Haslibergs «Zweitheimische»

Jana Avanzini

Zweitwohnungen sind ein heisses Thema, auch in Hasliberg BE. Als die Zweitwohnungsinitiative 2012 angenommen wurde, musste auch das Dorf auf der Südseite des Brünigpasses über die Bücher. So entstand 2016 der Verein Netzwerk Hasliberg, der heute 250 Mitglieder zählt. Maja Bachmann, aufgewachsen in Hasliberg, ist Gründungsmitglied. Und sie ist das perfekte Mitglied für diesen Verein: als Touristikerin, Einheimische, die lange weg war, und jetzt als «Zweitheimische». Dieses Wort hört man in Hasliberg öfter, und es macht das Bestreben des Vereins deutlich: die Zweitwohnungsbesitzenden aus der anonymen Gästeschar herauszuheben. Die Zweitwohnungsbesitzenden, die den grösseren Teil des Vereins ausmachen, wollen sich im Ort engagieren.

Der Ort und seine Weiterentwicklung werden vom Verein sowohl finanziell als auch ideell unterstützt. Dazu gehören finan­zielle Beiträge an lokale Projekte, die durch die Mitgliederbeiträge und oft zusätzliche Spenden finanziert werden. «Wir konnten so den Freestyle-Park unterstützen, den Waldspielgarten, einen Abendbus, den Pumptrack, Projektwochen an der Schule, das Projekt ‹Generationenhaus Hasliberg› oder die Beschaffung von Drohnen für die Jäger, um Rehkitze zu retten», sagt Bachmann. Persönlich angepackt wird beim Unterhalt des Wanderweg­netzes, bei der Reinigung des Badesees oder von Skipisten.

«Zweitheimische» helfen bei der Reparatur einer Feuerstelle. Von links nach rechts: Beat Kiser, Jos Willi (Gemeinderat Hasliberg), Vreni Haefeli, Brigitta Kiser © regiosuisse

Gemeindepräsident Arnold Schild sieht im Netzwerk einen Glücksfall, von dessen Enga­gement die Gemeinde stark profitiere. Natürlich gibt es auch kritische Stimmen in Hasliberg und Themen, bei denen keine Einigkeit herrscht. Doch das Netzwerk wächst weiter und damit auch das Bewusstsein dafür, einen Raum zu teilen und gemeinsam zu entwickeln. 

netzwerk-hasliberg.ch

regiosuisse.ch/projects-nrp

regiosuisse.ch/nrp

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Weitere Artikel

Praxis-Toolbox «Kreislaufwirtschaft»

Der Ansatz der Kreislaufwirtschaft birgt grosses Potenzial für neue Modelle der Zusammenarbeit, neue Geschäftsmodelle und andere Innovationen. Er trägt dazu bei, die Umweltauswirkungen zu minimieren, und schafft wirtschaftlichen Mehrwert. Dies eröffnet Chancen für die nachhaltige Entwicklung von Regionen, Städten und Gemeinden. Doch wie funktioniert die Kreislaufwirtschaft? Wie lassen sich Kreislaufwirtschaftsprojekte anstossen? Und welche Rolle können regionale Entwicklungsträgerinnen und -träger dabei übernehmen? Die neue Praxis-Toolbox «Kreislaufwirtschaft» von regiosuisse bietet Antworten und zeigt mögliche Vorgehensweisen und Beispiele auf.

regiosuisse.ch/kreislaufwirtschaft

Weiterentwicklung der Tourismusstrategie

Der Bundesrat hat am 10. November 2021 die neue Tourismusstrategie verabschiedet. Sie legt die Stossrichtungen der künftigen Tourismuspolitik des Bundes fest. Die Ziele der bisherigen Tourismusstrategie – Rahmenbedingungen verbessern, Unternehmertum fördern, Chancen der Digitalisierung nutzen und Attraktivität des Angebots und des Marktauftritts stärken – haben sich bewährt und werden beibehalten. Ergänzt werden sie durch das neue Ziel «Zur nachhaltigen Entwicklung beitragen». Bei der Umsetzung der Tourismusstrategie setzt der Bund weiterhin auf die vier bewährten tourismuspolitischen Förderinstrumente Innotour, Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit (SGH), Schweiz Tourismus (ST) sowie Neue Regionalpolitik (NRP). Die Investitionsförderung des Bundes durch die SGH und die NRP soll zudem modernisiert und gestärkt werden.

seco.admin.ch/tourismus

Zweitwohnungen – Herausforderung und Chance

Pirmin Schilliger & Urs Steiger
Das seit fünf Jahren geltende Zweitwohnungsgesetz (ZWG) erweist sich heute als wirksames Instrument für eine nachhaltigere touristische Entwicklung, wie verschiedene Studien im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) und des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE) aufzeigen. Allerdings ist die Umsetzung der neuen gesetzlichen Bestimmungen eine höchst anspruchsvolle Aufgabe. Wollen sich die betroffenen Regionen und Gemeinden einen erfolgreichen Weg in die touristische Zukunft offenhalten, kommen sie um teils aufwendige Anpassungsprozesse und neue Lösungen nicht herum. Dies verdeutlichen die zahlreichen und inhaltlich sehr vielfältigen Projekte, die zu diesem Zweck in jüngster Zeit lanciert wurden.
Herbststimmung in Flims GR © regiosuisse

Die Schweizer Stimmbevölkerung hat am 11. März 2012 die Volksinitiative zur Beschränkung von Zweitwohnungen und sogenannten «kalten Betten», also von Wohnraum, der nur während eines Bruchteils der Zeit genutzt wird, angenommen. Von der damit verbundenen Forderung, bei einem Zweitwohnungsanteil über 20 Prozent des Wohnungsbestands den weiteren Ausbau zu stoppen, waren rund 400 Gemeinden betroffen, fast ausschliesslich solche aus dem Alpenraum. Für sie war der Entscheid ein heftiger Schock. Vor allem in den Hotspots des Zweitwohnungsbaus wurde ein massiver wirtschaftlicher Einbruch befürchtet.

Alles halb so schlimm

So schlimm kam es dann doch nicht, zumal es nach der knappen Annahme der Volksinitiative eine Weile dauerte, bis der Vollzug einigermassen griff. Wie sich der Zweitwohnungsmarkt im Zeitraum von 2013 bis 2019 tatsächlich entwickelte, haben Expertinnen und Experten der Beratungsfirmen BHP, IC Infraconsult und Rütter Soceco 1 sowie der Hochschule Luzern (HSLU) 2 im Auftrag des SECO und des ARE eingehend untersucht. Die Analyse erbrachte bemerkenswerte Ergebnisse. «Unmittelbar nach Annahme der Initiative prägte in zahlreichen Bergregionen vorerst ein Bauboom das wirtschaftliche Geschehen», erläutert Professor Stefan Lüthi vom Institut für Betriebs- und Regionalökonomie (IBR) der HSLU, das die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen untersucht hat. Der wesentliche Grund für diese Entwicklung: Projekte, die noch vor Ende 2012 bewilligt wurden, fielen nicht unter den Baustopp. Also wurde überall eilends gebaut, was schon bewilligt war. Ausserdem wurden unter den Übergangsbestimmungen unentwegt neue Baugesuche eingereicht. So gelangte 2013 und 2014 an vielen Orten weiterhin eine beachtliche Zahl neuer Zweitwohnungen auf den Markt.

Gesetz zeigt Wirkung

Erst als sich ab 2015 der Vollzug des Zweitwohnungsgesetzes (ZWG) und der Zweitwohnungsverordnung (ZWV) konkretisierte, sank die Zahl der Bewilligungen und pendelte sich nach Inkrafttreten deutlich unter dem historischen Mittel ein. 2019, im Jahr vor Covid-19, wurden in den vom ZWG betroffenen Gemeinden noch rund 2000 Baubewilligungen für Zweitwohnungen erteilt – rund dreimal weniger als in den Boomjahren 2006 bis 2008. «Insgesamt ist der Ferienwohnungsbau seit der Zweitwohnungsinitiative stark rückläufig», zieht Lüthi ein vorläufiges Fazit. Die Zweitwohnungsinitiative führte also nicht zu Nullverbrauch, reduzierte aber den Flächenverbrauch deutlich und förderte einen haushälterischeren Umgang mit dem Boden. Die Umweltschutzorganisation Helvetia Nostra sieht das offensichtlich etwas anders, vergegenwärtigt man sich die 1600 Einsprachen gegen Baugesuche, die sie im Zeitraum 2013 bis 2019 eingereicht hat. Davon wurden bis heute 687 ganz oder teilweise gutgeheissen, weitere 541 wurden als gegenstandslos abgeschrieben, weil etwa das Baugesuch zurückgezogen wurde. Die Einsprachen konzentrierten sich zuerst hauptsächlich auf Projekte im Kanton Wallis. Deren Anzahl nahm aber im Laufe der Zeit dank der inzwischen besser eingespielten Vollzugspraxis generell deutlich ab.

Ferienhäuser in der Lenk BE © regiosuisse

Bau- und Immobilienwirtschaft unter Druck

Auch die ursprünglich befürchtete wirtschaftliche Katastrophe infolge des ZWG ist heute kaum mehr ein Thema. Die touristische Nachfrage in der Hotellerie und der Parahotellerie hat das ZWG nicht nachweisbar beeinflusst. «Am stärksten zu spüren bekam die Folgen des ZWG nicht ganz überraschend die Bau- und Immobilienwirtschaft», so Lüthi. Doch auch in diesem Wirtschaftssektor war der Rückgang kleiner als prognostiziert. In den Hotspots des Zweitwohnungsmarktes brachen die Bauaktivitäten zwar um rund 20 Prozent ein. Doch grössere, breiter aufgestellte Firmen hielten sich schadlos, indem sie neue Marktsegmente erschlossen und ihr Marktgebiet etwa ins Unterland ausweiteten. Zudem floss in den letzten Jahren mehr Geld in den Unterhalt und die Erneuerung des Zweitwohnungsbestandes. So profitierte die Bauwirtschaft auch vom genannten Bewilligungs- und Bauboom, der sogar zu einem Angebotsüberhang geführt hat, und von den Ausnahmeregelungen, wonach der Bau von Zweitwohnungen im Zusammenhang mit strukturierten Beherbergungsbetrieben möglich ist. Hinzu kommen viele Sanierungsprojekte in der Hotellerie, wo unter bestimmten Voraussetzungen 20 bis 33 Prozent der Hauptnutzfläche von Hotelbauten als Zweitwohnungen erstellt werden dürfen.

Massnahmenpaket mit schneller Wirkung

Dass die wirtschaftliche Entwicklung in den vom ZWG betroffenen Gebieten besser verlief als befürchtet, ist auch verschiedenen staatlichen Massnahmen zu verdanken. Dazu gehört das tourismuspolitische Massnahmenpaket, das das Parlament 2015 explizit zur Abschwächung der negativen Auswirkungen des ZWG beschlossen hat. Eine der Massnahmen war das «Impulsprogramm Tourismus», das für die Jahre 2016 bis 2019 zusätzlich Beiträge in der Höhe von 10 Millionen Franken für das Förderprogramm Innotour, 38 Millionen Franken für die Neue Regionalpolitik (NRP) und maximal 150 Millionen Franken zusätzliche NRP-Darlehen freigab. Zudem wurde das noch nicht ausgeschöpfte Zusatzdarlehen an die Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit (SGH) aus dem Jahr 2011 in der Höhe von 100 Millionen Franken bis 2019 verlängert.

