Veränderungen durch den Klimawandel betroffen. Das Projekt «Klimafitte Destinationen» (2024–2026), unter der Trägerschaft von Graubünden Ferien und gefördert von Innotour, setzt daher auf eine ganzheitliche Betrachtung. «Wir möchten, dass unsere Destinationen die Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel proaktiv angehen und sich so zukunftsfähig aufstellen», sagt Martina Hollenstein Stadler, Leiterin Nachhaltigkeit Graubünden Ferien. «Dabei geht es nicht nur um das allgegenwärtige Thema Schnee, sondern auch um weitere Chancen und Risiken, die der Klimawandel mit sich bringt». So werden die Sommer in den Städten und Agglomerationen des Mittellandes zunehmend heisser, weshalb Bergdestinationen vermehrt Gäste erwarten dürften, die Erholung von der Hitze suchen (Serquet & Rebetez, 2011).  Jedoch ist durch intensiver werdende Starkniederschlagsereignisse auch vermehrt mit Überschwemmung und Murgängen zu rechnen. Das Projekt soll helfen, sicherzustellen, dass die teilnehmenden Destinationen ihr touristisches Geschäftsmodell so weiterentwickeln, dass es langfristig tragbar ist. » Für die drei teilnehmenden Pilotdestinationen im Kanton Graubünden (Lenzerheide, Engadin Samnaun Val Müstair und vorderes Prättigau) wurde analysiert, wie sie vom Klimawandel betroffen sind und welche prioritären Chancen und Risiken sich bieten. Gemäss Hollenstein hat das Projektteam mit den Destinationen eine «Roadmap Klimafitness» erarbeitet und wird die erste Umsetzungsphase begleiten. Martina Hollenstein betont: «Klimafit werden ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Daher sehen wir unsere Rolle darin, einen Prozess anzustossen der weit über das Ende der Innotour-Förderung hinaus geht.» Zentral für den längerfristigen Erfolg einer Destination dürfte auch sein, wie gut sie die sich bietenden Chancen nutzen kann.

Workshopteilnehmende in der Destination Engadin Samnaun Val Müstair identifizieren Angebote und Infrastrukturen, welche vom Klimawandel betroffen sind (Foto: Raphael Portmann)

Neue Regionalpolitik (NRP) unterstützt Projekte zur touristischen Neuausrichtung

Der Wandel kann auch eine Chance sein: Die Neue Regionalpolitik (NRP), welche von Bund und Kantonen gemeinsam finanziert wird, bietet Destinationen und Betrieben eine Vielzahl von Möglichkeiten, diese Chancen zu nutzen. Gefördert werden beispielsweise Machbarkeitsstudien für Projekte zur touristischen Neuausrichtung, wie für die Fideriser Heuberge im Prättigau. Auch die strategische Neuausrichtung von Bergbahnen, etwa der Wiriehornbahnen AG, kann durch die NRP unterstützt werden. Darüber hinaus stellt die NRP Mittel für die Planung konkreter Massnahmen zum Ausbau des Sommertourismus bereit, wie das Mountainbikeangebot der Destination Engelberg-Titlis, oder für ganzheitliche Tourismusstrategien, etwa in Kandersteg.

Der Klimawandel stellt den Tourismus in der Schweiz vor grosse Herausforderungen. Durch die beschriebenen Projekte, von welchen einige auch im neusten Insight, dem Innotour-Magazin, vorgestellt werden, unterstützt das SECO den Tourismussektor dabei, diese zu meistern. Neben der Projektförderung hat auch die Tourismuspolitik des SECO das Ziel, die Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen, beispielsweise durch Wissensaufbau und -transfer im Rahmen des «Tourismus Forum Schweiz».

Innotour fördert die Innovation, Zusammenarbeit und den Wissensaufbau im Schweizer Tourismus. Innotour konzentriert die Förderung auf nationaler Ebene. Dies bedeutet, dass die Mehrheit der Mittel für Vorhaben mit nationaler Ausrichtung und für nationale Koordinationsaufgaben eingesetzt wird. Mit dem Instrument der Modellvorhaben werden jedoch auch regionale und lokale Vorhaben gefördert.

Interreg bietet die Möglichkeit für konkrete Projekte zur Weiterentwicklung der Regionen über Landesgrenzen hinweg. Die EU, die Nachbarländer, die Kantone, der Bund und Private finanzieren die Zusammenarbeit in zahlreichen Bereichen. Die Schweizer Teilnahme wird im Rahmen der Neuen Regionalpolitik (NRP) finanziert. Die Bundesmittel stammen aus dem Fonds für Regionalentwicklung und sind für Projekte einzusetzen, die zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Regionen beitragen. Die Kantone können ihre Äquivalenzmittel hingegen auch in Projekte investieren, die nicht direkt der Erhöhung der Wertschöpfung oder der Entwicklung der regionalen Wirtschaft dienen.

Mit der Neuen Regionalpolitik (NRP) unterstützen Bund und Kantone das Berggebiet, den weiteren ländlichen Raum und die Grenzregionen in ihrer regionalwirtschaftlichen Entwicklung. Die NRP ist 2024 in ihre dritte achtjährige Mehrjahresperiode (2024–2031) gestartet. Die bisherigen thematischen Förderschwerpunkte «Industrie» und «Tourismus» werden weitergeführt. Neu können Kleininfrastrukturen unter bestimmten Voraussetzungen mit A-fonds-perdu-Beiträgen unterstützt werden. Als Querschnittsthemen erhalten neben der «lokalen Wirtschaft», welche die Exportorientierung der NRP ergänzt, die nachhaltige Entwicklung und die Digitalisierung besonderes Gewicht.

Links und Quellen

MeteoSchweiz, 2024. Klimaindikatoren.

NCCS, National Centre for Climate Services, 2024. CH2018 – Klimaszenarien für die Schweiz.

Schweiz Tourismus, 2024, Winter und Klimawandel.

Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB), 2024. Projekt Beyond Snow.

Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, 2024, Innotour – Geförderte Projekte.

Graubünden Ferien, 2024.  Projekt Klimafitte Destinationen, letzter Zugriff: 15.12.2024.

SRF News, Schweizer Radio und Fernsehen, 2024. Tourismus im Misox: Auf die Flut folgen die Annullationen, letzter Zugriff: 10.01.2025.

Seilbahnen Schweiz, 2024. Factsheet Klimaszenarien Winter 2050 für die Schweiz, letzter Zugriff: 10.01.2025.

Seilbahnen Schweiz, 2024b, Fragen und Antworten zum Wintertourismus im Klimawandel, letzter Zugriff: 10.01.2025.

Seilbahnen Schweiz, 2024c. Saisonbilanz 2023/24. Frequentierung der Skigebiete, letzter Zugriff 21.01.2025

Interreg Alpine Space, 2024. TransStat – Transitions to Sustainable Ski Tourism in the Alps of Tomorrow, letzter Zugriff: 21.01.2025.

Kämpf, Richard, 2024. Proaktiver Umgang mit dem Klimawandel. EventEmotion, letzter Zugriff 21.01.2025.

