Mobilität am nachhaltigen Reiseziel

Pirmin Schilliger

In der Ferienregion Engadin Samnaun Val Müstair ist nachhaltige Mobilität ein wichtiger Attraktivitätsfaktor und ein touristisches Markenzeichen. Den Weg dazu ebnete eine Reihe von Pionier- und Pilotprojekten, die in den letzten Jahren lanciert und – je nach Projekt – von der Neuen Regionalpolitik (NRP), Interreg oder Innotour unterstützt wurden. Der in der östlichsten Ferienregion der Schweiz erfolgreich eingeschlagene Nachhaltigkeitskurs ist allerdings noch nicht am Ziel.

«Tourismus Engadin Scuol Samnaun Val Müstair AG» (TESSVM) ist die touristische Marketingorganisation für die Ferienregion Unterengadin / Samnaun / Val Müstair. Sie umfasst eine Fläche von 1200 Quadratkilometern, fünf politische Gemeinden mit rund 9400 Einwohnerinnen und Einwohnern und 26 Ferienorte. Der Perimeter deckt sich mit der «Regiun Engiadina Bassa/Val Müstair» (EBVM), die für die Regionalentwicklung zuständig ist. Die beiden Organisationen arbeiten in der Standortentwicklung und Tourismusförderung eng zusammen. Die strategischen Entwicklungsziele der Regiun sind in der «Agenda 2030» festgehalten. «Ein wichtiges Thema darin ist die nachhaltige Mobilität», erklärt Regionalentwicklerin Martina Schlapbach.

Mit der Eröffnung des Vereina-Tunnels der Rhätischen Bahn im November 1999 hat die Region vor über zwanzig Jahren bezüglich Erschliessung einen Quantensprung erlebt. Seither ist das Unterengadin via Schiene oder Strasse ganzjährig schnell erreichbar. «An unserer peripheren Lage mitten im Hochgebirge, am östlichen Rand der Schweiz, hat sich mit dem Tunnel nichts verändert. Die Mobilität in unserer Region hat sich damit aber massiv verbessert», betont Schlapbach.

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«ÖV-inklusive» für alle Gäste

Für die begehrte Ferienregion, die sich ambitionierte Nachhaltigkeitsziele gesteckt hat, wird es immer entscheidender, welche Verkehrsmittel die Besucherinnen und Besucher benutzen. «Wir möchten, dass unsere Gäste möglichst mit dem Zug anreisen und während ihres Urlaubs innerhalb der Region mit dem ÖV unterwegs sind», sagt Martina Hollenstein, ehemalige Tourismus-Direktorin (2017 bis August 2022) und heutige Projektleiterin der «Gästekarte mit ÖV-inklusive». Der Name steht für ein Angebot, das die Destination 2022 für alle Gäste eingeführt hat, unabhängig davon, ob sie im Hotel oder in einer Ferienwohnung übernachten. Die Gästekarte, die sich als QR-Code aufs Handy laden lässt, ermöglicht die freie Fahrt mit dem öffentlichen Verkehr innerhalb der Region – und zwar zu sämtlichen Angebotspunkten und Attraktionen, und dies auch am An- und Abreisetag.

«ÖV-inklusive» ist bloss der jüngste, aber einer der wichtigsten Nachhaltigkeitsschritte der TESSVM. Zusammen mit den Bahnen lancierte die Ferienregion vor knapp zehn Jahren ein Projekt, das inzwischen an vielen anderen Wintersportorten Schule gemacht hat. «Wir übernehmen beim Gepäcktransport für die Gäste die letzte Meile, also den Transport zwischen Bahnhof und Hotel oder Ferienwohnung», sagt Hollenstein. Für ihre Nachhaltigkeitsstrategie wurde der Tourismusorganisation 2011 der Tourismuspreis milestone verliehen, eine von der «Hotelrevue» geschaffene Auszeichnung für Innovationen im Schweizer Tourismus. Neuerdings, für die Periode 2022–2025, kann sich die Ferienregion als erste Destination der Schweiz mit dem «TourCert»-Label «Nachhaltiges Reiseziel» schmücken, nicht zuletzt dank «ÖV-inklusive».