«Viele der dadurch ausgelösten Anpassungsprojekte zielen auf eine intensivere Bewirtschaftung der Zweitwohnungen und der schlecht ausgelasteten Hotels. Die Devise lautet: ‹Warme statt kalte Betten!›», so Lüthi. Mit dem erwünschten Nebeneffekt, dass der laufende Strukturwandel vom monosaisonalen zu einem Ganzjahrestourismus beschleunigt wird. Neue Geschäftsmodelle, die vor allem in der Bau- und Immobilienwirtschaft seit 2013 auf rein privatwirtschaftlicher Ebene entstanden sind (vgl. unten), zeigen zusammen mit den vom Bund, von den Kantonen und den Gemeinden unterstützten Anpassungsprojekten, dass es im Alpenraum auch mit dem ZWG weiterhin einen erfolgversprechenden Weg in eine nachhaltige touristische Zukunft gibt.

Bauarbeiten in St. Moritz GR © regiosuisse

Neue Chancen und Möglichkeiten mit dem ZWG

Das Beratungsunternehmen IC Infraconsult hat versucht, die Anpassungsprojekte und neuen Lösungen nach thematischen Aspekten zu kategorisieren. Und es hat für jede Kategorie mehrere «Good Practices» selektioniert, aus denen im Folgenden Beispiele vorgestellt werden.3

  • Regulative und fiskalische Instrumente

Kurtaxen in Grächen VS und Val de Bagnes VS: Die Gemeinde Grächen hat per 1. Mai 2018 die Kurtaxe neu reglementiert. Auf Zweitwohnungen wird seither eine Jahrespauschale erhoben, die 46 bisherigen Übernachtungstaxen entspricht. Es ist eine einfache Massnahme, von der sich die Behörden angesichts eines Zweitwohnungsanteils von 68 Prozent eine grosse Hebelwirkung versprechen. Bei schlecht genutzten Zweitwohnungen bedeutet die neue Taxe eine massive Verteuerung. Für die Eigentümerinnen und Eigentümer steigt der Anreiz, die Zweitwohnung möglichst oft an Dritte zu vermieten. Das neue Berechnungsmodell hat bisher allerdings nur halbwegs den gewünschten Erfolg gebracht. Erwartungsgemäss verdoppelten sich zwar die Kurtaxen-Einnahmen, doch stagnieren die Übernachtungszahlen bis heute. Roman Rogenmoser, CEO der Touristischen Unternehmung Grächen AG, zieht trotzdem eine positive Bilanz: «Das Modell bewährt sich. Der administrative Aufwand für die Rechnungstellung ist heute kleiner, und wir verfügen als Tourismusorganisation in guten wie in schlechten Zeiten über annähernd gleichbleibende Einnahmen.» Bezüglich einer besseren Auslastung der Zweitwohnungen bleibt Rogenmoser skeptisch. Für viele Zweitwohnungsbesitzerinnen und -besitzer komme eine externe Vermietung grundsätzlich nicht infrage. Er spricht damit ein Verhaltensmuster an, das sich vermutlich nur mit massiveren finanziellen Anreizen verändern liesse. Dies versucht die Gemeinde Val de Bagnes im Unterwallis. Dort können die Kurtaxen, die für Mietübernachtungen von Dritten anfallen, von der Pauschalkurtaxe für die Zweitwohnung abgezogen werden. Und tatsächlich: Seit Einführung des neuen Tarifsystems ist die Auslastung der Zweitwohnungen im Val de Bagnes gestiegen.

  • Planerische und strategische Instrumente

Raumstrategie «St. Moritz 2030»: Das ZWG, kantonale Planungsvorgaben und der Handlungsdruck vor Ort waren für St. Moritz Anlass, 2017 unter dem Titel «St. Moritz 2030» zusammen mit der Bevölkerung und Gästen einen Visions- und Strategieprozess für die Ortsentwicklung zu starten. Hauptherausforderung in der Engadiner Destination ist das Preisniveau auf dem Immobilienmarkt, bei dem die vielen teuren Zweitwohnungen (Anteil: 57 Prozent) die eigentliche Benchmark setzen mit dem Resultat, dass auch die Preise für Wohn- und Gewerbeflächen stetig steigen und für die Ortsansässigen und Gewerbetreibenden zunehmend unerschwinglich werden. Seit Verabschiedung von «St. Moritz 2030» im Jahre 2019 unterstützt die Gemeinde aktiv Bauprojekte, die bezahlbaren Wohnraum oder Gewerbeflächen zu angemessenen Preisen ermöglichen: bei der Planung, im Verfahrensprozess, mithilfe reglementarischer Anreize und durch eine aktivere Liegenschaftspolitik. Über den Dialog mit den Eigentümerinnen und Eigentümern sowie die Förderung entsprechender Vermarktungs- und Beherbergungsmodelle versucht die Gemeinde zudem das Angebot «warmer Betten» zu erhöhen. Gemeindevorstand Reto Matossi ist überzeugt, dass die Prozesse dazu beigetragen haben, das Thema «bezahlbarer Wohnraum» strategisch zu verankern. «Nun müssen wir den Beweis einer erfolgreichen Umsetzung erbringen», sagt er, etwa mit gemeindeeigenen Grundstücken und privaten Liegenschaften, die für bezahlbaren Wohnraum mobilisiert werden könnten.

  • Neue Betriebs- und Governance-Strukturen

Erni Bau AG in Flims GR: Das Bauunternehmen mit Sitz in einer Zweitwohnungshochburg hat seine Diversifikationsstrategie nach Inkrafttreten des ZWG verstärkt in Richtung Erschliessung zusätzlicher Marktsegmente (z.B. Energiesanierungen, Bahnverkehr) und neue geografische Marktgebiete (in ganz Graubünden, SG, VS) sowie neue Geschäftsmodelle vorangetrieben. Dazu gehört der Aufbau eines Immobilienportfolios, das mittlerweile über hundert Wohnungen zwecks Vermietung umfasst. «Wir sind mit der gewählten Strategie heute gut unterwegs», sagt CEO Marc Grünenfelder, auch weil die Firma schon zuvor strategisch breit aufgestellt war. Zudem profitiert sie von der räumlichen Nähe zum urbanen Zentrum Chur, wo die Erni Bau AG in den letzten Jahren stärker Fuss fassen konnte.

Kleineren Baufirmen in peripheren Tourismusdestinationen blieb es hingegen häufig nicht erspart, ihren Betrieb zu redimensionieren. Bei der Freidig Bau AG in Lenk im Simmental beispielsweise sind infolge des ZWG in den letzten Jahren Umsatz, Ertrag und Beschäftigtenzahl um 20 bis 30 Prozent eingebrochen, wobei der Rückgang im Jahr 2020 aufgrund von Covid-19 in dieser Zahl noch nicht berücksichtigt ist.

  • Kommunikation und Wissensmanagement

Innotour-Projekt «Destinationsmarketing durch Ferienwohnungsbesitzerinnen und -besitzer» in Davos/Klosters GR: Das am Institut für Systemisches Management und Public Governance (IMP-HSG) der Universität St. Gallen unter der Leitung von Professor Christian Laesser durchgeführte Projekt zeigt systematisch auf, wie Zweitwohnungsbesitzerinnen und -besitzer mittels eines Anreizsystems und dazugehöriger Dienstleistungen verstärkt zum Destinationsmarketing beitragen könnten. Zu den einzelnen Massnahmen und Vorschlägen, die auf Markttests und Workshops in verschiedenen Tourismusdestinationen basieren, gehören regelmässige Informations- und Kennenlernevents, Preisvergünstigungen bei Veranstaltungen und Freizeitinfrastrukturen und organisatorischer Support bei privaten und geschäftlichen Anlässen oder Vouchers für Neubesitzerinnen und -besitzer.

  • Dienstleistungsangebote und Plattform-Tools

Plattform WarmesBett.ch: Das Projekt in der Surselva wurde bereits 2010 von der Derungs Quinter Immobilien AG in Lumbrein GR lanciert. Die Plattform ist heute Vorbild für weitere ähnliche regionale Plattformen. Die Derungs Quinter AG bietet mit WarmesBett.ch den Besitzerinnen und Besitzern von Zweitwohnungen einen Rundumservice, damit sie ihre Objekte ohne eigenen Aufwand vor Ort professionell vermieten können. Der Service umfasst alles von der Buchung über den Vertrag und die Schlüsselübergabe bis hin zur Reinigung. Heute sind 80 Mietobjekte auf der Plattform aufgeschaltet. «Wir haben damit den Markt absichtlich nicht ausgeschöpft, weil sich weiteres Wachstum logistisch und personell kaum bewältigen liesse», sagt Geschäftsführer Gian Derungs. Eine grosse Herausforderung ist es, genug verlässliches Reinigungspersonal für die vielen Kurzzeiteinsätze zu finden. «Wenn im Februar und Anfang März samstags in 50 oder 60 Wohnungen auf einen Schlag die Mieterinnen und Mieter wechseln, stossen wir an unsere Grenzen», gibt Derungs zu bedenken. Trotz der eingeschränkten Skalierungsmöglichkeiten zieht Derungs eine positive Bilanz: «Das Geschäftsmodell hat sich insgesamt gut bewährt.» Für zusätzlichen Schub sorgte Corona: Die Zahl der über WarmesBett.ch generierten Übernachtungen stieg 2020 auf über 19 000 Logiernächte, bei gleichem Bettenangebot 40 Prozent mehr als im Vorjahr.

  • Bau- und Immobilienprojekte

Swisspeak Resort, Meiringen BE: Das ZWG erlaubt bekanntlich unter gewissen Bedingungen weiterhin, neue Zweitwohnungen oder Apartments zu errichten. Diese neue Ausgangslage ruft buchstäblich nach neuen Beherbergungskonzepten. Das Swisspeak Resort in Meiringen, ein 30-Millionen-Franken-Projekt mit 79 Wohnungen und 426 Betten, wurde Ende 2019 nach zweijähriger Bauzeit eröffnet. Es steht auf einer in den 1990er-Jahren geschaffenen touristischen Sonderzone, auf der 15 Jahre lang nichts passierte, bis die Resalpina GmbH die Initiative ergriff. Von der NRP in der konzeptionellen Phase unterstützt, entwickelte die Resalpina GmbH das Resort bis zum Bau, um es schliesslich dem Mountain Resort Fund SICAV zu verkaufen. Bewirtschaftet wird es von der Interhome AG, die bereits im ersten Betriebsjahr eine Auslastung von 80 Prozent verzeichnete. Die Resalpina GmbH plant neun weitere Resorts. Allerdings dürfte es nicht überall so glatt laufen wie in Meiringen. Die vier fortgeschrittensten Projekte auf der Laxeralp im Wallis sowie in Klosters, Arosa und Savognin in Graubünden sind derzeit durch Einsprachen blockiert.