Wissenschaftliche Literatur

Serquet, G., Rebetez, M. Relationship between tourism demand in the Swiss Alps and hot summer air temperatures associated with climate change. Climatic Change 108, 291–300 (2011). https://doi.org/10.1007/s10584-010-0012-6

RiCoNET – das Wallis und das Piemont denken Raumnutzung neu

In vielen Regionen stehen Räume und Gebäude leer oder werden nur sehr limitiert genutzt. Das Interreg-Projekt «Räumliche Regeneration und Kooperation für die grenzüberschreitende Governance» (RiCoNET) hat sich zum Ziel gesetzt, das Potenzial solcher unterbenutzten Räumlichkeiten zu analysieren und herauszufinden, wie es voll ausgeschöpft werden kann. Die schweizerisch-italienische Zusammenarbeit geht die Raumneunutzung gemeinsam an und gibt Impulse für andere Regionen.

Im Interview gibt Cristina Saviozzi, Co-Projektleiterin auf Schweizer Seite und Forscherin am Institut für Tourismus der HES-SO in Sion, Einblicke in die Herausforderungen und Erfolge des Projekts und erklärt, wieso das Neudenken von Räumen und Gebäuden uns in der Zukunft immer mehr beschäftigen wird.

Frau Saviozzi, welche Ziele verfolgten Sie mit dem Projekt RiCoNET?

RiCoNET setzte sich mit der Revitalisierung unterbenutzter Räumlichkeiten in den schweizerisch-italienischen Grenzgebieten im Wallis und im Piemont auseinander. Dafür haben wir verglichen, welche Methoden in beiden Ländern zur Anwendung kommen. Ausserdem haben wir Workshops und Schulungen zur Thematik angeboten.

Wer war daran beteiligt?

Das Projekt wurde auf Schweizer Seite von der HES-SO und auf italienischer Seite von der Universität Ostpiemont geleitet. Es fand in enger Zusammenarbeit mit der italienischen Stadt Biella und mit den Walliser Gemeinden Riddes und Isérables statt. Die Schweizer Projektpartner wurden über Interreg-Mittel der Neuen Regionalpolitik unterstützt, die italienischen Partner über Interreg-Gelder der EU. Ohne diese Unterstützung wäre ein Projekt dieser Grösse nie zustande gekommen

RiCoNET wurde offiziell 2023 abgeschlossen. Ist das Projekt heute trotzdem noch relevant?

Unbedingt! Unterbenutzte Räumlichkeiten gibt es überall. Biella ist eine Stadt, Riddes und Isérables sind kleine Berggemeinden und doch verbindet die Thematik alle drei. Mit dem gesellschaftlichen Wandel ändern sich die Bedürfnisse in den Regionen und immer mehr Räumlichkeiten verlieren ihren ursprünglichen Nutzen.

Das zeigte zum Beispiel unser Workshop in Isérables: Die traditionellen Agrarpraktiken in Berggebieten haben sich – nicht zuletzt durch den Klimawandel – verändert und viele der Getreidespeicher stehen heute leer. Im Workshop haben wir Ideen dafür entwickelt, wie sie ihren Gemeinden trotzdem einen Mehrwert bieten können – als Kulturstätten, Tourismusattraktionen oder als Mehrzweckräume.

Auf unserer Webseite stellen wir auch weiterhin die Ressourcen zur Verfügung, die wir an unseren Workshops erarbeitet und an unseren Schulungen geteilt haben. RiCoNET ist in diesem Sinne weiterhin aktiv und relevant.

Können Sie die Massnahmen, die im Rahmen von RiCoNET stattgefunden haben, genauer beschreiben?

Wir haben mit den Studierenden beider Hochschulen Workshops durchgeführt, an denen wir unterbenutzte Räumlichkeiten in den Partnergemeinden besuchten und Neunutzungsmöglichkeiten dafür andachten. Für ein leerstehendes Industriegebäude in Biella entwickelten wir zum Beispiel einen Ansatz, wie es neu für kulturelle Anlässe und für öffentliche Zusammenkünfte verwendet werden könnte. Ausserdem haben wir das «Living Lab RiCoNET» ins Leben gerufen – eine Wissens- und Austauschplattform für Methoden und Ideen zur Umfunktionierung ungenutzter Räumlichkeiten.

An wen richtet sich die Wissens- und Austauschplattform?

Living Lab RiCoNET ermöglicht den Austausch zwischen verschiedenen Zielgruppen. Bürgerinnen und Bürger können untergenutzte Räume identifizieren und Ideen für deren Neunutzung vorschlagen.

Die Plattform richtet sich auch an die öffentliche Verwaltung, indem ihr Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, mit denen sie die vorübergehende Neunutzung ungenutzter Räumlichkeiten angehen kann.

Schliesslich begrüsst die Plattform auch Fachleute aus der Stadtplanung und Architektur, die auf Grundlage der Diskussionen im Living Lab Ideen austauschen und Erneuerungsprojekte in Betracht ziehen können.

Sie haben erwähnt, dass es sich bei RiCoNET um eine Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Italien handelt. Wie hat sich die Zusammenarbeit gestaltet?

Die Thematik beschäftigt beide Länder. Durch die enge Zusammenarbeit konnten wir unser Wissen austauschen und vereinen. Wir konnten Wirtschaftsstudierende aus Italien und Tourismusstudierende aus der Schweiz für Diskussionsrunden zusammenbringen. Da unsere drei Partnergemeinden sich geografisch und demografisch stark unterscheiden, konnten wir die Raumentwicklung in einem breiten Spektrum andenken.

Was war besonders schwierig?

Covid hat uns dazu gezwungen, Schulungen online statt vor Ort abzuhalten. Wir mussten uns ausserdem intensiv mit den Rechtstexten beider Länder auseinandersetzen, da es keine nationalen oder internationalen Gesetze zur temporellen Umfunktionierung von Räumlichkeiten gibt, sondern nur Verordnungen auf Gemeindeniveau.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Auf die drei Toolkits, die aus unseren Workshops entstanden sind und die wir der öffentlichen Verwaltung und anderen Interessentinnen und Interessenten zur Verfügung stellen! Sie sind das greifbare Resultat unserer Arbeit. Auf einem abstrakteren Niveau die Tatsache, dass wir Studierende aus zwei Ländern mit unterschiedlichen Studiengängen zusammenbringen konnten. Von diesem Austausch haben wir alle profitiert. Nicht zuletzt arbeiten wir bereits an einem neuen Projekt. Es beschäftigt sich ebenfalls mit der Umfunktionierung von leerstehenden Räumlichkeiten zu Multifunktionsflächen, von denen Gemeinden profitieren können.

Weitere Informationen zu RiCoNET

Fotos: RiCoNET

AlpFoodway

«regioS 15» berichtete über das Projekt «AlpFoodway», das sich seit 2016 alpiner Esskultur in sechs Alpenländern widmet. Es soll die Grundlage bereitstellen, um Teil des immateriellen Kulturerbes der UNESCO zu werden.

