Kreislaufwirtschaft – die besonderen Chancen der Regionen

Pirmin Schilliger & Urs Steiger
Die Kreislaufwirtschaft (KLW) steht schon seit Jahrzehnten auf der ökologischen Agenda. Mittlerweile ist daraus ein ausgereiftes und umfassendes Konzept für nachhaltiges Wirtschaften entstanden. Es soll nun in der gesamten Wirtschaft umgesetzt werden und damit auch im Rahmen der Neuen Regionalpolitik (NRP) die regionale Entwicklung inspirieren.
Die Firma Basis 57 nachhaltige Wassernutzung AG nutzt in Erstfeld UR das warme und saubere Bergwasser aus dem NEAT- Gotthardtunnel für die Zander-Zucht. © regiosuisse

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In der globalen Wirtschaft stammen 90 Prozent der Materialien aus neu gewonnenen Rohstoffen, 40 Prozent davon sind fossile Energieträger. Angesichts dessen ist eine ressourcenschonende Wirtschaftsform vonnöten. Das Konzept der Kreislaufwirtschaft bietet einen Lösungsansatz, der auf einem System aus erneuerbaren Energien und geschlossenen Materialkreisläufen basiert. Alle bedenklichen Stoffe, die die Umwelt belasten und die Gesundheit gefährden, sollten durch unbedenkliche ersetzt werden.

Das Prinzip der Kreislaufwirtschaft

Als Begründer der Kreislaufwirtschaft (KLW) gilt der britische Wirtschaftswissenschafter David W. Pearce. Zu Beginn der 1990er-Jahre leitete er das Konzept der Kreislaufwirtschaft aus der industriellen Ökologie ab. Der Deutsche Michael Braungart, Professor für chemische Verfahrenstechnik, und der amerikanische Architekt William McDonough entwickelten diesen Ansatz um die Jahrtausendwende konsequent weiter. In ihrem Buch «Cradle to Cradle»1 («Von der Wiege zur Wiege») propagierten sie ein fundamental neues Produktionssystem: Keine Stoffe landen mehr auf der Deponie oder in der Verbrennungsanlage. Alle nicht natürlich abbaubaren Stoffe werden stattdessen zur Produktion neuer Güter wiederverwendet.

In der Kreislaufwirtschaft nach dem «Cradle-to-Cradle»-Prinzip unterscheiden sie drei
Kategorien von Stoffen:


➊ Verbrauchsgüter wie Reinigungsmittel, Shampoos oder Verpackungsmaterialien sind in der Kreislaufwirtschaft konsequent aus biologischen Nährstoffen zu fertigen, sodass sie schliesslich kompostiert und getrost wieder der Umwelt überlassen werden können.


➋ Gebrauchsgüter wie Autos, Waschmaschinen oder Fernsehgeräte, die aus «technischen Nährstoffen» bestehen, sind so zu gestalten, dass sie am Ende ihres Lebenszyklus restlos in wiederverwertbare Bestandteile zerlegt werden können. Die Stoffe dieser Gebrauchsgüter zirkulieren also im industriellen Produktionssystem in einem ewigen Kreislauf.


➌ Ausgedient hat in der Kreislaufwirtschaft die dritte Kategorie, alle jene Stoffe, die wir heute als Abfall verbrennen oder deponieren.

«Es geht in der Kreislaufwirtschaft nicht einfach darum, Abfälle zu reduzieren oder zu minimieren, sondern die Entstehung von Abfall zu vermeiden», betont Michael Braungart, einer der geistigen Väter des Konzepts. Lassen sich Stoffe in Gebrauchsgütern (noch) nicht durch kreislauffähige Alternativen ersetzen, gilt es, den Ressourcenverbrauch zumindest zu reduzieren und die Produkte länger zu gebrauchen.