Grosses Interesse an den neuen Resortkonzepten zeigen vor allem die Bergbahnen: Mittlerweile sind über 40 Prozent der Transportunternehmen in diesem Bereich aktiv. Das damit angestrebte Konzept der vertikalen Integration mit einem kompletten Ferienangebot aus einer Hand ist zwar bereits älteren Datums, wurde durch das ZWG aber weiter forciert. Zu den Pionieren gehört die Weisse Arena Gruppe in Laax GR mit dem rocksresort.

© regiosuisse

Auf dem richtigen Weg

Auch wenn nicht alle direkt Betroffenen über das ZWG gleichermassen begeistert sind, so beurteilen sämtliche Stakeholder das neue Gesetz aus raumplanerischer und ökologischer Optik sehr positiv. Der Konsens ist gross, dass es die Zersiedlung in den betroffenen Gemeinden stoppt, die Entwicklung in der Parahotellerie in nachhaltige Bahnen lenkt und die landschaftlichen und touristischen Qualitäten in den betroffenen Gemeinden stärkt und weiter verbessert.

Einige Regionen und Gemeinden wie Davos/Prättigau GR oder Val d’Anniviers VS reagierten sehr aktiv auf das ZWG, in anderen Hotspots – etwa Grindelwald – blieb es erstaunlich ruhig. Offensichtlich sind der Anpassungsdruck und die Anpassungsbereitschaft je nach Region sehr unterschiedlich. Tourismusdestinationen, die in der Parahotellerie weiterwachsen möchten, suchen nach neuen Rezepten. Klar ist allen Beteiligten, dass es dabei keine einfachen Lösungen gibt. Der Weg in die erfolgreiche touristische Zukunft führt fast immer nur über ein Bündel von aufeinander abgestimmten Projekten und Massnahmen.

Kommunikationsaktivitäten intensivieren

Die Autorinnen und Autoren der Wirkungsanalysen stellten fest, dass das vorhandene Wissen zur Umsetzung des ZWG nicht immer bei den betroffenen Gemeinden beziehungsweise den Zuständigen ankommt. Sie empfehlen daher den Wissensstand unter diesen Akteuren zu fördern und damit die Planungssicherheit im Rahmen des Möglichen zu erhöhen. Zudem empfehlen die Expertinnen und Experten dem Bund, den Kantonen und den betroffenen Gemeinden, mit weiteren Massnahmen und zielgerichteten Dienstleistungen die Finanzierungsbedingungen bei Anpassungsprojekten zu verbessern und die Planungssicherheit zu erhöhen.

Um die Anpassung an das Zweitwohnungsgesetz zu beschleunigen, aber auch um den damit verbundenen Strukturwandel zu koordinieren und dessen Chancen nutzen zu können, müssten die Kompetenzen sowohl der Baubehörden als auch der Projektentwickler und Bauherren erweitert und neue Kompetenzen aufgebaut werden. Dies erfolgt laut Studien am besten über die etablierten Kommunikationskanäle von Branchenverbänden und Standortförderungsorganisationen und mit Unterstützung durch die involvierten Bundesämter (SECO, ARE) und regionalpolitischen Entwicklungsgefässe wie Innotour, NRP und Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit (SGH).

Der Bund hat gemäss Bericht an den Bundesrat zu den Wirkungsanalysen erkannt, dass der Vollzug und die Wissensgrundlagen zu verbessern sind, und plant erste Massnahmen. Für Änderungen des ZWG sieht er dagegen keinen Handlungsbedarf, unter anderem deshalb nicht, weil die Anpassungsprozesse noch im Gange seien.

Letztlich sollen die Bemühungen auch den laufenden Strukturwandel vom monosaisonalen zum Ganzjahrestourismus begünstigen und damit auch den Transformationsprozess «von kalten zu warmen Betten» weiter ankurbeln. Gelingt dieser Schritt, so gelingt es auch, die Destinationen nachhaltiger, zukunftsfähiger und resilienter auszurichten.

are.admin.ch/zweitwohnungen

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sgh.ch

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Auf Tessiner Trekking-Pfaden

Peter Jankovsky

Eine vielfältige Berglandschaft, ein grosser Fluss und überall verstreut Rustici: Die Vallemaggia ist eine beliebte Feriendestination bei den Deutschschweizern. Doch das langgezogene Tal nördlich von Locarno ist auch Lebens- und Wirtschaftsraum für die ansässige Bevölkerung. Seit zwei Jahrzehnten laufen Förderprojekte, die die Bedingungen für beide Bereiche verbessern sollen. Diese betreffen die Aufwertung der Landschaft ebenso wie die Schaffung neuer Infrastrukturen. Eines dieser Projekte ist die «Via Alta Vallemaggia», ein 200 Kilometer langer Höhenweg. Er bietet spektakuläre Trekking-Erlebnisse und entwickelt sich zu einem relevanten Wirtschaftsfaktor.

Für viele Gäste, aber auch für Tessinerinnen und Tessiner, ist das Maggiatal ein Sehnsuchtsort sondergleichen. Sein Reiz liegt in der abwechslungsreichen Berg- wie auch Tallandschaft. So ist die 36 Kilometer lange Vallemaggia stellenweise recht breit und die Maggia bestimmt mancherorts mit ihrem ausgeprägten Steinbett das Tal. Trockenmauern durchziehen viele Wiesen, oberhalb deren alte Kastanienselven stocken, aber auch Buchenwälder, für die die Aufnahme ins unesco-Welterbe beantragt wurde. Für ein Bergtal ist auch die Landwirtschaftsfläche beachtlich, auf der einige agrotouristische Einrichtungen zu finden sind. Ins Auge stechen die zahlreichen Rustici: Sie geben der Landschaft ein besonderes Gepräge und sind oft zu Ferienhäusern ausgebaut. Schliesslich tragen auch die Dörfer mit ihren historischen und architektonisch wertvollen Kernen zum malerischen Charakter des Tales bei, etwa das Dorf Peccia in der Nähe des einzigen Marmorsteinbruchs der Schweiz. Unweit davon schmiegt sich in Fusio die Kirche des Tessiner Stararchitekten Mario Botta ins Terrain.

Für Tessiner und Touristen projektieren

Wer durchs Tal fährt oder wandert, dem wird rasch klar: Das Maggiatal bietet viel Potenzial für eine auf der Landschaft basierende Regionalentwicklung. Es eröffnen sich mannigfaltige Möglichkeiten, Landschaftsprojekte mit der Aufwertung von Infrastrukturen für die Bevölkerung und für Gäste zu verbinden. In den letzten zwanzig Jahren realisierten Akteure wie die Associazione Paesaggio Bosco Gurin oder die Fondazione Bavona über 60 Projekte und investierten dabei rund 20 Millionen Franken. Seit 2018 gelangt das regionale Landschaftskonzept namens «Progetto paesaggio comprensoriale», kurz PPC, zur Umsetzung. Es basiert auf der kantonalen Landschaftspolitik, die im Tessiner Raumentwicklungsgesetz verankert ist und von der Abteilung für Raumentwicklung getragen wird. Das PPC formuliert rund 70 neue Ideen für Infrastruktur- und Landschaftsprojekte, die schrittweise konkretisiert und realisiert werden sollen.

© regiosuisse

Für den oberen Teil des Maggiatals gilt ein eigenständiger Masterplan. «Es geht darum, für die Talbewohnerinnen und -bewohner eine bessere Lebensqualität und für die Erholungsuchenden mehr Anziehungspunkte zu schaffen», sagt Christian Ferrari. Er leitet die Arbeitsgruppe «Antenna Vallemaggia», die für die Gesamtentwicklung des Maggiatals zuständig ist. Die Vision sei, mit der Förderung touristischer Aktivitäten die Zahl der Talbewohnerinnen und -bewohner zu stabilisieren, erklärt der regionale Koordinator des Masterplans, Timo Cadlolo. Die Realisierung dieser Vision sollte auch Arbeit für die regionalen Kleinbetriebe generieren. Für die ersten vier Jahre sind Investitionen in der Höhe von 25 Millionen Franken vorgesehen. Sie betreffen rund zwanzig touristische und andere infrastrukturelle Projekte, von denen einige – wie auch der Masterplan selbst – über die Neue Regionalpolitik (NRP) gefördert werden. Für Landschaftsprojekte im engeren Sinne steht zudem eine Million Franken zur Verfügung, insbesondere für grössere Aufwertungsarbeiten in der Valle Sascola.

Eines der Landschaftsprojekte, die Herrichtung der Weinberge zwischen Lodano und Moghegno im traditionellen Stil, ist inzwischen gestartet. Bereits realisiert ist der Einkaufsladen «Val Magia», den lokale Lebensmittelproduzentinnen und -produzenten beliefern. Eröffnet wurde auch das «Cà Vegia», ein historisches Patrizierhaus in Cerentino mit jahrhundertealter Originaleinrichtung, wo Feriengäste Übernachtungsmöglichkeiten finden. Eines der Vorzeigeprojekte des Masterplans, das sowohl die Bedürfnisse der Gäste als auch jene der Bevölkerung erfüllen soll, ist schliesslich der geplante Bau eines Hallenbads in Bignasco.

© regiosuisse

Trekking-Route als Erfolgsgeschichte

Das eigentliche Vorzeigeprojekt ist aber eine Trekking-Route, der Höhenweg «Via Alta Vallemaggia». Er startet bei den Hügeln am Lago Maggiore, zieht sich – teils auf Bergwanderwegen und alpinen Wegspuren – über die Bergkämme des Maggiatals Richtung Norden und endet in der hochalpinen Zone am Rande des Basòdino, des grössten Tessiner Gletschers. Der Weg erstreckt sich in zwei Varianten mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden über insgesamt 200 Kilometer. Die stark wechselnden Landschaftsszenerien sind das herausragende Merkmal dieses Weges.

Die Idee dazu entwickelte sich während der Erarbeitung des Masterplans 2016, erläutert Ferrari. Man sei von der bereits seit 2009 vorhandenen, 50 Kilometer langen Route auf der rechten Talseite ausgegangen und habe sie auf die andere Seite ausgeweitet. Das Projekt befindet sich mitten in der Umsetzung: Die Route ist erstellt, wofür zusammen mit der Beschilderung und dem Marketing rund 200 000 Franken aufgewendet wurden. Wo möglich, wurden bestehende Wege genutzt, instandgestellt oder abschnittsweise auch neu gebaut. Nun sind die Renovations- und Erweiterungsarbeiten an rund 15 Berghütten, zum Teil verfallenen früheren Rusticosiedlungen, im Gange.

Christian Ferrari (links ) und Timo Cadlolo © regiosuisse

Die «Capanna Alp da Canaa» ist eine der grössten Hütten. Ihr Schlafplatzangebot wird auf zwanzig Plätze verdoppelt. An den Kosten von 820 000 Franken beteiligt sich zur Hälfte der Kanton via NRP. Für den Rest kommen unter anderem der Hilfsfonds der regionalen Burgergemeinden, die «Ente Regionale Lago Maggiore è Vallemaggia», die Gemeinde Maggia und der Grossverteiler Coop auf.