Mit Carpooling die Regionen erschliessen

Patricia Michaud

«Interreg Alpine Space», das Interreg-Programm zur Stärkung des Alpenraums, strebte mit dem Projekt «MELINDA» (Mobility Ecosystem for Low-carbon and INnovative moDAl shift in the Alps) an, das Potenzial der Datenerhebung und -auswertung besser zu nutzen, um die Entwicklung einer umweltfreundlicheren und nachhaltigeren Mobilität in Städten und ländlichen Gebieten zu fördern. Das Projekt wurde 2018 gestartet und 2021 abgeschlossen. Auf Schweizer Seite verantwortlich war die Hochschule Luzern (HSLU). Sie führte unter Leitung von Timo Ohnmacht zwei Pilotprojekte durch, die sich auf Fahrgemeinschaften (Carpooling) konzentrierten. Deren Ziel war es, Modelle zu testen, die die Erreichbarkeit ländlicher Gebiete verbessern und gleichzeitig die Abhängigkeit der lokalen Bevölkerung vom motorisierten Individualverkehr verringern könnten.

«Taxito» wurde zwischen Chur und Maladers (GR) entwickelt. Schilder an strategischen Punkten zeigen Haltestellen an, an denen Autofahrerinnen und Autofahrer Mitreisende abholen können, die sich zuvor per SMS für eine Mitfahrmöglichkeit interessiert haben.

«HitchHike», bereits bestehend seit 2011, startete im Naturpark Thal (SO) eine erste öffentliche Plattform für Mitfahrgemeinschaften. Sie verbindet Personen, die regelmässig ähnliche Strecken zurücklegen, zu Fahrgemeinschaften.

Gemäss Timo Ohnmacht, an der HSLU für «MELINDA» zuständig, wollte der Schweizer Teil des Programms «die Gleichung ‹soziale Teilhabe in ländlichen Gebieten = Privatfahrzeug› auflösen». Allerdings zeigte sich, dass die Zahl der «Taxito»- und «HitchHike»-Nutzerinnen und -Nutzer bei weitem nicht ausreicht, die CO2-Emissionen wesentlich zu reduzieren. Denn: «Es reicht nicht, einfach nur neue Tools einzuführen und die Bevölkerung zu informieren; parallel dazu braucht es Good-Governance-Regeln, um die Attraktivität von Privatfahrzeugen einzuschränken.» Dennoch erfreuen sich die Angebote wachsenden Zuspruchs. «Taxito» gibt es inzwischen in 6 Regionen mit 38 Haltestellen und «HitchHike» expandierte im vergangenen Jahr ins europäische Ausland.

alpine-space.eu/project/melinda

regiosuisse.ch/projects-nrp

taxito.ch

hitchhike.ch

Hier finden Sie die Langversion in Französisch.

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Digitaler Wegweiser zu den Standortförderangeboten

Die Standortförderung des Bundes unterstützt den Wirtschaftsstandort Schweiz mit einer breiten Palette von Unterstützungs- und Förderangeboten für Unternehmen und andere Organisationen. Nutzerinnen und Nutzer dieser Angebote standen bisher vor der Herausforderung, die für sie passende Lösung rasch zu finden. Der «Standortförderguide», ein neues, interaktives Beratungstool, soll dies nun erleichtern: Mit wenigen Klicks gelangen Nutzerinnen und Nutzer zu den relevanten Angeboten. Der «Standortförderguide» ergänzt als digitaler Wegweiser die bestehenden Rubriken der SECO-Website. Die aktuelle Palette umfasst 16 Förderinstrumente mit rund 50 Angeboten.

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Nachhaltige Mobilität in den Regionen

Pirmin Schilliger & Urs Steiger
Die Mobilität spielt für die regionale Entwicklung unbestritten eine wichtige Rolle. Die Erreichbarkeit der Räume ist in unserer arbeitsteiligen Wirtschaft – ob für urbane oder ländliche Gebiete – ein entscheidender Standortfaktor.
© regiosuisse

Mit den Strategischen Entwicklungsprogrammen (STEP) für die Nationalstrassen und die Bahn und den entsprechenden Finanzierungsfonds sorgt die Verkehrspolitik für die grundlegende Infrastruktur, fördert aber auch die Entwicklung nachhaltiger Verkehrs- und Mobilitätslösungen. Letztere unterstützen aber auch eine Reihe von Förderprogrammen wie das Programm Agglomerationsverkehr (PAV), die Neue Regionalpolitik (NRP), Interreg, die Modellvorhaben Nachhaltige Raumentwicklung (MoVo), Innotour oder die Koordinationsstelle für nachhaltige Mobilität (KOMO). regioS skizziert nachfolgend die Herausforderungen bei der Entwicklung zukunftsträchtiger Verkehrs- und Mobilitätslösungen und zeigt das Spektrum von Förderinstrumenten auf, das vor allem regionalen Akteurinnen und Akteure zur Verfügung steht.

Ein leistungsfähiges und leicht zugängliches Verkehrssystem ist in der global vernetzten Gesellschaft unbestritten ein entscheidender Standortvorteil und ein Wettbewerbsfaktor. Ohne effiziente Verkehrserschliessung verlieren Regionen schnell den Anschluss an die Zentren. Mit dem politischen Bekenntnis zur dezentralen Besiedlung gemäss Raumplanungsgesetz (RPG) geniesst die Erschliessung der Regionen einen besonderen politischen und sozialen Stellenwert, der über alle gesellschaftlichen und kulturellen Gräben hinweg zum Zusammenhalt des Landes beiträgt. Laut dem «Sachplan Verkehr», der Mobilitätsstrategie des Bundesrats, sollen sich alle Regionen «angemessen weiterentwickeln».

Eine chancengleiche Mobilität ist in der Schweiz nicht einfach ein Lippenbekenntnis, sondern ein nationales Anliegen – ob in den Kernstädten, Agglomerationen, ländlichen Räumen des Mittellandes oder in den Berggebieten. «Nicht zufällig verfügt die Schweiz heute über eines der dichtesten Verkehrsnetze der Welt mit etwa 83 300 Kilometern Strassen und Eisenbahnlinien von 5200 Kilometern», sagt Nicole A. Mathys, Chefin der Sektion Grundlagen des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE). Landesweit finden sich kaum Orte, die nicht auch durch den öffentlichen Verkehr (ÖV) erschlossen sind. Selbst nach Juf GR, der höchstgelegenen Siedlung Europas mit rund dreissig Einwohnerinnen und Einwohnern, fährt täglich das Postauto mindestens im Zweistundentakt.