Kreislaufwirtschaft ist ein ganzheitlicher Ansatz, der den gesamten Kreislauf von der Rohstoffgewinnung über die Design-, Produktions-, Distributions- und eine möglichst lange Nutzungsphase bis hin zum Recycling betrachtet. Gelingt es, Material- und Produktkreisläufe zu schliessen, können Rohstoffe immer wieder von neuem verwendet werden. © BAFU/regiosuisse

Ein globales interdisziplinäres Projekt

Der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern bildet eine unabdingbare Voraussetzung für eine künftige Kreislaufwirtschaft. Mit der Energiewende ist die Schweiz diesbezüglich politisch auf Kurs, die Rück- beziehungsweise die Überführung sämtlicher Materialflüsse in einen Kreislauf bildet hingegen eine enorme Herausforderung. Damit die Transformation gelingt, bedarf es weiterer Weichenstellungen – auch auf politischer Ebene. «Es gibt für die Hersteller keine Notwendigkeit, freiwillig dem ‹Wiege-zur-Wiege›-Prinzip zu folgen, solange die Steuerzahlenden für die Entsorgung in den teuren Kehrichtverbrennungsanlagen aufkommen», bemängelt Braungart. Die Transformation der linearen in eine zirkuläre Wirtschaft ist ein globales interdisziplinäres Projekt, in das alle Akteurinnen und Akteure eingebunden werden müssen, von der Rohstoffgewinnung über die Entwicklung und das Design der Produkte, die Herstellung und Distribution/Logistik, den Konsum bis hin zum Abfallmanagement. Letzteres sorgt dafür, dass die Stoffe nicht länger «entsorgt» werden, sondern zwingend als Sekundärrohstoffe in den Kreislauf zurückfliessen. Doch betrifft die Kreislaufwirtschaft auch die Formen der Nutzung und damit der Geschäftsmodelle. Die Devise lautet: mieten (statt kaufen), teilen/sharing (statt besitzen), reparieren/wiederaufbereiten/erneuern (statt wegwerfen)! Die Konsumentinnen und Konsumenten können mit ihren Konsumgewohnheiten und Verhaltensmustern wesentlich zum Wandel beitragen.

Mit Kreislaufwirtschaft ökonomisch erfolgreich

Im Bereich der Produktion sind vor allem die Unternehmen gefordert. Verschiedene Pioniere
haben mit Produkten wie Stühlen, Turnschuhen oder Teppichböden bereits gezeigt, dass kreislaufähige Geschäftsmodelle wirtschaftlich erfolgreich sein können. Die Firma Forster Rohner in St.Gallen hat vor Jahren kompostierbare Polsterbezüge für Büro- und Flugzeugstühle entwickelt. Die strengen Vorgaben des Labels «Cradle to Cradle» erfüllen allerdings erst wenige Unternehmen. Vögeli Druck in Langnau im Emmental zum Beispiel hat 2016 als weltweit erste Druckerei die «Cradle-to-Cradle»-Goldzertifizierung (Cradle to Cradle Products Innovation Institute, c2ccertified.org) erhalten.

In der Metall- und Maschinenindustrie führt der Weg zur Kreislaufwirtschaft meist über einen mehrstufigen Optimierungsprozess. Der Schweizer Küchenhersteller Franke verbraucht für seine Edelstahlspülen dank Prozessverbesserungen heute drei Viertel weniger Energie als noch vor wenigen Jahren und bloss noch halb so viel Edelstahl. In der Industrie ist es heute Standard, dass viele Metalle, vor allem Platin, Gold und Palladium, rezykliert werden; einfach weil diese Stoffe zu wertvoll sind, um im Abfall zu landen, und sich viele Metalle ohne Qualitätseinbusse problemlos für einen nächsten Produktionszyklus aufbereiten lassen. Rund 1,6 Millionen Tonnen Eisen- und Stahlschrott werden so in der Schweiz jährlich zu Bau- und Edelstahl aufbereitet. Ausserdem gelangen 3,2 Millionen Tonnen separat gesammelte Siedlungsabfälle wieder in den Kreislauf. Im Hoch- und Tiefbau werden knapp 12 Millionen Tonnen oder zwei Drittel der Rückbaumaterialien wie Beton, Kies, Sand, Asphalt und Mauerwerk wiederverwertet. «Weitere 5 Millionen Tonnen Rückbaumaterialien sowie 2,8 Millionen Tonnen Siedlungsabfälle sind hingegen (noch) nicht im Kreislauf», sagt David Hiltbrunner von der Sektion Rohstoffkreisläufe des Bundesamtes für Umwelt (BAFU). Eine besondere Herausforderung bleiben vorderhand Textilfasern, Kunst- und Verbundstoffe, Elektroschrott, Chemikalien sowie gewisse biogene Abfälle. Es sind Stoffe, die sich – wenn überhaupt – nur mit enormem Aufwand zerlegen und wiederaufbereiten lassen. Allerdings wächst auch in diesen heiklen Bereichen die Zahl der Firmen, die nach Prinzipien der Kreislaufwirtschaft innovative Geschäftsmodelle entwickeln. So bietet etwa die Möbelhandelsfirma Pfister seit 2018 entsprechend zertifizierte Vorhänge an. Das Start-up trs (Tyre Recycling Solutions) in Yvonand VD macht alte Pneus wieder verkehrstüchtig, und die Firma Bauwerk in St. Margrethen SG bereitet alte Parkettböden auf.