Mit der «Via Alta Vallemaggia» soll mit möglichst geringen Landschaftseingriffen eine neue Attraktion entstehen. Letzten Sommer habe sich das Trekking-Angebot bereits als Erfolgsgeschichte entpuppt, freut sich Masterplan-Koordinator Cadlolo. Die Berghütten seien sehr gut besucht gewesen, dies trotz der Corona-Vorschriften, die die Bettenkapazität verringert hätten. Laut Cadlolo stammte die Mehrheit der Hüttenbesucherinnen und -besucher aus der Deutschschweiz. Der Masterplan-Koordinator schliesst nicht aus, dass sich im kommenden Sommer die Trekking-Übernachtungen in den Berghütten auf insgesamt 1500 verdoppeln.

© regiosuisse

Tourismus attraktivieren – Landschaftsqualität erhalten

Die Einweihung des Weges am kommenden 24. Juli steht noch bevor. Doch jetzt schon hat sich der Höhenweg zu einem Wirtschaftsfaktor entwickelt. Vor dem Trekking-Projekt übernachteten in der unbewarteten «Capanna Alp da Canaa» pro Saison etwa 300 Personen für jeweils 35 Franken. In zwei oder drei Jahren dürften es bis zu 500 Übernachtungen pro Saison sein, erwartet Ferrari. Zu den unbewarteten und nun vernetzten Berghütten gesellen sich bewartete Unterkünfte, in denen einem für rund 65 Franken nebst einem Bett auch Abendessen und Frühstück angeboten werden.

Nach Abschluss der Hüttensanierungs- und -ausbauarbeiten sollen weitere Dienstleistungen wie geführte Touren das Angebot ergänzen. Um die Bettenzahl zusätzlich zu erhöhen, ist auch dieses Jahr die Errichtung von Schlafzelten vorgesehen. Auch eine Online-Reservierung soll ermöglicht werden.

Bei aller eifriger Ausbautätigkeit hält Ferrari fest, das Ziel im Hinblick auf die Landschaft des Maggiatals bleibe, sie als Touristenattraktion zu nutzen – aber als möglichst unberührte Alpenlandschaft. Denn genau das ist in Ferraris Augen ihr grösster Wert.

invallemaggia.ch/it/progetti

viaaltavallemaggia.ch

regiosuisse.ch/nrp

Weitere Artikel

Ticino a tavola

«Das Tessin bittet zu Tisch» – mit Spezialitäten, deren Zutaten aus lokaler Produktion stammen. Das ist das Konzept des 2009 gestarteten nrp-Projekts «Sapori del Ticino a Tavola» (seit 2013 «Ticino a Tavola»; «regioS 07»). Zuständig für «Ticino a tavola» ist das Kompetenzzentrum für Agrarprodukte und Nahrungsmittel.

Die Tessiner Lust auf «local food»

Die Sonnenstube der Schweiz entwickelt sich zu einem Gastroparadies der authentischen Art: Auf die Teller von Tessiner Restaurants kommen immer mehr Menüs aus lokaler Produktion. «Unsere Produkte werden bei Tessiner Kundinnen und Kunden und den Gästen immer beliebter», sagt CCAT-Direktorin Sibilla Quadri.

Momentan beteiligen sich 98 Tessiner Restaurants am Projekt sowie vier ausserkantonale; letztes Jahr waren es noch 150. Der Rückgang ist eine Folge verschärfter Aufnahmekriterien. Unter anderem muss nun jedes Mitgliedsrestaurant mindestens drei lokale Hauptmenüs anbieten, die ausschliesslich aus regionalen und saisonalen Zutaten bestehen. Dazu gehören etwa der Mais für die Polenta oder der Reis aus Ascona für den Risotto.

Zudem baute das CCAT das Webportal aus, über das auch der Online-Verkauf organisiert ist, und es wurden neue Verkaufsläden eröffnet.

ticinoatavola.ch
ccat.ch

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Programm «Smart Villages/Smart Regions»

Die Digitalisierung betrifft alle Lebensbereiche; auch Gemeinden und Regionen in Berggebieten eröffnet sie neue Möglichkeiten. Im Rahmen der NRP-Pilotmassnahmen für die Berggebiete haben das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) das Programm «Smart Villages/Smart Regions» lanciert. Das Programm bietet Beratung und finanzielle Unterstützung für Gemeinden und Regionen, die in einem partizipativen Prozess Massnahmen erarbeiten, mit denen sich die digitalen Möglichkeiten für die wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung nutzen lassen. Ziel ist es, jeweils einen von der Gemeindeexekutive verabschiedeten Aktionsplan mit konkreten Umsetzungsprojekten zu entwerfen. Die Möglichkeiten des Programms nutzen bereits mehr als ein Dutzend Gemeinden und Regio­nen. Weitere können teilnehmen.

Mehr zum Programm und zur Teilnahme

regiosuisse.ch/nrp-pilotmassnahmen-berggebiete

Landschaft in der Regionalentwicklung – eine lohnende Herausforderung

Pirmin Schilliger & Urs Steiger
Die Schönheit und Eigenart der Landschaft stellt in vielen ländlichen Regionen und Berggebieten der Schweiz, aber auch in den Agglomerationen, einen zentralen wirtschaftlichen Faktor dar. Mancherorts bildet sie die eigentliche Lebensgrundlage. Es drängt sich damit die Frage auf, wie weit sich diese Regionen wirtschaftlich entwickeln können, ohne dass ihre Landschaften an natürlichen und baukulturellen Qualitäten einbüssen. Einen Weg für einen sorgfältigen Umgang mit Landschaft bietet der Bund mit den Pärken von nationaler Bedeutung. Auch im Rahmen der Neuen Regionalpolitik (NRP), der Modellvorhaben Nachhaltige Raumentwicklung und weiterer staatlicher und privater Förderinstrumente sind in den vergangenen Jahren zukunftsweisende Projekte lanciert worden. Die Inwertsetzung von Landschaft erweist sich in der Umsetzung allerdings als anspruchsvolle Aufgabe mit langem Zeithorizont, die in die verschiedensten Lebens- und Wirtschaftsbereiche hineinwirkt.

Ranger Stefan Steuri vom Naturpark Gantrisch © regiosuisse

Noch vor einem Jahrzehnt war das Gantrisch-Gebiet eine wenig bekannte Landschaft. Dies hat sich in den letzten Jahren geändert. Die waldreiche Voralpengegend mit den tief eingeschnittenen Flussläufen von Sense und Schwarzwasser, der Gantrisch- und Gurnigelkette, Moorlandschaften, dem Schwarzsee sowie der Urlandschaft Brecca gehört seit 2012 unter dem Label «Regionaler Naturpark Gantrisch» (RNG) zum erlesenen Kreis der regionalen Naturpärke der Schweiz. Wie 18 weitere Gebiete untersteht der RNG damit der Pärkeverordnung (PäV, Verordnung über die Pärke von nationaler Bedeutung) und gilt als Modellregion für eine nachhaltige Regionalentwicklung. Die Pärkeverordnung ermöglicht es dem Bund, die Errichtung und den Betrieb von Pärken in Gebieten mit hohen Natur- und Landschaftswerten finanziell zu fördern.

Attraktive Angebote

«Die Gründung des Parks hat in unserer Region eine Reihe von Projekten ausgelöst», sagt RNG-Sprecherin Ramona Gloor. Touristische Angebote erschliessen das Gantrisch-Gebiet heute als alpine Outdoorlandschaft, als Bike- und Fahrradregion oder Seilpark. Eine weitere Attraktion ist der kürzlich erneuerte «Gäggersteg», auf dem Besucherinnen und Besucher aus nächster Nähe beobachten, wie sich der Wald seit dem Sturm Lothar im Jahr 1999 entwickelt hat.

Gloor spricht im Zusammenhang mit dem Aufbau und Betrieb des Parks von einer «anspruchsvollen Aufgabe», bei der das richtige Mass oft entscheidend sei. An schönen Wochenenden etwa geraten die urtümlichen Moor- und die wilden Flusslandschaften schnell unter Naherholungsdruck. Das Team des Naturparks Gantrisch begegnet dieser Herausforderung mit einer gezielten Besucherlenkung und mit Rangern, die die Gäste auf die richtigen Wege lotsen. Gloor meint: «Wir wollen nicht mit mehr und mehr Angeboten stets noch mehr Gäste ins Gantrisch-Gebiet locken; der Tourismus muss auf den Nachhaltigkeitsprinzipien aufbauen und unseren Parkwerten entsprechen.»

Naturpark als Vorzeigemarke

Wirtschaftlich profitiert vom Naturpark die Land- und Forstwirtschaft ebenso wie das lokale Gewerbe; mittlerweile werden über 300 Erzeugnisse unter dem Produktlabel «Schweizer Pärke» vermarktet. Nicht zuletzt ist die Parkorganisation selbst ein wichtiger Auftrag- und Arbeitgeber. Ausserdem funktioniert sie als Vernetzungsplattform für die beteiligten Akteurinnen und Akteure. «Seit der Errichtung des Naturparks herrscht in unserer Region Aufbruchstimmung; der Park hat dem Gantrisch-Gebiet zu einer eigenen Identität verholfen», stellt Gloor fest. Das naturnahe Gebiet in den Berner und Freiburger Voralpen hat sich als unverwechselbare und eigenständige Region und als touristische Marke etabliert. Es ist zum Vorzeigebeispiel geworden, wie Landschaft nachhaltig in Wert gesetzt und gleichzeitig in ihrer Qualität gestärkt werden kann.

Dieses Fazit ziehen die Expertinnen und Experten des Interdisziplinären Zentrums für Nachhaltige Entwicklung und Umwelt (CDE) der Universität Bern im Evaluationsbericht, den sie zuhanden des für den Park verantwortlichen Kantons Bern erstellt haben. Mit Zahlen belegt der Bericht den Beitrag zur Stärkung und Förderung der regionalen Wirtschaft: Die durch den Naturpark induzierte touristische Wertschöpfung betrug 2018 rund 7,3 Millionen Franken. Dies entspricht beschäftigungsmässig 87 Vollzeitstellen. Die zusätzliche Wertschöpfung aus regionalen Produkten belief sich im Zeitraum 2012 bis 2018 auf knapp 9 Millionen Franken. Nicht berücksichtigt sind in diesen Summen Leistungen zur Aufwertung von Natur und Landschaft wie das Offenhalten von Wiesen und Weiden (Schwenten), Heckenunterhalt und -pflege, Neubepflanzungen, Nistplatzpflege, Trockensteinmauersanierungen usw., die Landwirte sowie private Organisationen im Park erbringen. Die Expertinnen und Experten sehen aber auch noch wirtschaftliches Entwicklungspotenzial für den RNG, beispielsweise bei der Wertschöpfung mit Holz oder in der Gastronomie.

Ein ähnlich positives Fazit wie für den Naturpark Gantrisch liesse sich für die meisten der 18 Schweizer Pärke von nationaler Bedeutung ziehen, die zusammen über 5200 Quadratkilometer oder rund einen Achtel der Landesfläche einnehmen. Das Ziel, das der Bund mit den Pärken von nationaler Bedeutung verfolgt – die Natur- und Landschaftsqualität im Einklang mit einer nachhaltigen regionalen Wirtschaftsentwicklung erhalten und aufwerten –, deckt sich dabei weitgehend mit den Zielen der Neuen Regionalpolitik (NRP).