Von diesen umfassenden Angeboten macht die Schweizer Bevölkerung regen Gebrauch: Acht von zehn beschäftigten Personen pendeln zur Arbeit, wobei sie im Schnitt insgesamt rund eine Stunde pro Arbeitstag unterwegs sind. Noch wichtiger ist der Freizeitverkehr, der laut dem «Mikrozensus Mobilität und Verkehr» (MZMV) für annähernd die Hälfte (44 %) aller zurückgelegten Tagesdistanzen verantwortlich ist. Ob beruflich oder zum Freizeitvergnügen – Mobilität ist für die moderne Gesellschaft in jedem Fall selbstverständlich. Doch die Strassen, Schienen, Wege und Transportmittel von heute sind nicht einfach so aus dem Boden gesprossen, sondern über Jahrzehnte entstanden. Sie sind das Resultat unzähliger Bemühungen im Spannungsfeld von Raum, Technik, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik.

Die Aufgabe ist äusserst komplex

Den Verkehr und die Mobilität weiterzuentwickeln und in zukunftsfähige Bahnen zu lenken, ist eine komplexe Aufgabe. Die «Verkehrsperspektiven 2050» (VP 2050) des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) basieren auf mindestens sieben entscheidenden Trends, rund drei Dutzend wesentlichen Einflussfaktoren und über hundert sogenannten Stellgrössen. «Logischerweise sind in die Gestaltung von Verkehrs- und Mobilitätslösungen viele Akteurinnen und Akteure des Bundes, der Kantone, Regionen und Gemeinden eingebunden», so Nicole A. Mathys. Dies erfordert Fachwissen in unterschiedlichen Bereichen wie Verkehr, Raumentwicklung, Umwelt, Wohnungswesen und Energie. Auf nationaler Ebene ist das UVEK für den Verkehr zuständig. In der Pflicht stehen aber auch die Kantone und Gemeinden, vor allem beim Bau und Unterhalt von Kantons- und Gemeindestrassen, beim öffentlichen Nah- und Regionalverkehr sowie beim Ausbau des Langsamverkehrs. Alle diese Beteiligten sind gefordert, bei der Entwicklung einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Mobilität sämtliche Interessen von Gesellschaft und Wirtschaft mit Rücksicht auf die Siedlungsentwicklung und die Umwelt möglichst harmonisch aufeinander abzustimmen.

In welche Richtung sich Mobilität und Verkehr bis zum Jahr 2050 in der Schweiz bewegen könnten, skizzieren die VP 2050 mittels verschiedener Szenarien (siehe Kasten). Klar scheint: Der Verkehr insgesamt wird weiter zunehmen, jedoch langsamer als die Bevölkerung. Bereits heute sind die Auslastungsgrenzen verschiedenenorts erreicht. Gemäss dem «Sachplan Verkehr» müssen daher die Transportkapazitäten für Personen und Waren künftig effizienter genutzt und punktuell ausgebaut werden. Darüber hinaus sind über sämtliche Verkehrssysteme hinweg energetische Verbesserungen erforderlich, um die Treibhausgasemissionen im Kampf gegen den Klimawandel bis 2050 auf netto null zu senken. Dies kann nur mittels eines Transformationsprozesses gelingen. «Die Mobilitätsangebote der Zukunft müssen nachhaltiger, transparenter, flexibler, vernetzter, komfortabler, bedienerfreundlicher und eben CO2-neutral werden», betont Nicole A. Mathys. Ausserdem muss der motorisierte Individualverkehr (MIV) reduziert und der öffentliche Verkehr (ÖV) weiter ausgebaut werden.

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Mehr und bessere Mobilität – mit weniger Verkehr

Fördermöglichkeiten im Bereich nachhaltige Mobilität gibt es in der Schweiz viele, wie der Querschnitt durch die Förderprogramme belegt. Im Mittelpunkt stehen auf regionaler Ebene nicht grosse Infrastrukturvorhaben wie der A1 Rosenbergtunnel in St.Gallen, der Ausbau der Jurasüdfuss-Strecke der Bahn oder die Beschaffung neuer Transportmittel; dafür ist primär der Bund im Rahmen der Verkehrspolitik zuständig. Die regionalen Förderbemühungen unterstützen vor allem neue Mobilitätslösungen und Dienstleistungsangebote zur Optimierung der bestehenden Systeme. Sie betreffen den Berufs- oder Pendler- genauso wie den Freizeit- und Tourismusverkehr. «Es sind Initiativen zur Verkehrsreduktion und zu Verhaltensänderungen notwendig, und zwar zugunsten von mehr Velo- und Fusswegen sowie des Umstiegs auf den ÖV», erklärt Nicole A. Mathys. Hinzu kommen raumplanerische Massnahmen, die die Aufenthaltsqualität und Attraktivität der Siedlungsgebiete erhöhen und so der Bevölkerung ermöglichen, ihre Lebensbedürfnisse grösstenteils im nächsten Umfeld abzudecken. Die mit zunehmendem Wohlstand trotz allem weiterwachsenden Mobilitätsbedürfnisse sollen nicht nur effizienter und besser, sondern auch sauberer und umweltschonender gedeckt werden.

Die grösste planerische Herausforderung ist, die Interessen aller Beteiligten aufeinander abzustimmen und mit vereinten Kräften auf eine kohärente Entwicklung hinzuarbeiten. Ergänzend zur übergeordneten Verkehrsplanung des Bundes über den «Sachplan Verkehr», die Entwicklungsinstrumente STEP-Nationalstrassen, STEP-Bahn und die Agglomerationsprogramme, finanziert über den Bahninfrastrukturfonds (BIF) und den Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF) verfügen alle Kantone über ihre eigenen Mobilitätsstrategien, Richtpläne und Planungsinstrumente. Luzern beispielsweise stützt sich in der Umsetzung auf das Bauprogramm für die Kantonsstrassen, den ÖV-Bericht sowie die kantonale Veloplanung. Alle diese Instrumente sollen nun in einem neuen «Programm Gesamtmobilität» zusammengeführt werden, damit der Kanton mit den Regionen und Gemeinden koordiniert handeln kann. «Über alle erwähnten Gremien und Ebenen hinweg zeichnet sich ein inhaltlicher Konsens zu einer zukunftsfähigen Mobilitätsplanung ab, der da lautet: ‹Verkehr vermeiden, Verkehr verlagern, Verkehr verträglich abwickeln und vernetzen›», stellt Nicole A. Mathys fest.

Unterschiedliche Prioritäten

In der Umsetzung werden je nach Region und Art des Verkehrs andere Prioritäten gesetzt: In Städten und Agglomerationen bleiben Massnahmen zur Bekämpfung von Verkehrsspitzen und Stauzeiten ein zentrales Anliegen. In vielen Gemeinden des Mittellandes, ob Niederbipp BE, Obergösgen SO oder Winznau SO, sind hingegen der Pendlerverkehr und die Siedlungsplanung die grössten Herausforderungen. Die drei Ortschaften stehen laut einer Analyse von Pricehubble, einem auf Immobiliendaten spezialisierten Unternehmen, für eine vielerorts in der Schweiz zu beobachtende Entwicklung: Obwohl mitten auf dem Land gelegen, werden sie dank relativ «günstiger Häuser» und der Pendlernähe zu Zürich (maximal eine Stunde Fahrzeit) mehr und mehr zu Pendlergemeinden. Noch günstiger lässt es sich in Basel arbeiten und im Jura wohnen, etwa in Haute-Sorne, Moutier oder Develier. Eine ähnliche Mobilitäts- und Siedlungsdynamik hat auch die Einzugsgebiete gewisser inneralpiner Zentren wie Visp oder St. Moritz erfasst. In der Hauptsaison sehen sich die grossen alpinen Tourismusdestinationen zudem mit ähnlichen Problemen konfrontiert wie die Agglomerationen und Städte: mit Stau und überfüllten Parkplätzen. In den peripheren Berggebieten und abgelegenen Seitentälern wiederum ist die Herausforderung nochmals ganz anders: Sie kämpfen gegen die Abwanderung und um den Erhalt des ÖV-Anschlusses.