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Abschied von der Wegwerfgesellschaft

Damit auch komplexe Konsumgüter wie Waschmaschinen, Computer oder Autos kreislauffähig werden, sind griffige politische Rahmenbedingungen erforderlich. Die EU-Ökodesign- und Abfallrahmenrichtlinien verlangen ausdrücklich die Förderung nachhaltiger Produktions- und Konsummodelle, insbesondere eine Gestaltung, die auf Langlebigkeit ausgerichtet ist, sowie die Reparierbarkeit von Elektrogeräten, Massnahmen gegen Lebensmittelverschwendung und Informationskampagnen in der Bevölkerung. Einzelne Länder sind in der Umsetzung schon weit. Die Niederlande etwa setzen in der öffentlichen Beschaffung seit zehn Jahren gezielt auf Güter, die nach dem «Wiege-zur-Wiege»-Prinzip gefertigt sind, und geben für die öffentliche Beschaffung nach Kreislaufwirtschaft-Kriterien zweistellige Milliardenbeträge aus. Mit dem Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft («Circular Economy Action Plan») hat die EU ihre Bemühungen 2020 nochmals verstärkt. Derzeit wird darüber diskutiert, die Ökodesign-Richtlinien auf sämtliche Konsumgüter auszuweiten, denn die EU möchte sich dereinst definitiv vom System der Wegwerfgesellschaft verabschieden. Die EU-Richtlinien gelten auch für alle Schweizer Hersteller, die Produkte in die EU-Länder exportieren möchten.

Es ist kein Zufall, dass das Ökodesign im EU-Aktionsplan an erster Stelle steht: Bis zu 80 Prozent der späteren Umweltbelastung eines Produktes werden in der Design-Phase vorbestimmt, ebenso dessen Lebensdauer und Reparaturanfälligkeit. Zudem gilt die ökologische Faustregel: Suffizienz vor Kreislauf! Ein schonender Umgang mit Ressourcen, der sich auf das Notwendigste beschränkt, vermeidet Leerläufe und erspart viel späteren Aufwand. «Zur Kreislaufwirtschaft tragen alle Strategien bei, die helfen, die Stoffe und Materialien sparsamer, effizienter und länger zu verwenden», meint Hiltbrunner.

Die Agenda der Schweiz

Auch in der Schweiz steht die Kreislaufwirtschaft auf der politischen Agenda weit oben. Aus gutem Grund: In kaum einem anderen Land fällt – trotz hoher Recyclingquoten – pro Kopf der Bevölkerung so viel Siedlungsabfall an wie in der Schweiz.