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«Landschaftskonzept Schweiz» (LKS) als Richtschnur

Die Landschaften der dicht besiedelten Schweiz sind zumeist belebte Räume, vom Menschen geprägt und auf vielfältige Weise beansprucht und genutzt: als Wohn-, Arbeits-, Erholungs-, Bewegungs-, Kultur- und Wirtschaftsraum und als räumliche Basis für die Biodiversität. Es sind Landschaften, die sich über die Jahrhunderte entwickelt haben und gerade in den letzten Jahrzehnten enorm umgestaltet wurden. In unserer durch Wachstum und Mobilität geprägten Gesellschaft müssen sie unterschiedlichsten Ansprüchen genügen. Das 2020 vom Bundesrat verabschiedete, aktualisierte «Landschaftskonzept Schweiz» (LKS)1 ist die eigentliche Richtschnur für einen Ausgleich der Interessen und gibt den Rahmen für eine kohärente und qualitätsorientierte Entwicklung der Landschaft vor. Die Vision des Bundesrates ist es, dass die Schönheit und die Vielfalt der Schweizer Landschaften mit ihren regionalen natürlichen und kulturellen Eigenarten sowohl heutigen als auch künftigen Generationen eine hohe Lebens- und Standortqualität bieten. Zur Realisierung dieser Vision definiert das LKS je sieben allgemeine und landschaftsspezifische Landschaftsqualitätsziele sowie darauf abgestimmte Sachziele für die landschaftsrelevanten Sektoralpolitiken. Das LKS wirkt dabei als Koordinationsinstrument der verschiedenen Gesetze und Instrumente, die sich mit der Landschaft befassen – dies betrifft den Natur- und Heimatschutz und die Raumplanung ebenso wie die Landwirtschaftspolitik, die Landesverteidigung, die Regionalpolitik oder den Tourismus. So soll die Regionalentwicklung etwa die Vielfalt der Landschaften mit ihren regionaltypischen Natur- und Kulturwerten als wichtigen Standortqualitäten und insbesondere als Alleinstellungsmerkmalen stärker berücksichtigen. Sie soll sowohl zu deren Sicherung wie auch zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung beitragen.

Der Kanton als Koordinator und Wegbereiter

Projekte zu entwickeln, die den gesellschaftlichen Ansprüchen an eine hohe Landschaftsqualität gerecht werden und wirtschaftlich erfolgreich – also insgesamt nachhaltig – sind, bringt für die jeweiligen Initianten einige Herausforderungen mit sich. Es gilt den Aktionsradius zu definieren, in dem der Aufwand und der wirtschaftliche Ertrag räumlich in etwa übereinstimmen, sich aber auch in den vielfältigen Vorschriften, Fördermöglichkeiten und Handlungsebenen zurechtzufinden. Erfolgreiche Beispiele, Hilfsmittel und Unterstützungsangebote weisen inzwischen den Weg. Der Kanton Tessin beispielsweise hat mit der «Piattaforma paesaggio» eine Anlaufstelle beim Amt für Raumentwicklung etabliert, die entsprechende Projekte koordiniert. Sie dient Projekt­initianten – ob Gemeinden, Korporationen, Vereinen oder Verbänden – als eine Art One-Stop-Shop. Expertinnen und Experten helfen bei der Finanzierung, beraten und begleiten die Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller und leiten sie zu weiteren Fördermöglichkeiten, etwa zu privaten Organisationen und Stiftungen. «Das finanzielle Engagement des Kantons ist oft eine entscheidende Voraussetzung, um weitere Unterstützung zu erhalten», erklärt Paolo Poggiati, Präsident der «Piattaforma paesaggio». Im Zeitraum von 2008 bis 2018 wickelte die Plattform 57 Projekte mit einem Investi­tionsvolumen von insgesamt rund 30 Millionen Franken ab. Nicht zuletzt bündelt die Plattform auch die Aufgaben aller beteiligten kantonalen Ämter (Wirtschaft, Wald und Landwirtschaft, Natur- und Heimatschutz, Denkmalpflege usw.). «Die Projekte sind vor allem für die abseits gelegenen Seitentäler und Berggebiete enorm wichtig», betont Poggiati. «Dort haben die Initiativen lokale Wertschöpfungsketten wiederbelebt und neue Formen der Zusammenarbeit ausgelöst.»

Good Practices landschaftsbezogener Regionalentwicklung

Im Auftrag des BAFU hat die PLANVAL AG die praktischen Möglichkeiten untersucht, ob und wie die Landschaft als Potenzial für eine nachhaltige regionale Entwicklung wirken kann und wie Regionen in ihrer Entwicklung konkret von einem «Leitthema Landschaft» profitieren können. Die Studie2 umfasst mehr als hundert Landschaftsprojekte und kategorisiert deren Strategien zur Inwertsetzung der Landschaft als «marktwirtschaftlich» (Wohnstandort, Tourismus, Energie), «Abgeltung für Landschaftsleistungen» oder «gemischt» (Pärke, Landwirtschaft). Vertieft beleuchtet die Studie schliesslich zwölf Musterbeispiele aus der Schweiz, die inhaltlich ein breites Spektrum von Aktivitätsbereichen abdecken. Die Inwertsetzung gelingt am besten, wenn die spezifischen Potenziale einer Landschaft erkannt, gezielt genutzt und erhalten werden. Dazu braucht es meist das Zusammenspiel mehrerer Fachbereiche wie Tourismus, Landwirtschaft und Naturschutz. Ein zentrales Merkmal der Musterbeispiele ist, dass sich eine Stelle um die langfristige Steuerung und Koordination kümmert. Als sehr hilfreich haben sich dabei regionale Strategien erwiesen (vgl. «regioS 17»). Für die Umsetzung in der Praxis skizziert die Studie ein Modell mit Entwicklungspfaden, die sich in sechs Phasen gliedern lassen. Betont wird ausserdem die langfristige Ausrichtung. Schnelle Erfolge erleben die Beteiligten selten, gefragt sind vielmehr Beharrlichkeit, Durchhaltewille und Geduld.

© regiosuisse Basierend auf: «Landschaft als Leitthema für eine nachhaltige Regionalentwicklung». Eine Analyse von Musterbeispielen. Schlussbericht. PLANVAL, im Auftrag des BAFU. Bern, 2019.

«100 % Valposchiavo»

Eindrücklich zeigt dies die Landschaftsentwicklung im Puschlav, wo derzeit die zweite Etappe des Projekts «100 % Valposchiavo» läuft. Das Ziel: Bis 2028 sollen alle Bauern und Bäuerinnen im Tal ihre Betriebe nicht nur biologisch bewirtschaften, sondern auch alle Erzeugnisse – Milch- und Fleischprodukte, Buchweizenmehl, Kräuter, Früchte usw. – selber verarbeiten und unter dem Label «100 % Valposchiavo»® vermarkten. Die Region baut damit eine geschlossene Wertschöpfungskette auf. Mit gutem Erfolg: «Es gibt heute schon über hundert Produkte mit dem Zertifikat», erklärt Cassiano Luminati, Direktor des Polo Poschiavo. Die meisten Restaurants im Tal führen seit 2015 auf ihrer Speisekarte Gerichte, die ausschliesslich mit lokalen Zutaten zubereitet sind. An den Kosten der aktuellen Etappe 2021 bis 2028 beteiligt sich der Bund im Rahmen des Programms «Projekte zur regionalen Entwicklung» (PRE) des Bundesamtes für Landwirtschaft mit 10,7 Millionen Franken. Die Entwicklung des Puschlavs zum innovativen «Bio Smart Valley» ist von langer Hand geplant. «Das Tal zählt zu den Pionieren der biologischen Landwirtschaft», ruft Luminati in Erinnerung. Bereits heute werden 95 Prozent der Landwirtschaftsfläche biologisch bewirtschaftet – ein schweizweit einmaliger Anteil. Ein entscheidender Schritt für die Entwicklung im Tal war die Anerkennung der Bernina-Bahnlinie als UNESCO-Welterbe 2008. «Wir haben in der Folge partizipativ eine regionale Strategie entwickelt, die die materiellen und immateriellen Ressourcen unseres Gebietes in den Mittelpunkt stellt», sagt Luminati. Ziel ist es, das Valposchiavo zur grundlegenden wirtschaftlichen Basis der regionalen Entwicklung zu machen; der Weg dazu führt über eine Symbiose aus biologischer Landwirtschaft und nachhaltigem Tourismus auf dem Fundament der einzigartigen Landschaft. Das Tal steckt somit mitten in einem Langzeitvorhaben, das die Bevölkerung Schritt für Schritt in die Tat umsetzen wird. Sie nutzt dazu geschickt die zahlreichen Instrumente, die die Politik zur Verfügung stellt. Mit dem jüngsten Projekt – dem Modellvorhaben «Landschaftswerte für die nächste Generation erhalten» – versucht das Tal den Weg in die Zukunft mittels einer gemeinsamen «Perspektive 2040» weiter zu justieren. Das historische Gedächtnis des Tals, das traditionelle Landschaftswissen und die Wertvorstellungen der lokalen Bevölkerung sollen noch stärker in die Regionalentwicklungsprozesse einfliessen.

Blick auf Poschiavo GR im Puschlav © regiosuisse

Geschichte neu lanciert

Über alle Förderinstrumente betrachtet, betreffen rund zwei Drittel aller in der PLANVAL-Studie untersuchten Projekte zur Inwertsetzung von Landschaft den Tourismus. Das ist kein Zufall, bedenken wir die einzigartige Dichte attraktiver Landschaften in der Schweiz und die historische Entwicklung. Die «Entdeckung der Alpen» durch vorwiegend englische Bildungsreisende begründete gleichsam den Schweizer Tourismus. In Anlehnung an die sogenannte «Grand Tour», die Thomas Cook 1858 erstmals als Pauschalreise durch die Schweiz organisierte, steht bei dem 2015 von Schweiz Tourismus lancierten Projekt «Grand Tour of Switzerland» die landschaftliche Vielfalt im Mittelpunkt. Die 1640 Kilometer lange Route führt – meist im eigenen Auto – durch die spektakulärsten Landschaften und die attraktivsten Städte der Schweiz. Sie verknüpft 5 Alpenpässe, 22 Seen, 12 UNESCO-Welterbestätten und 45 Sehenswürdigkeiten. Das Angebot greift dabei auf bestehende Infrastrukturen im Verkehr, in der Gastronomie und der Hotellerie zurück. Neu sind lediglich 650 diskrete Wegweiser sowie 48 installierte «Fotorahmen», die besondere Landschaftsausschnitte einfassen und zum Fotografieren einladen. «Mit ihnen rücken wir die ikonografischen Landschafts- und Siedlungsbilder ins eigentliche Zentrum des Erlebnisses», erklärt Konzeptentwickler Matthias Imdorf von der Erlebnisplan AG, der als Berater mit von der Partie war. Imdorf ist überzeugt, dass die Inwertsetzung der Landschaft noch «fast endloses Potenzial bietet».