Nicht absehbar ist zum heutigen Zeitpunkt, welche künftigen politischen Weichenstellungen die Transformation der Mobilität in Richtung Nachhaltigkeit weiter beschleunigen werden. Der grösste Hebel ist zweifellos der Strassenverkehr, auf den derzeit rund ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs entfällt. Der Motorisierungsgrad der Schweiz ist mit rund 550 Autos auf 1000 Einwohnerinnen und Einwohner hoch, die Energieeffizienz ausgesprochen schlecht. Hauptsächlich dafür verantwortlich sind die vielen PS-starken Fahrzeuge, in denen meistens nur eine Person sitzt. Die durchschnittlichen CO2-Emissionen von Neuwagen in der Schweiz gehören heute zu den höchsten in Europa. «Wir kommen nicht darum herum, den Strassenverkehr energieeffizienter und klimaschonender zu machen», ist Nicole A. Mathys überzeugt. Der Bund möchte mit der «Roadmap Elektromobilität» in einer ersten Etappe erreichen, dass bis 2025 rund die Hälfte der neu zugelassenen Autos mit Elektro- oder Hybridantrieb ausgerüstet sind. Ein weiteres, weitgehend unausgeschöpftes Potenzial ist das datenbasierte Verkehrsmanagement für eine effizientere Nutzung der Verkehrsmittel und -infrastrukturen. 

«Im Bereich des motorisierten Individualverkehrs (MIV), auf den derzeit 70 % der externen Kosten des Verkehrs oder jährlich rund 14 Milliarden Franken entfallen, liegt noch viel Optimierungspotenzial», gibt Nicole A. Mathys zu bedenken. Mit der angestrebten Elektrifizierung der Schweizer Fahrzeugflotte ist allerdings bestenfalls ein Teil des Problems gelöst. Schliesslich stehen auch Elektrofahrzeuge im Stau, benötigen Strassenraum und Strom, der längst nicht immer sauber produziert ist.

Innovative Mobilitätslösungen fördern

Die zentralen Instrumente der Mobilitätsinfrastruktur sind die Strategischen Entwicklungsprogramme Nationalstrassen (STEP-NS) und Bahn (STEP Bahn). Die Finanzierung erfolgt über den der Bahninfrastrukturfonds (BIF) mit einem Volumen von 19,3 Milliarden Franken für die beiden Ausbauschritte bis 2025 beziehungsweise 2035 sowie der Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF) mit einem Volumen für die Nationalstrassen (STEP-NS) von 11,6 Milliarden Franken bis 2030 und für den Agglomerationsverkehr von bisher 7,18 Milliarden Franken (seit 2008) beziehungsweis rund 1,6 Milliarden Franken für die vierte Generation ab 2024. Diese Instrumente tragen auch wesentlich zur Erschliessung der Regionen bei. Sie unterstützen aber auch die Akteurinnen und Akteure dabei, den Prozess hin zu einer nachhaltigen Mobilität zu beschleunigen und die dazu erforderlichen innovativen Lösungen zu entwickeln.

Ergänzend zu den infrastrukturorientierten Instrumenten der Verkehrspolitik kommen Förderinstrumente und Programme, die diesen Prozess auf regionaler Ebene verfeinern und unterstützen. Diese regionalen, nachfolgend skizzierten Fördergefässe sind das eigentliche Thema dieser «regioS»-Ausgabe.

Programm Agglomerationsverkehr (PAV)

Über das PAV beteiligt sich der Bund an der Finanzierung von Verkehrsprojekten zur Verbesserung des Agglomerationsverkehrs. Die Schwerpunkte der Förderung liegen auf dem Kapazitätsausbau des ÖV, der Elektrifizierung der Verkehrsträger, der besseren Vernetzung über Verkehrsdrehscheiben sowie einer sicheren und attraktiven Fuss- und Veloverkehrsinfrastruktur. Bei MIV-Projekten spielen Verkehrs- und Quartierberuhigungsmassnahmen, Begegnungszonen und gezielte Zentrumsentlastungen eine entscheidende Rolle. Der Förderperimeter umfasst beitragsberechtigte Gemeinden, die in einer Trägerschaft organisiert sind, inklusive der inneralpinen Agglomerationsräume Chur, Davos, St. Moritz, Altdorf, Glarus, Oberwallis (Brig-Visp-Naters), Zentralwallis (Sitten) und Rhoneknie (Martigny) und Chablais (Monthey-Aigle-Bex) sowie der Interreg-Programmgebiete in den Grenzregionen.

Das PAV ist das finanzielle Schwergewicht unter den Förderprogrammen. In der Vernehmlassung zur vierten Programmperiode hat sich der Bund für die Finanzierung von 1,6 Milliarden Franken (37 % Mitfinanzierung) ausgesprochen. Kantone, Städte und Gemeinden steuern zusammen weitere 2,7 Milliarden Franken (63 %) bei. Das PAV entfaltet seine Wirkung primär in der urbanen Schweiz. Bei Mobilitätslösungen im Pendler- oder Freizeitverkehr strahlt das Programm jedoch weit in die ländlichen Räume und Berggebiete sowie ins grenznahe Ausland aus. Die PAV-Projekte verdeutlichen, dass sich die Wirkung von Verkehrsmassnahmen in der kleinräumigen Schweiz selten räumlich eingrenzen lässt.

➜ Projektbeispiele (der aktuellen Programmperiode):

© regiosuisse

Neue Regionalpolitik (NRP)

Die NRP unter der Leitung des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) und in Zusammenarbeit mit den Kantonen unterstützt innerhalb ihres Förderrahmens Verkehrs- und Mobilitätsprojekte, die konkret zur Wettbewerbsfähigkeit der Regionen – etwa im Tourismus – beitragen. An den NRP-Projekten beteiligen sich der Bund und die Kantone je zur Hälfte. Viele Mobilitätsprojekte werden im Rahmen einer Verkehrserschliessungspolitik angestossen, die Teil der jeweiligen regionalen Entwicklungsstrategie ist.