Im Parlament sind mindestens acht Vorstösse hängig, die sich auf die Kreislaufwirtschaft beziehen, als wichtigste die parlamentarische Initiative 20.433 «Schweizer Kreislaufwirtschaft stärken» und der Bericht der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates vom 11. Oktober 2021. Eine aktuelle Standortbestimmung zur Kreislaufwirtschaft hat der Bundesrat in diesem Frühjahr vorgenommen. Relevante Potenziale für die Kreislaufwirtschaft gibt es demnach vor allem in den Bereichen «Bauen und Wohnen», «Land- und Ernährungswirtschaft», «Mobilität», «Maschinenbau» sowie «chemische Industrie».Die Bundesverwaltung hat eine ganze Reihe von Vorschriften und Normen identifiziert, die eine Kreislaufwirtschaft noch behindern. Wie sich diese Hürden beseitigen lassen, wird abgeklärt. Klar scheint, dass die Aspekte einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft künftig in die Sektoralpolitiken des Bundes einfliessen müssen. Laut Bundesrat geschieht dies am besten in Übereinstimmung mit der «Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030» (SNE 2030) des Bundes und mit den nationalen Langfriststrategien zur Klima-, Wirtschafts- und Landwirtschaftspolitik.

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Weiterentwicklung der NRP

Die explizite Förderung der Kreislaufwirtschaft – bisher kein Programmpunkt der NRP – dürfte als ein Element in die nächste Programmperiode einfliessen. Dies deckt sich auch mit dem Anliegen von Romed Aschwanden, dem Geschäftsführer des Urner Instituts «Kulturen der Alpen» an der Universität Luzern, wonach die NRP radikal am Prinzip der Nachhaltigkeit auszurichten sei. «Denn die Lohnungleichheit ist nicht länger das eigentliche Problem in den Randregionen und Berggebieten, sondern der Klimawandel», argumentiert er.

Bei den zuständigen Ämtern, allen voran dem SECO und den kantonalen NRP-Fachstellen, laufen bereits die notwendigen Vorarbeiten. Den Rahmen für die Weichenstellung setzen die siebzehn Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDS) der Vereinten Nationen (UNO). Diese sogenannte «Agenda 2030» bildet für die Schweiz bereits heute den Orientierungsrahmen für die «Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030». Entsprechend kann sich die Direktion für Standortförderung des SECO darauf stützen, wenn es gilt, die Ideen und Ziele der nachhaltigen Entwicklung in der NRP zu verankern. «Im Schwerpunktthema ‹nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion› wird die Kreislaufwirtschaft eine wichtige Rolle spielen», sagt Ueli Ramseier, der die Arbeiten für die Nachhaltigkeit in der NRP beim SECO koordiniert. Zudem fördert die NRP mit dem Schwerpunkt «Klima, Energie und Biodiversität» seit Jahren erneuerbare Energien und die Gestaltung nachhaltiger und resilienter Siedlungsräume.

Die Abstimmung der NRP auf die nachhaltige Entwicklung ist als Weiterentwicklung und Ergänzung der NRP zu verstehen, nicht als Systemwechsel. Die Beiträge zu den gesellschaftlichen und ökologischen Aspekten der nachhaltigen Entwicklung sollen in der Programmperiode 2024–2027 weiter ausgestaltet und stärker gewichtet werden. Die NRP wird jedoch auch in Zukunft ihren regionalwirtschaftlichen Fokus beibehalten, die kantonalen NRP-Fachstellen und das SECO sollen aber vermehrt NRP-Projekte mitfinanzieren, die die Kreislaufwirtschaft ins Zentrum stellen. «An den übergeordneten Zielen – die Wettbewerbsfähigkeit der Regionen zu stärken, Arbeitsplätze zu schaffen, eine dezentrale Besiedlung zu erhalten und regionale Disparitäten abzubauen – hält die NRP fest», betont Ramseier.

