Lichtensteig – Zentrum für Macherinnen und Macher

Lukas Denzler

In den ehemaligen Räumen der Post in Lichtensteig SG etablierte sich in den letzten drei Jahren das «Macherzentrum Toggenburg» als Co-Working-Space. Dieser entwickelt sich seither zu einem Knotenpunkt für Jungunternehmerinnen und Selbständige aus der Region. Moderne Kommunikation und Digitalisierung schaffen neue Möglichkeiten – gerade auch unter dem Eindruck der Corona-Krise. Der «Ort für Macher*innen», eine regionale Initiative, bildet schliesslich eine Klammer um verschiedene Aktivitäten in der Region Toggenburg.

Einst Postbüro, heute Co-Working-Space: Seit der offiziellen Eröffnung im August 2018 stehen im stattlichen Gebäude mitten in Lichtensteig SG flexibel nutzbare Arbeitsplätze und Sitzungszimmer zur Verfügung – ein Angebot, das inzwischen zehn Personen regelmässig nutzen. Der Austausch von Ideen und Erfahrungen in einem inspirierenden Umfeld ist ein wichtiger Teil des Konzepts. Wie im ganzen Land läuft der Betrieb Ende März 2020 jedoch auf Sparflamme. Den Erfordernissen der Corona-Krise entsprechend erfolgte die Recherche für diesen Artikel nicht vor Ort, sondern per Telefon und Videogespräch. Sie zeigte: Es ist kein Zufall, dass eine solche Initiative für neue Arbeitsformen gerade in Lichtensteig entstanden ist.

Lichtensteig im Toggenburg: Ein kleines Städtchen mit stolzer Vergangenheit. Während Jahrhunderten war der Ort mit Stadt- und Marktrecht Verwaltungszentrum des Toggenburgs. In den letzten Jahrzehnten haben sich jedoch die regionalen Verwaltungsaktivitäten und der Detailhandel immer mehr ins benachbarte Wattwil verschoben. Infolge stetiger Abwanderung ist die Bevölkerungszahl auf unter 2000 Einwohnerinnen und Einwohner gefallen. Die Textilindustrie, einst wirtschaftliche Stütze im Tal, hat ihre Tore geschlossen. Leere Fabriken und Gebäude warten auf neue Nutzungen.

Aufbruchstimmung dank kommunaler Strategie

Die Gemeindebehörden erkannten das Problem der fatalen Abwärtsspirale bereits vor Jahren. Sichtbar war der Niedergang vor allem in der Altstadt, in der einst das Leben pulsierte. Um Gegensteuer zu geben, suchten die Lichtensteiger den Kontakt zum «Netzwerk Altstadt», einem Beratungsangebot von EspaceSuisse. Nach einer tiefgreifenden Analyse erarbeitete der Gemeinderat zusammen mit der Bevölkerung 2013 die kommunale Strategie «Mini.Stadt 2025». «140 interessierte Bürgerinnen und Bürger brachten sich in den Prozess ein», erinnert sich Mathias Müller, der kurz zuvor als Stadtpräsident gewählt worden war. Der Prozess löste zahlreiche Aktivitäten aus: Das Rathaus wandelte sich – nach dem Umzug der Gemeindeverwaltung ins ehemalige UBS-Gebäude – zu einem Ort der Kultur. Die Kalberhalle, in der bis 2005 Kälber zum Verkauf standen, wurde zusammen mit den Vereinen zu einem Veranstaltungsort umfunktioniert.

2016 schloss die Post. Die Gemeinde packte die Gelegenheit beim Schopf und erwarb die Räumlichkeiten. «An dieser zentralen Lage wollten wir unbedingt neue Publikumsnutzungen ermöglichen», erklärt Stadtpräsident Müller. In jener Zeit las er in einer Gratiszeitung einen Artikel über «VillageOffice», eine junge Organisation, die neue Arbeitsformen wie Co-Working auch im ländlichen Raum voranbringen will (vgl. Hintergrundartikel). Kontakte wurden geknüpft – der Funke zündete, Ideen wurden entwickelt. In den Räumen sollte ein inspirierender Ort entstehen für Menschen mit neuen Ideen, für Leute, die eigene Projekte realisieren wollen.