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Ökonomischer Nutzen schwer erfassbar

Die Fallbeispiele der PLANVAL-Studie veranschaulichen eindrücklich, dass eine nachhaltige, qualitätsorientierte und vielfältige Nutzung und Bewirtschaftung von Landschaft gelingen kann. Vorausgesetzt werden die Kenntnis der komplexen gesetzlichen Rahmenbedingungen und eine zielgerichtete Koordination der Beteiligten im Sinne einer Good Governance.

Der ökologische und landschaftsästhetische Nutzen ist in vielen Fallbeispielen ebenso offensichtlich wie die ideellen Benefits wie Imagegewinn, Kooperationskultur oder neue sozioökonomische Netzwerke. Welche konkrete Wertschöpfung sich mit landschaftsbezogenen Produkten und Dienstleistungen effektiv erzielen lässt, bleibt aber mangels Daten häufig diffus. Es lässt sich nur indirekt ermitteln, welcher volkswirtschaftliche Nutzen einer Region entgeht, wenn sie auf die Inwertsetzung der Landschaft verzichtet. In dieser Hinsicht gilt es noch einige ökonomische Grundlagenarbeit zu leisten. «Zwar lässt sich der unmittelbare Nutzen der Landschaft etwa für die Land- und Forstwirtschaft oder für eine konkrete Region und Fragestellung meistens ziemlich genau berechnen, doch die kulturellen und touristischen Leistungen von Landschaft lassen sich insgesamt schwer beziffern», stellen Ökonomen der HES-SO Genève in einer Metastudie3 fest.

Nicht zwingend besteht eine direkte Beziehung zwischen dem ökologischen Wert einer Landschaft, etwa als Hotspot der Biodiversität, und ihrem ökonomischen Wert. Ein vielbesuchter Stadtpark ist ökonomisch allenfalls wertvoller als ein peripheres Naturgebiet. Um den Wert und die Leistungen einer Landschaft trotzdem zu erfassen, bedient sich die Landschaftsökonomie indirekter Methoden, etwa um mithilfe der Immobilienwerte die Seesicht und das Bergpanorama zu bewerten. Eine BAFU-Studie4 aus dem Jahre 2014 ermittelt auf solche Weise den Erholungswert des Schweizer Waldes auf zwei bis vier Milliarden Franken pro Jahr. Eine Studie5 der ETH und der Schweizer Pärke von 2018 beziffert die touristische Wertschöpfung für den Landschaftspark Binntal auf 22 Millionen Franken und für den Parc Ela auf 106 Millionen Franken pro Jahr.

Insgesamt ist die Faktenlage hinsichtlich der ökonomischen Bewertung der Landschaft deshalb zurzeit noch unbefriedigend. Die Messbarkeit landschaftsinduzierter Wertschöpfung wäre aber eine wichtige Voraussetzung, um landschaftsbezogene Regionalentwicklung gezielter anzugehen. Der Tourismusexperte Jürg Schmid sieht vor allem im naturnahen Tourismus überdurchschnittliche Wachstumsmöglichkeiten, die genutzt werden könnten, ohne die Landschaftsqualität zu beeinträchtigen. «Die regionalen Naturpärke und die Welterbegebiete präsentieren die Essenz der Schweizer Natur und die regionale Vielfalt. Doch es fehlen lustvolle, gästeorientierte Angebote und spezifisch auch Erlebnisse für den Premium-Reisemarkt, die das grosse Potenzial in Wertschöpfung umsetzen», so Schmid (vgl. Roundtable «Die attraktive Landschaft ist das Fundament unseres Tourismus.»).

Potenziale, Instrumente und gute Vorbilder, um die hohe Landschaftsqualität in den Regionen der Schweiz zu nutzen und gleichzeitig zu fördern, sind also vorhanden. Was es braucht, sind engagierte Menschen mit guten Ideen und einem langen Atem, die die Potenziale erkennen und andere Leistungsträger zum Mitmachen begeistern.

Gesetzlicher Rahmen und Förderinstrumente

Landschaftsrelevante Gesetzgebung: Bundesverfassung (BV), Raumplanungsgesetz (RPG), Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz (NHG), Pärkeverordnung (PäV), Landwirtschaftsgesetz (LwG), Waldgesetz (WaG), Gewässerschutzgesetz (GSchG), Bundesgesetz über Fussund Wanderwege (FWG), Jagdgesetz (JSG), Bundesgesetz über die Fischerei (BGF), Energiegesetz (EnG), Nationalstrassengesetz (NSG), Eisenbahngesetz (EBG), Landschaftskonzept Schweiz (LKS) u.a.

Förderinstrumente des Bundes: Neue Regionalpolitik (NRP), Pärkepolitik des Bundes, ProgrammvereinbarungenNaturschutz und LandschaftFinanzhilfen nach Art. 13, NHG (Historische Verkehrswegeund Ortsbilder/Denkmalpflege), Projekte zur regionalen Entwicklung(PRE), Landschaftsqualitätsprojekte(LQP), Modellvorhaben NachhaltigeRaumentwicklung (MoVo), Tourismusförderung^(Innotour), Landschaftsfonds Schweiz u.a.

gantrisch.ch

valposchiavo.ch

grandtour.myswitzerland.com

regiosuisse.ch/nrp

parks.swiss

bafu.admin.ch/paerke

blw.admin.ch/pre

regiosuisse.ch/finanzhilfen

Literatur und weiterführende Informationen

Weitere Artikel

Landschaft – Kapital einer Bergregion

Lukas Denzler

Als naturnahe Landschaft stellt das Zürcher Berggebiet rund um den Tössstock einen Kontrapunkt zur hektischen Agglomeration Zürich dar. Die ländliche Hügelregion verfügt über hohe Natur- und Landschaftswerte. Der Verein Pro Zürcher Berggebiet hat das Potenzial erkannt und sich zum Ziel gesetzt, die attraktive Landschaft zusammen mit dem Kanton Zürich im Rahmen der Neuen Regionalpolitik (NRP) vermehrt in Wert zu setzen.

Der Wanderweg führt vom Bahnhof Fischenthal ein Stück der Töss entlang, bevor er an abgelegenen Höfen vorbei und über Weiden steil zum Hüttchopf ansteigt. Dort öffnet sich der Blick zum Schnebelhorn und zum Tössstock. Bereits 1912 wurde dieses waldreiche Gebiet vom Zürcher Regierungsrat als Pflanzen- und Wildschongebiet bezeichnet. Weiter führt der Weg zur Alp Scheidegg, wo der Blick von den Glarner Alpen über die beiden Zacken der Mythen bis zu Rigi und Pilatus schweift. Im Vordergrund, sanft eingebettet in die Landschaft, der Zürichsee mit dem Seedamm.

Das Zürcher Oberland und das Tösstal bieten ideale Möglichkeiten für kürzere oder längere Wanderungen. Von Rapperswil, Wetzikon, Uster, Zürich und Winterthur her gut erreichbar, stellen sie einen Gegensatz zur hektischen Agglomeration Zürich dar. Die hohen Natur- und Landschaftswerte widerspiegeln sich nicht zuletzt darin, dass der überwiegende Teil des Zürcher Berggebiets zum Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung gehört (BLN 1420, Hörnli-Bergland).

Landschaftliche Qualitäten als Basis der Zürcher NRP

Der Verein Pro Zürcher Berggebiet und das ihm angegliederte Regionalmanagement Zürioberland haben diesen Trumpf erkannt. Zusammen mit dem Kanton Zürich möchten sie die Landschaft im Rahmen der Neuen Regionalpolitik (NRP) vermehrt in Wert setzen. Dem Verein gehören dreizehn Gemeinden an, neben zehn Gemeinden im Zürcher Oberland und im Tösstal auch die beiden Thurgauer Gemeinden Bichelsee-Balterswil und Fischingen sowie das sanktgallische Eschenbach. Aufgrund der Topografie, der touristischen Anziehungspunkte sowie der Liefer- und Wertschöpfungsketten handelt es sich um einen funktionalen Raum. Entsprechend wurde auch der NRP-Perimeter kantonsübergreifend festgelegt. Der Kanton Zürich trägt dabei die Programmverantwortung und fragt die Kantone Thurgau und St. Gallen an, sich finanziell zu beteiligen.

© regiosuisse

Für die NRP zuständig ist im Kanton Zürich das Amt für Landschaft und Natur (ALN) der Baudirektion. Grund dieser speziellen Situation ist, dass sich das Zürcher Berggebiet, das bis letztes Jahr allein das NRP-Wirkungsgebiet des Kantons ausmachte, durch hohe Landschafts- und Naturwerte auszeichnet. Die grundsätzliche Stossrichtung der NRP bestand im Kanton Zürich daher von Anfang an darin, die regionale Wertschöpfung ausgehend von den landschaftlichen Qualitäten zu steigern.

Lebensqualität als zentraler Standortfaktor

Für den Wirtschaftsraum Zürich mit seinen internationalen Unternehmen und Hochschulen, die auf hochqualifizierte Arbeitskräfte angewiesen sind, stellt die Lebensqualität einen zentralen Standortfaktor dar. Die gut erreichbaren ländlichen Räume gewinnen in diesem Zusammenhang an Bedeutung (siehe Kasten). Das Bedürfnis der Menschen nach Erholung in intakten Landschaften und idyllischer Natur als Ausgleich zum hektischen Alltag ist gross. «Somit gewinnt das landschaftliche und kulturelle Kapital des Zürcher Berggebiets an Bedeutung», folgert Daniela Waser, Geschäftsführerin des Regionalmanagements Zürioberland. Durch gezielte Angebote könne dieses zu einer qualitativen Entwicklung der Region beitragen. Bereits in der NRP-Periode 2016–2019 lancierte man das Vertragsziel «Ruhelandschaft» mit der Absicht, das Zürcher Berggebiet als Ort der Ruhe, der Zeit und der Gesundheit zu positionieren. Es ergänzte andere NRP-Schwerpunkte wie die Förderung von Tourismus und regionalen Produkten in idealer Weise.

Ein wichtiger Meilenstein war die Erarbeitung einer Grundlagenstudie des Instituts für Umwelt und Natürliche Ressourcen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil zum Potenzial des Zürcher Berggebiets als «Ruhelandschaft». Die Themen «Ruhe», «Zeit» und «Gesundheit» seien gut gewählt und nähmen die gesellschaftlichen Bedürfnisse nach Erholung, Entschleunigung und Ausgleich auf, schreiben die Autorinnen und Autoren. Es bestehe grosses Potenzial, die vorhandenen Werte in die regionalen Wertschöpfungsketten des Zürcher Berggebiets einzubinden. «Der Bericht bestätigt, dass das Vertragsziel ‹Ruhelandschaft› vielversprechend ist und eine solide Grundlage darstellt, um nun konkrete Projekte zu entwickeln», stellt Franziska Heinrich vom ALN fest.

Blick von der Scheidegg bei Wald ZH zum Obersee und zum Alpenrand © regiosuisse

Angebote bündeln und besser sichtbar machen

Für viele Menschen ist die Landschaft eine Quelle der Inspiration. Kraftorte und Spiritualität gewinnen an Bedeutung. Im Nordosten des Zürcher Berggebiets etwa liegt das Benediktiner Kloster Fischingen, das auch Übernachtungsmöglichkeiten bietet. Es ist eine stille Oase für Kurse und Seminare und ein Geheimtipp für kulturelle Veranstaltungen.