Stärken der Regionalpolitik nutzen

Bei der Förderung der Kreislaufwirtschaft spielen die Regionen eine wichtige Rolle, auch wenn sie sich nicht auf den ersten Blick erschliesst. Dieser Herausforderung hat sich im letzten Jahr regiosuisse – die Netzwerkstelle für Regionalentwicklung – angenommen. «Wir möchten Know-how aufbauen, das notwendige Wissen vermitteln und konkrete Hilfestellungen für Regionen entwickeln», erläutert Lorenz Kurtz, Projektleiter regiosuisse. Im Rahmen der regiosuisse-Wissensgemeinschaft «Kreislaufwirtschaft und Regionalentwicklung» wurde in den vergangenen Monaten relevantes Wissen in Form einer Praxistoolbox mitsamt inspirierenden Beispielen aufbereitet. Um das komplexe Thema für die Regionen umsetzungsreif weiterzuentwickeln, startete regiosuisse im März dieses Jahres mit dem «Kreislaufwirtschafts-RegioLab». Dessen Ziel ist es, aufzuzeigen, wie die Regionen die Kreislaufwirtschaft in ihre regionalen Strategien integrieren können.

Chancen eröffnen sich den Regionen mit der Kreislaufwirtschaft, wenn sie auf Themen und Bereiche fokussieren, die ohnehin bereits regional und weniger global strukturiert sind: Land- und Forstwirtschaft, Lebensmittelproduktion, Holzverarbeitung, erneuerbare Energien, Infrastrukturen, regionale Dienstleistungen und damit auch der Tourismus. Eine systematische Analyse der Materialflüsse und Produktionsketten in diesen Bereichen zeigt, dass das regionale Potenzial für die Kreislaufwirtschaft riesig ist. Um die Kreislaufwirtschaft zu fördern, sind nebst der Bildungs- und Wissensvermittlung zusätzliche finanzielle Anreize notwendig. Geld braucht es für die Projekte an sich, aber auch für die professionelle Projektbegleitung und die Ausarbeitung regionaler Kreislaufwirtschaft-Entwicklungsstrategien. «Denkbar ist, für besonders anspruchsvolle Projekte der Kategorie ‹5-Sterne-Nachhaltigkeit› den Förderrahmen zu erweitern und dafür künftig mehr Bundesmittel zu sprechen», meint Ramseier.

Norman Quadroni, Leiter Regionalpolitik Arcjurassien, sieht in der Kreislaufwirtschaft eine grosse Chance, den natürlichen Reichtum der ländlichen Regionen, Grenz- und Berggebiete besser zu nutzen. Er ist überzeugt, dass sich damit Ressourcen in Wert setzen lassen, die unter einer rein exportorientierten Entwicklungsperspektive auf der Strecke bleiben würden. «Bestimmte wirtschaftliche Aktivitäten, die heute international organisiert sind, könnten wieder in die Region zurückgeholt und in kurze Kreisläufe eingebunden werden», so Quadroni. Die Regionen sind dank ihrer Eigenschaften und Qualitäten wie Kleinräumigkeit, Überschaubarkeit und Nähe für die Initiierung von Kreislaufprozessen grundsätzlich prädestiniert. Denn die interdisziplinäre und überbetriebliche Zusammenarbeit in Netzwerken, wie sie die NRP seit Anbeginn praktiziert, ist in der Kreislaufwirtschaft besonders gefragt.

regiosuisse.ch/kreislaufwirtschaft

bafu.ch

Förderer der Kreislaufwirtschaft

Neben regiosuisse engagieren sich verschiedene Organisationen dafür, interessierten Akteurinnen und Akteuren Know-how, Empowerment und Coaching zur Kreislaufwirtschaft anzubieten:

Go for impact Der vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) mitinitiierte Verein «Go for impact» versteht sich als Impulsgeber für die Kreislaufwirtschaft in der Schweiz. Er setzt sich politisch und wirtschaftlich dafür ein, die Kreislaufzukunft der Schweizer Wirtschaft mitzugestalten.

Circular Economy Switzerland Das wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich breit abgestützte Netzwerk richtet sich mit seiner Plattform an alle an der Kreislaufwirtschaft interessierten Organisationen, Firmen und Personen. Es hat eine Charta zur KLW ausgearbeitet und unterstützt sämtliche Initiativen mit Wissen, Veranstaltungen und politischem Lobbying.