➜ Projektbeispiele:

Interreg-Programme

Ähnliche Ziele wie die NRP verfolgt Interreg, an dem die Schweiz via NRP in grenzüberschreitenden Räumen teilnimmt. Verkehrs- und Mobilitätsprojekte bilden dabei einen klaren Förderschwerpunkt, dies besonders in den immer stärker kooperierenden vier Grenzregionen Nordwestschweiz / Deutschland / Frankreich, Genf / Westschweiz / Frankreich, Bodenseeraum / Deutschland / Österreich und Tessin / Graubünden / Wallis / Italien.

➜ Projektbeispiele:

Attila Kartal in der Werkstatt von Rent a Bike in Willisau LU. Dienstleistungen stärken das Velo als Verkehrsmittel sowohl im Alltag als auch in der Freizeit. © regiosuisse

Modellvorhaben Nachhaltige Raumentwicklung (MoVo)

Mit den MoVo fördern acht Bundesstellen unter der Leitung des ARE neue Ansätze und Methoden zur nachhaltigen Raumentwicklung. Dazu gehören auch neue Mobilitätslösungen. In der laufenden, vierten Programmperiode (2020–2024) unterstützt der Bund insgesamt 31 Vorhaben mit rund 3,9 Millionen Franken. Davon befassen sich acht Projekte explizit mit Mobilität. Sie zielen hauptsächlich darauf ab, «kurze Wege, Bewegung und Begegnung» zu fördern.

➜ Aktuelle oder kürzlich abgeschlossene Projektbeispiele:

Innotour

Der Bund unterstützt die aktuelle Programmperiode 2020–2023 zur Förderung von Innovation, Zusammenarbeit und Wissensaufbau im Tourismus (Innotour) mit 30 Millionen Franken. Schwerpunkte des vom SECO koordinierten Programms liegen nebst neuen touristischen Dienstleistungen auf der Beherbergung, Verpflegung und der Gästebetreuung sowie dem Transport und Verkehr. Schliesslich entlasten nachhaltige touristische Mobilitätslösungen das Gesamtverkehrssystem Schweiz, in dem der Freizeitverkehr bekanntlich eine dominante Rolle spielt.

➜ Projektbeispiele:

Koordinationsstelle für nachhaltige Mobilität (KOMO)

Die KOMO ist beim Bundesamt für Energie angesiedelt. Sie unterstützt jährlich bis zu einem Dutzend Projekte für zukunftsfähige Mobilitätslösungen. Die finanziellen Mittel stammen aus dem Programm «EnergieSchweiz». KOMO-Projekte werden von den Bundesämtern ARE, Astra, BAV, BAFU und BAG mitfinanziert. Im Mittelpunkt der Förderung stehen Lösungen für umwelt-, ressourcenschonende und gesunde Fortbewegungsarten. Das Spektrum der Projekte reicht von der App für ein einfacheres Parkplatzmanagement bis hin zu Massnahmen zur Förderung des ÖV und des Langsamverkehrs.

➜ Aktuelle Projektbeispiele:

Weitere Projekte finden Sie in der regiosuisse-Datenbank: regiosuisse.ch/projektdatenbank

© regiosuisse

Verkehrsperspektiven 2050

Die «Verkehrsperspektiven 2050» skizzieren vier mögliche Entwicklungsszenarien, wobei das Basisszenario im Zentrum der künftigen Planung steht. Demzufolge wird der Personenverkehr in der Schweiz über sämtliche Verkehrskategorien hinweg bis 2050 um 11 Prozent (gemessen in Personenkilometern) wachsen. Der Hauptgrund dafür: Auch die Bevölkerung wird im selben Zeitraum weiterwachsen, und zwar um über 20 Prozent auf 10,4 Millionen Menschen. Deutlich höhere Steigerungsraten erwartet das UVEK im Freizeitverkehr, der bereits heute für 44 Prozent aller Tagesdistanzen verantwortlich ist. Beim Einkaufsverkehr wird mit einem Plus von 15 Prozent gerechnet, derweilen der Arbeitsverkehr gegenüber heute um 13 Prozent schrumpfen soll. Treiber dieser Entwicklung sind die demografische Alterung beziehungsweise der sinkende Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung und vor allem weniger Pendlerverkehr dank mehr Homeoffice.

Veränderungen zeichnen sich auch beim Modalsplit ab: Die fortschreitende Urbanisierung und der weitere Ausbau des ÖV werden dazu führen, dass die Leute in den Städten künftig weniger mit dem eigenen Auto fahren. Bereits heute verfügt in den grössten Städten rund die Hälfte der Haushalte über kein eigenes Motorfahrzeug, während ein solches in ländlichen und peripheren Gebieten auch in Zukunft unentbehrlich scheint. Zwar dürfte der motorisierte Individualverkehr (MIV) bis 2050 laut VP 2050 um 5 Prozent zurückgehen, aber immer noch 68 Prozent des gesamten Personenverkehrs ausmachen. Der ÖV könnte unter dem Strich seinen Anteil bis 2050 um 3 auf 24 Prozent steigern. Deutliche Fortschritte, wenn auch auf tiefem Niveau, dürfte es beim Veloverkehr geben: Das Velo könnte seinen Anteil von 2 auf 4 Prozent verdoppeln.

Beim Güterverkehr rechnet das UVEK mit einem weiterhin starken Wachstum von 31 Prozent auf 36  Milliarden Tonnenkilometer. Die Schiene dürfte dabei bis 2050 im Modalsplit 2 Prozentpunkte zulegen und neu einen Anteil von 39 Prozent am gesamten Güterverkehr stellen. Der überwiegende Teil aller Tonnenkilometer dürfte aber auch im Jahr 2050 auf die Strassen fallen.

Mobilitätsverhalten der Schweizer Bevölkerung 2021

2021 entfielen rund 43 Prozent des inländischen Verkehrsaufkommens auf die Freizeitmobilität. Zweitwichtigster Mobilitätszweck war 2021 der Arbeitsverkehr, gefolgt vom Einkaufsverkehr. Insgesamt wurden im Inland pro Person und Tag 30,0 km zurückgelegt, 6,8 km weniger als sechs Jahre zuvor. Aufgrund der Pandemie war die Bevölkerung zum ersten Mal seit Jahrzehnten weniger mobil. Das E-Bike war das einzige Verkehrsmittel, das trotz Pandemie stärker genutzt wurde.

Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterscheiden sich in ihrem Mobilitätsverhalten zum Teil erheblich. Besonders mobil waren mit einer mittleren Tagesdistanz von 40,2 km pro Person junge Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahren. Bewohnerinnen und Bewohner ländlicher Gemeinden legten 2021 ein Viertel mehr Kilometer zurück als die Städterinnen und Städter.

Aus Sicht der Bevölkerung sind Verbesserungen im öffentlichen Verkehr und die Reduktion der Umweltauswirkungen des Verkehrs wichtiger als Verbesserungen im Velo-, Strassen- oder Fussverkehr.

Literatur

BSF/ARE (2023): Verkehrsverhalten der Bevölkerung 2021. Wichtigste Ergebnisse des Mikrozensus Mobilität und Verkehr. Neuchâtel.