In der aktuellen NRP-Periode geht es nun darum, konkrete Projekte anzupacken. «Wir wollen die bestehenden und die neuen Angebote bündeln und besser sichtbar machen», sagt Daniela Waser vom Regionalmanagement. Wichtig sei dabei, wie die Angebote unter dem Dach der «Ruhelandschaft» präsentiert würden. Dabei gehe es auch darum, den regionalen Akteurinnen und Akteuren und der lokalen Bevölkerung das Potenzial sichtbar zu machen, das sich mit der «Ruhelandschaft» eröffnet.

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Um das Zürcher Oberland als Komplementärraum zu den urbanen Gebieten zu entwickeln, gilt es aber auch, die Vereinbarkeit von Arbeit und Wohnen zu bessern – beispielsweise mit neuen Co-Working-Spaces. «Eine Chance stellt auch das Corporate Volunteering dar», betont Daniela Waser. Diese Angebote richten sich an Firmen, die ihren Mitarbeitenden Arbeitseinsätze mit gemeinnützigem Zweck ermöglichen wollen.

Das Regionalmanagement hat das Potenzial der Landschaft erkannt. An den regionalen Akteurinnen und Akteuren liegt es nun, den Ball aufzunehmen und Angebote zu entwickeln.

prozb.ch

regiosuisse.ch/nrp

Der kantonale Entwicklungsrahmen

Mit der «Langfristigen Raumentwicklungsstrategie (LaRES)» soll der Kanton Zürich auch in Zukunft ein attraktiver Lebens- und Wirtschaftsraum bleiben. Die Entwicklungsstrategie unterscheidet fünf Handlungsräume. Das Zürcher Berggebiet gehört überwiegend zum Handlungsraum «Kultur- und Naturlandschaften». Da die Siedlungsentwicklung künftig im Wesentlichen in den Stadt- und urbanen Wohnlandschaften stattfinden soll, ergibt sich für das Berggebiet mit seinen hohen Landschafts- und Natur-werten die langfristige Perspektive, sich als lebendigen Komplementärraum zu den Ballungszentren zu positionieren.

Weitere Artikel

Dank Resilienz Krisen trotzen

Pirmin Schilliger

Der Schwerpunkt der Neuen Regionalpolitik (NRP) liegt zwar darauf, die wirtschaftliche Entwicklung der Regionen längerfristig zu stärken und sie bei der Bewältigung des Strukturwandels zu unterstützen. Die Krisenintervention steht nicht im Fokus. Die Corona-Krise bietet jedoch Anlass, die bisherige Strategie kritisch zu durchleuchten. Die zentrale Frage dabei: Mit welchen Massnahmen und Projekten können sich die Regionen auf künftige Schockereignisse und generell auf einschneidende Veränderungen besser vorbereiten? Was können wir dabei allenfalls vom Ausland lernen? Klar scheint: Aspekte der Resilienz sollten künftig systematisch in die Regionalpolitik einfliessen. Doch was heisst das genau?

«In den letzten Jahren ist es uns gelungen, unsere Region stark als Destination für nachhaltigen Tourismus zu positionieren. Dies kam uns – zusammen mit dem traditionell hohen Anteil an Schweizer Gästen – in der Krise sicherlich entgegen», erklärt Martina Schlapbach, Regionalentwicklerin der Regiun Engiadina Bassa/Val Müstair. Dazu beigetragen, die Auswirkungen der Krise abzufedern, hätten nicht zuletzt verschiedene NRP-Projekte, die den nachhaltigen Tourismus förderten. Ähnlich tönt es in Bezug auf die aktuelle Krisenbewältigung im Berner Oberland: Stefan Schweizer, Geschäftsführer der Regionalkonferenz Oberland Ost, ist überzeugt, dass die Region dank der NRP «insgesamt breit abgestützt reagieren konnte». Er denkt dabei ebenfalls an zahlreiche NRP-Projekte, die in jüngster Zeit realisiert worden sind und auf einen vielseitigen und abwechslungsreichen Tourismus abzielen. Allerdings wirft Schweizer die Frage auf, wie weit man sich auf eine so aussergewöhnliche Situation wie die Corona-Krise überhaupt vorbereiten kann.

© regiosuisse

Die richtigen Schlüsse ziehen

Sollte die Pandemie schnell abklingen, sodass sich die Wirtschaft rasch wieder erholen kann, liesse sie sich als einmaliger Sonderfall abhaken. Ein Ausnahmeereignis, das nicht überinterpretiert werden sollte und aus dem keine falschen Schlüsse zu ziehen sind. Doch mit der zweiten Pandemiewelle deuten die Zeichen in eine andere Richtung: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft stehen weiterhin vor der Herausforderung, mit vereinten Kräften die Krise zu meistern und die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schäden möglichst zu begrenzen. Darüber hinaus gilt es die Auswirkungen dieses Ereignisses zügig und gründlich zu analysieren und die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Im Rahmen der NRP stellt sich die Frage, welche grundsätzlichen Schwächen die Pandemie im regionalen Wirtschaftsgefüge offengelegt hat. Dieser Aufarbeitungsprozess drängt sich speziell in jenen Regionen auf, die besonders unter den Auswirkungen der Pandemie gelitten haben. Deren Verwundbarkeit beziehungsweise Krisenexponiertheit sollte unter die Lupe genommen werden. Dabei interessiert die Beteiligten besonders, wie sich eine Region auf künftige Schocks und einschneidende Veränderungen besser vorbereiten kann. Und: Lassen sich die damit verbundenen Risiken und Gefahren bereits heute entschärfen oder vielleicht gar in Chancen umwandeln?

Eine Lösung könnte eine Regionalentwicklung bieten, die sich in Zukunft strikt an Aspekten der Resilienz ausrichtet. Doch was bedeutet dies? Der Begriff kommt von lateinisch «resilire», was so viel heisst wie «zurückspringen» oder «abprallen». «Resilienz» bezeichnet die Fähigkeit eines Systems, nach Störungen wieder in den ursprünglichen Zustand zurückzukehren. In der Psychologie ist ein resilienter Mensch gegenüber einschneidenden, schockartigen Ereignissen widerstandsfähig und bleibt auch in Krisensituationen psychisch stabil.

Seit rund zwei Jahrzehnten ist Resilienz auch Thema in der Ökonomie und der Ökologie. Genauso wie der Mensch kann auch ein komplexes System seine Strukturen und Funktionen dank laufender Anpassung selbst in heftigen Veränderungsphasen stabil und intakt halten. Es ist kein Zufall, dass der Begriff stets in Krisenzeiten Hochkonjunktur hatte und hat – während der Finanzkrise 2008, der Eurokrise 2015 oder nun in der Corona-Krise. Weltweite Vorreiter resilienzorientierter Strategien in der Raumentwicklung sind jene hundert Grossstädte, die sich 2011 dem von der Rockefeller-Stiftung initiierten internationalen Programm «Global Resilient Cities Network» angeschlossen haben. Das eigentliche Ziel seiner Bemühungen besteht darin, die Städte gegenüber klimatischen Extremereignissen und umweltbedingtem Stress resistenter zu machen.

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Ein Modell und weitere Ansätze

Das aus der Stadtplanung bekannte Konzept der Resilienz hat in jüngster Zeit in der ländlichen Regionalentwicklung Einzug gehalten. Spätestens mit der Studie der ÖAR Regionalberatung GmbH «Wie gehen Regionen mit Krisen um?» von 2010 im Auftrag des österreichischen Bundeskanzleramtes ist es in unserem östlichen Nachbarland ein Thema. Die dortigen Regionalforscher kamen zum Schluss, dass resiliente Regionen in Notsituationen einen von drei möglichen Entwicklungspfaden einschlagen: Entweder überstehen sie die Krise ohne negative Veränderungen (Entwicklungspfad 1), oder sie vermögen die negativen Veränderungen nach kurzer Zeit zu kompensieren (2) oder gar zu überkompensieren (3). Im besten Fall gehen sie also gestärkt aus der Krise hervor. Resilienz ist in diesem Sinne das heilsame Gegenmittel zur Vulnerabilität. Eine resiliente Region ist fähig, in Krisensituationen ungeahnte Selbstheilungskräfte zu mobilisieren. Sie findet auf Bedrohungen und Herausforderungen rasch die richtige Antwort. Die drei Entwicklungspfade beruhen auf sozialen, ökologischen und ökonomischen Indikatoren, die sich klar identifizieren und messen lassen: Zu ihnen zählen unter anderem Bevölkerungsentwicklung, Lebenszufriedenheit, Kulturausgaben, Umweltqualität, Risikoexposition, Wertschöpfung, Durchmischung der Betriebe, Neugründungen usw. Die ÖAR Regionalberatung GmbH hat in ihrer Studie ein umfassendes Resilienzmodell entwickelt. Der Weg zur resilienten Region führt über bewusste Steuerungs-, Gestaltungs- und Ausgleichsprozesse. Diese verknüpfen das Grundprinzip der nachhaltigen Entwicklung mit wirtschaftlicher und gesellschaft­licher Diversifizierung, Bildung und Weiterbildung, Zukunftsorientierung sowie Innovation und Fehlerkultur.

Mittlerweile gibt es neben dem Modell der ÖAR weitere Ansätze, die zeigen, wie Resilienz in den ländlichen und peripheren Räumen etabliert werden könnte. Gabi Troeger-Weiss, Leiterin des Lehrstuhls für Regionalentwicklung an der Technischen Universität Kaiserslautern, betreibt vor allem raumbezogene Risikoforschung. Sie untersucht, wie sich demografische, gesellschaftliche, soziale, klimatologische und wirtschaftliche Trends wie die Digitalisierung auf die Resilienz der Region von morgen auswirken könnten. Die «Ländliche Entwicklung Bayern» des Bundeslandes Bayern hat 2019 im Oberallgäu ein Pilotprojekt lanciert, das Anknüpfungspunkte identifizieren soll, wo die Resilienz in der Regionalentwicklung berücksichtigt werden kann. Pragmatisch geht das Thema «The Resilient Regions Association» an, die in Malmö (Schweden) eine politisch neutrale Plattform dafür geschaffen hat. Vertreterinnen und Vertreter von Hochschulen, Wirtschaft, Gemeinden, Regionen und Unternehmen treffen sich regelmässig, um unter dem Blickwinkel der Resilienz regionale Aufgaben zu lösen.

Einen inhaltlich breiteren Ansatz verfolgen Daniel Deimling und Dirk Raith. Die beiden Regionalforscher der Universität Graz propagieren eine alternative Vision regionaler Resilienz als zukunftsfähiges Paradigma regionaler Entwicklung. Diese Art von Resilienz sollte sich nicht in einer blossen Anpassung an externe Krisen und Schocks erschöpfen, sondern vielmehr transformativ angelegt sein und eine Reregionalisierung und Relokalisierung anstreben. Regionen sollten befähigt werden, auch völlig veränderten Bedingungen zu trotzen. Periphere Regionen könnten so den Teufelskreis aus Abwanderung und Verlust der Lebensgrundlagen durchbrechen.