CircularHub Die Wissens- und Netzwerkplattform zur Kreislaufwirtschaft in der Schweiz adressiert innovative Unternehmen und Startups mit Ausbildungs-, Beratungs- und Projektbegleitungsangeboten.

Netzwerk Ressourceneffizienz Schweiz (Reffnet) Expertinnen und Experten des Reffnet beraten und begleiten Firmen bei der Erarbeitung eines Massnahmenplans für eine höhere Ressourceneffizienz.

Ressourcendruck-Designmethode Eine Forschungsgruppe an der Empa hat im Rahmen des NFP 73 «Nachhaltige Wirtschaft» die Ressourcendruck-Designmethode entwickelt. Der neue Ansatz soll beim Design von Produkten und Dienstleistungen zu nachhaltigeren Entscheidungen beitragen.

PRISMA Die Interessengemeinschaft von Unternehmen aus der Lebensmittelindustrie und der Konsumgüterbranche sowie der Verpackungsindustrie strebt die Realisation der Kreislaufwirtschaft im Bereich der Verpackungen an.

Prozirkula Das Kompetenzzentrum engagiert sich für die Integration der KLW-Prinzipien in die öffentlichen und privaten Beschaffungsprozesse. Es bietet Beratung, Wissenstransfer und Networking (siehe auch Artikel Öffentliche Beschaffung – Hebelwirkung für die Kreislaufwirtschaft).

WÖB Wissensplattform des Bundes für nachhaltige öffentliche Beschaffung.

Kompass Nachhaltigkeit Vom SECO finanzierte und von der Stiftung Pusch zusammen mit dem Verband für nachhaltiges Wirtschaften (öbu) betriebene Wissensplattform.

Die Ideenbörse – Initiativen und Projekte zur Kreislaufwirtschaft

Landwirtschaft/Lebensmittel

Star’Terre Regionale Produktion/regionale Vermarktung/kurze Kreisläufe, interkantonale Lebensmittel-Plattform in der Region Genfersee (vgl. Artikel Vernetzung von Landwirtschaft und Start-ups).

Gemüsebau Gebr. Meier Primanatura AG in Hinwil ZH CO2-freie Gewächshäuser mithilfe von Abwärme der Kehrichtverbrennungsanlage und aus der Luft gefiltertem CO2 – geschlossene Kreisläufe.

Bösiger Gemüsekulturen AG in Niederbipp BE zirkulärer Gemüsebau.

Aquaponik Verbindung von Fischzucht und bodenunabhängiger Landwirtschaft in einem Kreislauf. Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft (ZHAW) forscht und lehrt auf diesem Gebiet und bietet Kurse für Einsteiger und Interessenten an.

Energie-Farming Tropenhaus Frutigen Aquakultur mit Fischzucht in Kreislaufanlage.

Food-Waste-Projekte: Start-up/App «Too good to go», Plattform «United against Waste».

«Kreislaufwirtschaft im Seeland» (NRP-Projekt 2021–2023): Restaurants, Bäckereien und Betriebe der Gemeinschaftsgastronomie versuchen zusammen mit weiteren Akteuren (Gemüseproduzenten, Konsumenten), die Kreisläufe der Wertschöpfungskette zu schliessen.

Centravo AG in Lyss BE Das Unternehmen verwertet seit 25 Jahren tierische Bestandteile, die von den Metzgereien nicht genutzt werden.

Fine Funghi AG Das Zürcher Unternehmen produziert Bio-Pilze aus dem Abfall (Weizenkleie) einer Getreidemühle.

RethinkResource Das Start-up hat den B2B-Marktplatz «Circado» aufgebaut, um industrielle Nebenprodukte der Lebensmittelproduktion zu verwerten.

Ricoter Erdaufbereitung AG Das 1981 gegründete Unternehmen produziert in Aarberg BE und Frauenfeld TG Gartenerde aus den organischen Abfällen der Zuckerraffinerien.

Brauerei Locher Appenzell AI agroindustrielles Projekt.

ortoloco – Hofkooperative in Dietikon ZH 500 Personen wirtschaften und entscheiden gemeinsam als Produzentinnen un Produzenten, Konsumentinnen und Konsumenten.