Müller-Jentsch Daniel, Avenir Suisse (2020): Zentrumstäler: Die Haupttäler als Entwicklungsachsen des Berggebiets.

Wüest Partner (2021): Berggebiete: Sozioökonomische Analyse, eine empirische Grundlagenstudie im Auftrag des SECO.

Eine grüne Lunge auf industriellem Grund

Patricia Michaud

Gestern noch Bagger, morgen Spaziergängerinnen und Flaneure: Das rund 300 Hektaren grosse Gelände zwischen Basel und Allschwil in der Schweiz sowie den französischen Gemeinden Hegenheim und Saint-Louis ist nicht das, was man sich gemeinhin unter einer Natur- und Erholungsoase vorstellt. Doch im Sommer 2021 wird die erste Etappe des auf drei Ausbauschritte (bis 2028) angelegten Parc des Carrières abgeschlossen sein und das von Feldern, Familiengärten und Kiesgruben durchsetzte und in Umgestaltung befindliche Gebiet den ersten Besucherinnen und Besuchern zugänglich sein. Das ehrgeizige grenzüberschreitende Projekt «Parc des Carrières» will für die Bevölkerung der Region eine wahre grüne Lunge schaffen. Das Herzstück des Parks wird fast 12 Hektaren umfassen. Über ein Netz von Fuss- und Velowegen hat die Bevölkerung der vier angrenzenden Ortschaften Zugang zu dieser neugestalteten Naherholungsinsel, in der sich auch die Koexistenz von Natur und menschlicher Aktivität spiegelt. Rund 40 000 Bewohnerinnen und Bewohner der Region können den Park innert weniger als zwölf Minuten zu Fuss oder fünf Minuten mit dem Velo erreichen. Auch eine Haltestelle der Strassenbahnlinie 3, die Basel mit Saint-Louis verbindet, liegt direkt beim Park.

Andreas Courvoisier und Monica Linder-Guarnaccia © regiosuisse

Ausgelöst wurde diese Umgestaltung vor rund zehn Jahren durch einen Projektaufruf der Internationalen Bauausstellung Basel (IBA Basel) – einer Plattform, die 2010 von den wichtigsten politischen Akteuren der Region gegründet wurde. Sie strebt eine grenzüberschreitende und langfristige Steuerung des Wachstums und eine Vernetzung der Metropolitanregion an. Der Basler Stadtentwickler Andreas Courvoisier nutzte diese Chance, um eine innovative grüne Nutzung des westlich von Basel gelegenen Gebiets vorzuschlagen. Seine Vision war, die Landschaft in ihrer früheren, reichen Vielfalt wiederherzustellen und dabei mit dem Nebeneinander von Natur und Industrie zu spielen. Für die IBA Basel, die über dreissig Projekte in der Region betreut und unter anderem durch Interreg Oberrhein mit 3,3 Millionen Euro gefördert wurde, ist der Parc des Carrières Pilot- und Modellprojekt in einem. Laut IBA-Direktorin Monica Linder-Guarnaccia soll er zeigen, dass unbebaute Räume sowohl die Lebens- als auch die Landschaftsqualität steigern und alle Parteien gewinnen können – Bewohnerinnen, Landwirte, Bauträgerinnen ebenso wie Politiker oder Umweltschützerinnen.

iba-basel.net

interreg.ch

Sie finden hier die Langfassung in Französisch.

Weitere Artikel

30 Jahre Interreg

Interreg, das grenzüberschreitende Förderinstrument der Europäischen Union, besteht nun seit 30 Jahren. Seit den Anfängen beteiligen sich daran auch Schweizer Partnerinnen und Partner. In der Jubiläumsbroschüre «30 Jahre Interreg – 30 ans d’Interreg – 30 anni di Interreg» werfen Beteiligte auf Programm-, Projekt- und Poli­tikebene aus der Schweiz und dem Ausland einen Blick zurück und nach vorne. Sie berichten über ihre Erfahrungen mit Interreg, die Bedeutung der einzelnen Programme und die Chancen, die sich für die Regionen dank der grenzüberschreitenden und transnationalen Zusammenarbeit auch in Zukunft eröffnen.

Download Jubiläumsbroschüre:
interreg.ch

Pays de l’absinthe

«regioS 02» (Dezember 2009) berichtete über die «Association Pays de l’absinthe», Trägerin eines Projekts zur Förderung und Vermarktung der Absinth-Region zwischen Haut-Doubs und Val-de-Travers.

Feiern und wandern im Land des Absinths

Das «Absinth-Haus» – das Herzstück dieses Projekts – wurde im Juli 2014 in Môtiers mit grossem Tamtam eröffnet. Sogar der Bundesrat, der damals gerade auf seiner traditionellen «Schulreise» in der Gegend war, feierte mit. Pro Jahr erzählt dieses Museum rund 12 000 Besucherinnen und Besuchern die berüchtigte Geschichte des Absinths – der «Grünen Fee» –, der seit dem Verbot 1910 bis zur Legalisierung im Jahr 2005 schwarz gebrannt wurde. Interessierte können heute auf der «Route de l’absinthe» von Pontarlier nach Creux du Van wandern und unterwegs bei Destillerien vorbeischauen. Hinzu kommen diverse Veranstaltungen wie die «Absinthiades» – ein Kulturevent, der von den «offenen Weinkellern» inspiriert ist. Die neuste Ausgabe dieses Festes war an sich für Juni 2020 geplant.

routedelabsinthe.com

Weniger Pendlerverkehr dank Co-Working-Spaces

Raphaël Chabloz

Mit dem Projekt «GE-NetWork» sollen in der Agglomeration Genf bis 2025 in Co-Working-Spaces dezentrale Arbeitsplätze für rund 35 000 Nutzerinnen und Nutzer entstehen. So könnten die Pendlerströme in dr Agglomeration reduziert und die Gebiete belebt werden. Beim Aufbau dieses Netzes sollen sich insbesondere die grossen Arbeitgeber engagieren, die von Effizienzsteigerungen ihrer dezentral tätigen Mitarbeitenden profitieren. Das Projekt wurde bis 2018 von Interreg finanziert, seither engagieren sich das Amt für Umwelt und das Amt für Verkehr des Kantons Genf. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Co-Working-Spaces und die Telearbeit in der Agglomeration Genf im Aufwind sind. Bisher profitieren davon aber vor allem die Innenstädte.

Bis 2025 ein Netzwerk von 150 bis 200 Standorten mit fast 7000 Arbeitsplätzen schaffen, das den gesamten Grossraum Genf abdeckt und von rund 35 000 Personen genutzt wird: Das ist das erklärte Ziel von «GE-NetWork», der zweiten Etappe eines mit Unterstützung durch Interreg lancierten Projekts zur Förderung von Telearbeit und Co-Working am Zipfel des Genfersees. Das Projekt wird seit 2018 vom Amt für Umwelt und jenem für Verkehr des Kantons Genf und von der kantonalen Abteilung für nachhaltige Entwicklung finanziert und konzentriert sich vor allem auf die Auswirkungen der flexiblen Arbeitsform auf Mobilität und Umwelt. Das Ziel der 150 bis 200 Standorte dürfte tatsächlich erreicht werden: «Wir waren in unseren Szenarien eher vorsichtig», erklärt Projektleiter Luc Jaquet von der Sofies-Gruppe. 2014 waren rund zwanzig Co-Working-Spaces Teil des Netzes, 2018 waren es bereits über fünfzig.