In der PLUS-Version berechtigt der Mobilitätspass auch zur Fahrt in die Nachbarländer. Die drei Grenzregionen EBVM, Tirol und Südtirol arbeiten seit über 15 Jahren im Rahmen der Interreg-Kooperation «Terra Raetica» systematisch zusammen. Ein Fokus der Bemühungen liegt auf der internationalen Mobilität im Dreiländereck Schweiz Österreich / Italien – mit dem Ergebnis, dass seit einigen Jahren koordiniert und regelmässig ÖV-Busse über den Reschen- und den Ofenpass nach Mals (Vinschgau / Südtirol) sowie nach Nauders und Landeck (Tirol) verkehren.

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Bike-Routen und Wanderwege attraktiv machen

In der Destinationsentwicklung versucht die TESSVM, zusammen mit der Regiun EBVM vor allem den Sommertourismus weiter zu beleben. Zu den Kernangeboten gehören Bike-Routen und Wanderwege, die auf einer Länge von über 2300 Kilometern durch die Gegend führen. Die Pflege, der Unterhalt und die Anpassung der Bike-Trails an aktuelle Bedürfnisse bleiben eine Daueraufgabe. Mit dem Mountainbike-Masterplan TRAI(L)S VALS entwickelt die Region verschiedene Bike-Angebote und Trails weiter, und zwar abgestimmt auf das kantonale, NRP-geförderte Projekt «graubünden bike». Die Umsetzung im Zeitraum 2019–2025 liegt hauptsächlich bei den Gemeinden. «Es geht dabei um die Aufwertung und den punktuellen Ausbau von Trails und um ein attraktives Gesamtangebot», meint Schlapbach.

In Koordination mit dem kantonalen Projekt «graubünden trailrun» wird die «Trailrunning Regiun EBVM» gefördert und mit Partnerangeboten im Terra-Raetica-Dreieck verbunden. Ein weiteres aktuelles Projekt widmet sich der E-Bike-Infrastruktur beziehungsweise dem Aufbau eines Netzes von Batterieladestationen.

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Die Reise geht weiter

Ob Bikerin, Wanderer, Joggerin, Kletterer oder Skifahrerin, alle kommen auf ihre Rechnung – sommers wie winters. Es gibt Angebote für alle Ansprüche und Schwierigkeitsgrade, vom gemütlichen Spaziergang über Themen- und Erlebniswege bis hin zu anspruchsvollen Touren, rasanten Abfahrten oder Mehrtageswanderungen, beispielsweise auf der Via Engiadina oder im Nationalpark, mitsamt Gepäcktransport von einem Ort zum nächsten. «Alle Ausgangs- und Zielpunkte sind gut erschlossen und für die Gäste mit dem ÖV bequem, gratis und dank abgestimmtem Fahrplan pünktlich erreichbar», so Gästekarte-Projektleiterin Hollenstein.

Die Bemühungen, die Mobilität nachhaltiger zu gestalten, trägt Früchte: Jeder vierte Feriengast reist inzwischen mit dem ÖV ins Unterengadin. Die Gratisverbindungen innerhalb der Region sind zudem zu einem entscheidenden Vermarktungsargument geworden. Abgeklärt wird nun, ob «ÖV-inklusive» künftig auch für die Zweitwohnungsbesitzenden gelten soll. Ausserdem sollen mittels weiterer Massnahmen der ÖV und der Langsamverkehr auch bei den Einheimischen Anteile am Modalsplit gewinnen. Hollenstein und Regionalentwicklerin Schlapbach betonen einstimmig, dass die Weiterentwicklung der nachhaltigen Mobilität in einen strategischen Dauerprozess eingebunden sein müsse. So ist die Regiun EBVM laut Schlapbach gerade damit beschäftigt, die «Agenda 2030» zu aktualisieren. Hollenstein ihrerseits verweist auf den Leitfaden «Nachhaltigkeit in Schweizer Tourismusdestinationen», den die TESSVM, unterstützt von Innotour mit weiteren Destinationen und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), erarbeitet hat und der nun als Inspirationsquelle für weitere Ideen dient.

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