Einkaufsgemeinschaften, bei denen die Konsumenten direkt mit den Produzenten kooperieren: u.a. Tante Emmen, Koop Teiggi Kriens, Plattform Crowd Container, IG Foodcoops.

Qwstion Das Zürcher Taschenlabel hat ein neues textiles Material lanciert, das aus den Fasern der Bananenstaude «gewoben» wird.

Bauwirtschaft/Immobilien

Zirkuläres Bauen (Beat Bösiger, bluefactory), Rückbau, Recyclingbeton, Verwendung von lokalen, nachhaltigen, erneuerbaren Materialien usw., Ausbau Asphalt.

Eberhard Bau AG Das Unternehmen ist seit vier Jahrzehnten Pionier des Baurecyclings. Es verwandelt Bauschutt ohne Qualitätseinbusse in Sekundärrohstoffe.

Weitere Spezialisten des Baurecyclings Ronchi SA in Gland VD, Sotrag SA in Etoy VD, Kästli Bau AG in Rubigen BE,BOWA Recycling in Susten.

Neustark in Bern Die Berner Firma ist spezialisiert auf die Versteinerung von atmosphärischem CO2 in verwertetem Beton.

Integrierte Planung und gemeinsame Bewirtschaftung von Industrie- und Gewerbegebieten Projekte in Le Locle NE, St-Imier NE , im Val-de-Ruz NE, im Sensebezirk BE (Arbeitszonen), in Sierre VS (Ecoparc de Daval), Schattdorf UR usw.

enoki in Fribourg Das Freiburger Start-up entwirft und plant kreislauffähigere Quartiere und Städte.

Terrabloc in Genf Die Genfer Firma Terrabloc produziert Bau- und Dämmstoffe aus Lehm.

VADEME Das Interreg-Projekt zielt auf eine koordinierte Lösung für mineralische Bauabfälle in den Regionen Genf und Annecy ab (vgl. Artikel VADEME: mineralische Abfälle aufwerten).

ORRAP Interreg-Projekt (2016–2019) für das Recycling von Ausbauasphalt in der Region Basel.

Organisatorische und strategische Ansätze

AlpLinkBioEco Das im April 2021 abgeschlossene Interreg-Projekt hat einen Wertschöpfungskettengenerator und einen Masterplan entworfen für eine auf natürlichen lokalen Rohstoffen basierende Kreislaufwirtschaft im Alpenraum.

Sharely Das Start-up betreibt eine Miet- und Vermietungsplattform für Alltagsgegenstände.

Make furniture circular Eine Initiative der Stiftung Pusch und des Migros-Pionierfonds zur Förderung von «Kreislauf-Möbeln».

Reparatur- und Recyclingnetzwerke Verschiedene regionale Initiativen zur Förderung von Reparatur- und Recyclingstellen. Dazu zählen auch Secondhand-Days, Secondhand-Shops, Repair-Werkstätten, Up-Cycling-Stellen usw.

Kreislaufwirtschaft im Parc Naturel Régional Chasseral: Relokalisierung von Wertschöpfungsketten, Erhalt und Inwertsetzung von natürlichen lokalen Ressourcen.

Roadmap Kreislaufwirtschaft des Kantons Freiburg kantonale Strategie.

Plattform 1PEC Ideenbörse zur Förderung der Kreislaufwirtschaft im Wallis.

Kreislaufwirtschaft Oberwallis Kreislaufwirtschaft in einem ländlich abgeschlossenen Gebiet (gefördert durch das Programm «Nachhaltige Entwicklung», ARE, 2022).

Share Gallen Networking-Workshop und öffentlicher Markt in St. Gallen (Projekt aus Förderprogramm «Nachhaltige Entwicklung», ARE, 2018).

Erneuerbare Energien

Biogasanlagen: z.B. Kägiswil OW und Kompogasanlage Wauwil LU, beide durch die NRP gefördert, sowie BiogasTicino SA in der Magadino-Ebene.

Satom SA in Monthey VS Methanisierung von Bio-Abfällen.