12 Millionen weniger Pendlerfahrten pro Jahr

Studien aus der ersten Projektphase zeigen, dass durch «GE-NetWork» der Pendlerverkehr in der Agglomeration um 6 Prozent verringert werden konnte. Dies entspricht einer Reduktion von fast 12 Millionen Pendlerfahrten pro Jahr. Ein weiteres Ziel des französisch-schweizerischen Netzwerks ist die Belebung der umliegenden Gemeinden. Damit dies gelingt, muss ein anderes Publikum angesprochen werden als jenes, das bereits an solchen «dritten Orten» – neben dem Unternehmen und dem Homeoffice – tätig ist. Co-Working-Spaces werden bisher nämlich mehrheitlich von Start-up-Unternehmen genutzt, die die damit verbundenen Vernetzungsmöglichkeiten schätzen, aber meist nach Lokalitäten in der Innenstadt Ausschau halten. Eine Studie, die 2018 nach Abschluss der Interreg-Finanzierung durchgeführt wurde, hat dies bestätigt und gezeigt, dass die entstandenen Co-Working-Spaces noch sehr stark im Schweizer Teil des Grossraums Genf und im Zentrum der Agglomeration konzentriert sind.

La Conciergerie — eine Servicestelle im Co-Working-Space in La Roche-sur-Foron (F) © regiosuisse

Effizienz steigern dank flexibler Arbeitsformen

Die Arbeit am dezentralen Arbeitsplatz kann jedoch auch für das Personal grosser Unternehmen zum Thema werden, wie die Corona-Krise deutlich gemacht hat. Ein Aspekt, der die Träger des «GE-NetWork»-Projekts besonders interessiert, ist die Effizienz. «Die Mitarbeitenden sparen dank dieser flexiblen Arbeitsform Zeit und Energie und gewinnen an Produktivität. Dies haben viele Studien belegt», so Jaquet, «vorausgesetzt allerdings, die Leute arbeiten nicht Vollzeit am dezentralen Arbeitsplatz, da dies demotivierend wirkt.»

Insbesondere im Rahmen des verwaltungsinternen Programms «EquiLibre» haben die Initianten eng mit den industriellen Werken Genfs (Services industriels genevois, SIG) zusammengearbeitet. Ziel dieses Programms ist es, den Mitarbeitenden mehr Wohlbefinden bei der Arbeit und eine ausgewogenere Balance zwischen Berufs- und Privatleben zu bieten, indem Vertrauensarbeitszeit eingeführt und flexibles Arbeiten breit gefördert wird. «Egal, ob Sie im Büro, zu Hause oder in einem Zug sitzen, der durch den Jura tuckert: Was zählt, ist, dass Sie erreichbar sind und die Arbeit erledigt wird», erklärt SIG-Sprecherin Isabelle Dupont Zamperini. Für Luc Jaquet sind es genau solche Ansätze, die einen Arbeitgeber attraktiver machen und den Unternehmen die Möglichkeit bieten, ökologisch und gesellschaftlich Einfluss zu nehmen. Pragmatischer betrachtet können durch eine Neugestaltung der Arbeitsorganisation zudem die Ressourcen im Bereich Immobilien optimiert werden. «Das ist zwar nicht das prioritäre Ziel, aber wir haben zweifellos viel Platz gewonnen», stellt Isabelle Dupont Zamperini fest.

«La Conciergerie» © regiosuisse

Vorteile für alle Beteiligten

Für den Projektleiter bieten Arbeitsplätze in Co-Working-Spaces viele Vorteile gegenüber dem Homeoffice: «Sie ermöglichen eine klare Trennung zwischen Privat- und Berufsleben; sie vermitteln das Gefühl eines ‹echten› Arbeitsplatzes und ermöglichen die wichtigen sozialen Kontakte. All das steigert die Motivation.»

Mehrere Lösungen sind angedacht, um neue Co-Working-Spaces vermehrt auch in Umlandgemeinden zu initiieren und tragfähig zu machen: öffentlich-private Partnerschaften oder auch Modelle, die nicht nur dezentrale Arbeitsplätze, sondern auch andere Dienstleistungen umfassen. Ein Beispiel dafür ist «La Conciergerie» in La Roche-sur-Foron in Frankreich, wo zusätzlich verschiedene Alltagsdienstleistungen angeboten werden – von der Kinderbetreuung über Veloreparaturen bis hin zu Lieferservices.

Die Co-Working-Spaces von Voisins bieten auch Sitzungszimmer. Zwei der Gründer von Voisins (Vater und Sohn, Gérald und Renaud Langel) nutzen eines davon für ihre Besprechung. © regiosuisse

Für Städte und Gemeinden, die sich für die Lancierung von Co-Working-Spaces auf ihrem Gebiet interessieren, gibt es mehrere Handlungsoptionen. «Grosse Arbeitgeber können eine Vorreiterrolle übernehmen und von den Behörden motiviert und unterstützt werden, Pilotprojekte durchzuführen», erklärt Jaquet und verweist auf das Beispiel Amsterdam, wo der Verkehrsstau dank der Bereitschaft der Behörden, Co-Working-Spaces zu fördern, innert fünf Jahren um 20 Prozent abgenommen hat. Ein zweites Instrument ist die Bereitstellung entsprechender Nutzflächen. Der dritte Ansatz sind eigentliche Pilotprojekte: Die Gemeinden könnten, so Jaquet, in Co-Working-Spaces investieren, um das Startrisiko zu vermindern; letztlich sollten diese aber finanziell selbsttragend werden.

Bereits in der Interreg-Phase des Projekts wurden die Gemeinden im Grossraum Genf einbezogen. Nun wollen die Initianten sie an einen Tisch bringen – auch wenn unterschiedliche Ansichten und divergierende Governance-Strukturen im Kanton Genf, in der Region Nyon und im benachbarten Frankreich dieses Vorhaben schwierig machen dürften.

Die Krise als Chance nutzen

Im März 2020 mussten viele Unternehmen in aller Eile Lösungen für die dezentralisierte Arbeit finden. Gleichzeitig waren Angestellte oft dazu gezwungen, ihr Lebensumfeld und ihr Familienleben neu zu organisieren – ein Notstand, der sich aus der Krise ergab, der aber langfristig positive Auswirkungen haben könnte. «Die neuen Arbeitsformen, die in der Krise entwickelt wurden, müssen auch in normalen Zeiten erhalten bleiben. Diese Chance gilt es zu nutzen», bekräftigt Luc Jaquet.

interreg.ch teletravail-geneve.com«GE-NetWork» in der Projektdatenbank auf regiosuisse.ch

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