Vulnerabilität und Resilienz
Das Konzept der Vulnerabilität (Verwundbarkeit, englisch «vulnerability») und der Resilienz hat sich seit den 1980er-Jahren zu einer zentralen Kategorie verschiedener akademischer Disziplinen entwickelt. Über das Fach «Geografie» hat es mitsamt den beiden Begriffen auch in der Raumentwicklung Einzug gehalten, vor allem im Zusammenhang mit Naturgefahren und dem Klimawandel. Der konzeptionelle Kern der Vulnerabilitäts- beziehungsweise der Resilienztheorie liegt in einem doppelten strukturellen Ansatz: Die Vulnerabilität ergibt sich aus externen Risiken, denen ein Raum oder eine Region ausgesetzt ist, sowie aus mangelnder Resilienz, also aufgrund eines Mangels an Mitteln, die drohenden Risiken zu bewältigen. Die Analyse der räumlichen und gesellschaftlichen Verwundbarkeit und Resilienz konzentriert sich folglich auf das Wechselspiel zwischen der Exposition gegenüber den Risiken und den Möglichkeiten, deren Auswirkungen im Ereignisfall möglichst ohne grösseren Schaden zu bewältigen.
 
Wisner B., Blakie P., Cannon T.: At Risk. Natural hazards, people’s vulnerability and disasters. London, 2004

Resilienz – die Zukunft nachhaltiger Regional- und Raumentwicklung

In der Schweiz ist Resilienz vor allem in der Forschung schon länger ein Thema, unterschwellig aber auch in der Umsetzung der NRP. «Viele Massnahmen der NRP zielen darauf ab, eine nachhaltige und stabilisierende Wirkung zu entfalten. Die meisten der bisher lancierten Projekte tragen zumindest zur Resilienz bei, auch wenn davon bisher kaum explizit die Rede war», erklärt Johannes Heeb, Leiter des Weiterbildungsbereichs «formation-regiosuisse». «Allerdings», unterstreicht er, «fehlte bei alldem bis jetzt der systematische Ansatz.» Das soll sich nun ändern. Mit dem Online-Weiterbildungsmodul «Resiliente Regionen entwickeln» hat formation-regiosuisse diesen Herbst das Thema konkret angepackt. Das Webinar richtete sich an sämtliche Akteurinnen und Akteure der Regionalentwicklung. Es ermöglichte ihnen, sich mit den Grundlagen der Resilienz vertraut zu machen und konkrete Handlungsansätze für die Praxis zu entwickeln. «Wir brechen die verfügbaren theoretischen Konzepte auf die Praxisebene der Regionen herunter», so Heeb. Agilität, Innovation, Team- und Projektkultur sowie Prävention werden als operative Elemente im Resilienz-Management eingesetzt. «Unser Ziel ist es», betont Heeb, «die Regionen darin zu befähigen, auf Veränderungen und Krisen stabilisierend zu reagieren und als Auslöser von Innovation und weiterer Entwicklung zu nutzen.»

Regionen resilienter zu machen, beruht demnach auf einem vielschichtigen Prozess. Ein «Resilienzbarometer», wie es das Pestel-Institut in Hannover entwickelt hat, könnte den Regionen helfen, im Streben nach Resilienz nicht blind entscheiden zu müssen. Das Instrument analysiert und misst mittels 18 Indikatoren die Verletzbarkeit/Verwundbarkeit einer Region. Es hilft abzuschätzen, wie weit eine Region im Krisenfall handlungsfähig bleibt. Ausserdem zeigt es, wie diese Handlungsfähigkeit mittels Ressourcenausstattung, Sozialkapital und Flexibilität präventiv verbessert werden kann. Das primär für Regionen in der EU entwickelte «Resilienzbarometer» könnte – auf Schweizer Verhältnisse eingestellt – auch für die NRP-Regionen ein durchaus nützliches Instrument werden.

Wie lässt sich eine Region resilienter machen?
Als Vorsorgeinstrument zielt Resilienz darauf ab, die Verwundbarkeit beziehungsweise die Krisenexposition einer Region und Klumpenrisiken zu reduzieren. Folgende Strategien tragen dazu bei:

  • Diversifizierung der Wirtschaft anstatt Monostruktur – also mehrere Branchen, unterschiedlich grosse Unternehmen, vielseitige Markt-, Arbeits- und Wohnbeziehungen.
  • Humanressourcen und Sozialkapital – hohes Bildungsniveau mit breit einsetzbaren Fachkräften, ausgewogene Bevölkerungs- und Altersstruktur.
  • Eine effiziente und aktiv gestaltete regionale Governance mit zukunftsweisenden Strategien, die auf den regionalen Stärken aufbauen.
  • Zukunftsorientierung und frühzeitiges Erkennen langfristiger Entwicklungen (wie dies im Rahmen der NRP über Regionale Entwicklungsstrategien/RES angestrebt wird, vgl. «regioS 17»).
  • Veränderungsbereitschaft, Flexibilität, Agilität, Innovationsfähigkeit, Multidisziplinarität.
  • Lern- und Kooperationsfähigkeit, dichte Kommunikationsnetze, kurze Feedbackwege, Neugierde und Offenheit.

Letztlich ist Resilienz kein Zielzustand, sondern ein Prozess, der mithilfe einer spezifischen Methodik zur nachhaltigen Entwicklung einer Region und zu einem besseren Umgang mit Krisen führt.

Modellvorhaben im Oberwallis

Pionierarbeit in dieser Hinsicht leistet das Beratungsbüro EBP in Zusammenarbeit mit der Regions- und Wirtschaftszentrum Oberwallis AG (RWO). EBP hat ein Analysetool zur räumlichen Resilienz entwickelt, das teils auf den erwähnten internationalen Konzepten (Rockefeller-Stiftung, Pestel-Institut, Deutsche Bundesanstalt für Strassenwesen usw.) beruht. Dieses wird nun im Modellvorhaben «Resiliente Bergregionen: Eigenstärken nutzen in der Region Oberwallis» erstmals in Schweizer Berggebieten getestet, und zwar in der Gemeinde Mörel-Filet und im Lötschental. «Das Analysetool beruht auf einem Fragebogen mit 10 Themenfeldern, 21 Subthemen und 80 Indikatoren, die wir nicht nur anhand von Zahlen und Statistiken, sondern auch von qualitativen Fragen an die lokalen Akteure genauer unter die Lupe nehmen», erläutert Projektleiter Christian Willi. Ziel des Modellvorhabens ist es, die Ergebnisse der Resilienzanalyse in eine Regio­nale Entwicklungsstrategie (RES) für die Oberwalliser Berggemeinden einfliessen zu lassen, die auch einen konkreten Massnahmenkatalog umfasst. Der Lead für die Analyse liegt bei EBP. Die Umsetzung der Massnahmen im Rahmen der Entwicklungsstrategie erfolgt vor allem zusammen mit der RWO und weiteren regionalen Akteurinnen und Akteuren. Das Projekt ist Teil der Modellvorhaben «Nachhaltige Raumentwicklung des Bundes 2020–2023». «Die aus diesem Pilotprojekt gewonnenen Erkenntnisse können genutzt werden, um auch in anderen Regionen eine Resilienzkultur zu etablieren», betont Willi, mit dem Ziel, dass Resilienzbewusstsein künftig systematisch in sämtliche Regionalen Entwicklungsstrategien (RES) und die entsprechenden Massnahmen und Projekte einfliesst.

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Bottom-up – aus den Regionen

Die Corona-Krise hat die Verwundbarkeit der Regionen schonungslos aufgezeigt. Allerdings ist sie lediglich eines von vielen Krisen- und Bedrohungsszenarien. Umso dringender stellt sich für die Zukunft die Frage der Risikominimierung und Prävention. Martina Schlapbach von der Regiun Engiadina Bassa/Val Müstair ist überzeugt, dass grundsätzlich jede strukturschwache Region resilienter gemacht werden kann. Sie plädiert aber bei der Umsetzung für regional angepasste Lösungen. «Man sollte bedenken, dass Strukturschwäche innerhalb einer Region ganz anders wahrgenommen und definiert wird als ausserhalb. Resilienz muss folglich genau auf die Bedürfnisse der Bevölkerung abgestimmt werden.» In der Corona-Krise habe sich die aktuelle Entwicklungsstrategie jedenfalls bewährt, führt sie weiter aus. «Wir wurden darin bestärkt, den eingeschlagenen Weg in Zukunft noch stärker zu forcieren.» Es bedeutet, dass die Regiun Engiadina Bassa/Val Müstair noch gezielter auf nachhaltigen Tourismus setzen will. Zudem soll der Ausbau digitaler Infrastrukturen und virtueller Austauschplattformen die Rahmenbedingungen für flexible Arbeits-, Wohn- und Lebensmodelle weiter verbessern. «Und abgestimmt auf die Bedürfnisse der Unternehmen und der Bevölkerung wollen wir auch Experimente wagen», so Schlapbach.

Stefan Schweizer meint: «Auf die Stärkung der Handlungsmöglichkeiten einer Region in Krisensituationen hinzuarbeiten, ist immer sinnvoll.» Allerdings hat er Bedenken in Bezug auf das Verhältnis von Aufwand und Nutzen. «Ob und in welchem Umfang Resilienz strategisch entwickelt und operationell umgesetzt werden soll, muss jede Region für sich beurteilen.» 

regiosuisse-Themendossier «Resilienz in der Regionalentwicklung»
Wie können Regionen resilienter werden, um auf zukünftige Schocks besser vorbereitet zu sein und gestärkt daraus hervorzutreten? Das regiosuisse-Themendossier bietet einen Einstieg ins Thema und mögliche Ansätze für die Umsetzung in den Regionen: regiosuisse.ch/resilienz

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regiosuisse.ch/nrp – modellvorhaben.ch

Literatur

Resiliente Regionen. Zur Intelligenz regionaler Handlungssysteme. In: «Multidisziplinäre Perspektiven der Resilienzforschung», pag. 295–332. Robert Lukesch. Springer Fachmedien, Wiesbaden, 2016.

Regionale Resilienz. Zukunftsfähig Wohlstand schaffen. Dirk Raith, Daniel Deimling, Bernhard Ungericht, Eleonora Wenzel. Metropolis Verlag, 2017.

Wie gehen Regionen mit Krisen um? Eine explorative Studie über die Resilienz von Regionen. Robert Lukesch, Harald Payer, Waltraud Winkler-Rieder. Wien, 2010.

La résilience, un outil pour les territoires ? Clara Villar (Cerema) e Michel David (MEDDE/CGDD). IT-GO Rosko, 2014.

La résilience en trois actes: résistance, reset et relance.  Xavier Comtesse, Mathias Baitan.

Resilienza tra territorio e comunità, Approcci, strategie, temi e casi, Fondaziona cariplo, 21, 2015.

La resilienza territoriale: un concetto polisemico per lo sviluppo delle scienze regionali». Paolo Rizzi. Scienze Regionali, 1/2020.  

Resilienza e vulnerabilità nelle regioni europee. Paola Graziano und Paolo Rizzi. Scienze Regionali, 1/2020.

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