Thomas Kobelt und Céline Rolli (Mitarbeiterin des Co-Working-Spaces) bei der Arbeit im «Macherzentrum Toggenburg» © regiosuisse

Weil die Idee sehr gut zur kommunalen Strategie passte, suchte Müller Leute, die mitziehen würden. Er fand Tobias Kobelt, der im Begriff stand, sich im Bereich der betriebswirtschaftlichen Beratung und Unternehmensentwicklung selbständig zu machen. «Als ich gefragt wurde, realisierte ich, dass genau so ein Angebot fehlt», erinnert sich Kobelt. Im Oktober 2017 habe man klein angefangen. Allmählich formte sich ein Kernteam. «In der ersten Phase mussten wir immer wieder erklären, um was es geht beim Co-Working.» Eineinhalb Jahre später ist da «Macherzentrum Toggenburg» weit über Lichtensteig hinaus bekannt. Durch die Vermietung der Arbeitsplätze erwirtschaftet die Genossenschaft inzwischen genügend, um den ortsüblichen Mietzins und die Nebenkosten bezahlen zu können.

Co-Working und Digitalisierung

In normalen Zeiten geht das Angebot des «Macherzentrums Toggenburg» weit über die gemeinsame Nutzung der Infrastruktur hinaus. Kontakte und eine inspirierende Atmosphäre sind für Jungunternehmerinnen und -unternehmer wichtig. Dazu beitragen soll auch der monatliche «Macher-Treff», für den jeweils Persönlichkeiten eingeladen werden, die über Themen aus dem Bereich «Unternehmertum und Innovation» sprechen. «Wir möchten noch stärker mit Firmen kooperieren», erläutert Kobelt. Sie könnten beispielsweise im «Macherzentrum Toggenburg» Arbeitsplätze «sponsern» und ihren Angestellten tageweise zur Verfügung stellen.

Verschiedene Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer haben sich in den ehemaligen Räumlickeiten der Post einen festen Arbeitsplatz eingerichtet. © regiosuisse

«In letzter Zeit melden sich vermehrt auch Leute aus den kleinen Dörfern des Tals, die wissen wollen, wie der Co-Working-Space funktioniert», stellt Kobelt fest. «Das ist ein gutes Zeichen. In den Köpfen im Toggenburg beginnt sich etwas zu ändern.» Der Aufbruch könnte gelingen. Nach dem Vorbild des «Macherzentrums Toggenburg» entstehen nun ähnliche Angebote in den Toggenburger Gemeinden Kirchberg, Nesslau und Degersheim.

Die Niederschwelligkeit des Angebots sei zentral, ist Mathias Müller überzeugt. In der ersten Phase brauche es zudem eine gewisse Unterstützung und einen Vertrauensvorschuss seitens der Behörden. «Stellt man Räume zur Verfügung und schafft man für die Menschen neue Möglichkeiten, so investiert man immer auch in diese Menschen.»

Lokal starten – regional entwickeln

Gelder der Neuen Regionalpolitik (NRP) erhielt das «Macherzentrum Toggenburg» nicht. Der Kanton St. Gallen entschied, Co-Working-Initiativen grundsätzlich nicht über die NRP zu unterstützen. Anders verhält es sich bei der übergeordneten Initiative «Ort für Macher*innen». Diese hat zwar ihren Ursprung in Lichtensteig, ist aber regional auf das ganze Toggenburg ausgerichtet und bildet eine Klammer um verschiedene Aktivitäten. Unter ihrem Dach findet das «Macherzentrum Toggenburg» ebenso Platz wie das «Rathaus für Kultur», Gesellschaftsprojekte wie die «Familienzentren Toggenburg», die Nachbarschaftshilfe und Freiwilligenarbeit unter dem Namen «Zeitgut Toggenburg» sowie ein «Zukunftsbüro».

Das Rathaus für Kultur in Lichtensteig © regiosuisse

Im Jahr 2019 bewarb man sich für ein «Modellvorhaben Nachhaltige Raumentwicklung», die der Bund unterstützt. Da aber ein solches nicht zustande kam, stellte der Kanton St. Gallen eine Unterstützung im Rahmen der NRP in Aussicht. In der Diskussion dazu habe man sich schliesslich auf zwei Themenfelder fokussiert, sagt Markus Schmid von der Standortförderung im Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons St. Gallen: zum einen auf den Fach- und Arbeitskräftemangel – besonders auf neue Arbeitsformen («NewWork»), Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Wiedereinstieg, Teilzeit) und das Arbeitskräftepotenzial 50+ (neue Arbeitsmodelle, innovative Ansätze) – und zum anderen auf die Arealentwicklung. In Lichtensteig gebe es dafür geeignete Areale, etwa eine leerstehende Fabrik. Zudem schmiedet man Pläne für eine Gewerbe- und Kreativwerkstatt als Ergänzung zum «Macherzentrum Toggenburg». Die lokalen Initiativen, ausgelöst primär durch die kommunale Strategie, gewinnen an Dynamik und strahlen immer stärker regional aus.

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