Kantonales Programm «Wertschöpfungskette Holz» in der Waadt (NRP-Projekt): Holz wird als nachwachsender Energieträger vom Kanton direkt gefördert.

Suche nach neuem touristischem Gleichgewicht

Pirmin Schilliger

Trotz Beschränkungen der Parahotellerie durch das Zweitwohnungsgesetz (ZWG) vermochte sich die Region Prättigau/Davos in den letzten Jahren wirtschaftlich gut zu behaupten. Das neue Gesetz verursacht im Immobilienmarkt aus der Optik der betroffenen Gemeinden einerseits unerwünschte Nebenwirkungen, andererseits hat es auch fruchtbare Initiativen, vielversprechende Projekte und innovative Prozesse in der Parahotellerie ausgelöst. Die Vermietungsquote der Zweitwohnungen zu steigern und bezahlbaren Wohnraum für die Einheimischen zu schaffen, bleibt aber die grosse Herausforderung.

Die Region Prättigau/Davos umfasst elf Gemeinden. Zehn von ihnen weisen einen Zweitwohnungsanteil über 20 Prozent auf und sind somit vom Zweitwohnungsgesetz (ZWG) direkt betroffen. Die Zweit- oder Ferienwohnungen (FeWo) umfassen in der Region Prättigau/Davos mehr als die Hälfte des gesamten Wohnungsbestandes. Die eigentlichen touristischen Zentren sind Davos und Klosters mit zusammen knapp 11 000 Zweitwohnungen; in Davos liegt ihr Anteil bei 57 Prozent, in Klosters bei 63 Prozent. Die Region reagierte auf das ZWG mit verschiedenen Anpassungsprozessen, die allerdings nicht im Rahmen einer regionalwirtschaftlichen Gesamtstrategie umgesetzt werden. «Vielmehr versuchen die einzelnen Gemeinden, primär für sich eine Lösung zu finden», erklärt Georg Fromm, Geschäftsleiter der Region Prättigau/Davos. Dieses Vorgehen liegt in Davos und Klosters geradezu auf der Hand, haben beide Orte doch schon vor dem ZWG mit kommunalen Gesetzen und Lenkungsabgaben versucht, den Zweitwohnungsbau zumindest zu steuern.

Lediglich ein leichter Dämpfer

Wirtschaftlich verzeichnete die Region infolge des ZWG keinen wesentlichen Einbruch, weder im Tourismus noch im Baugewerbe. In der Parahotellerie nahm die Zahl der Logiernächte in etwas gemässigtem Masse weiter zu. Davos als grösster Tourismusort der Region steigerte die Zahl der Logiernächte in diesem Segment in den letzten 15 Jahren kontinuierlich von rund 628 000 in der Saison 2006/2007 auf 874 000 in der Saison 2020/2021. Klosters verzeichnete eine ähnliche Entwicklung auf einem leicht tieferen Level. In der Bauwirtschaft hielten sich die Unternehmen vorerst schadlos, indem sie den Überhang an bereits bewilligten Projekten abarbeiteten. Zudem verlagerte sich die Bautätigkeit vom Neubau mehr und mehr in Richtung Erneuerungsbau und Renovationen. Das Bauvolumen hat sich auf einem etwas tieferen Niveau als in den Jahren vor dem ZWG eingependelt. Der Zweitwohnungsneubau ist zwar praktisch überall zum Erliegen gekommen, Aufträge für die leicht redimensionierte Baubranche gibt es aber weiterhin mehr als genug.

Explodierende Preise

Drastisch entwickelt haben sich die Immobilienpreise. Für Zweitwohnungen wird heute zum Teil doppelt so viel bezahlt wie für vergleichbare Erstwohnungen. Im Soge der allgemeinen Entwicklung sind allerdings auch diese markant teurer geworden. «Immer mehr Normalverdiener können es sich kaum mehr leisten, in unserer Region zu wohnen», sorgt sich Fromm. Michael Fischer, der Gemeindeschreiber von Klosters, befürchtet eine gefährliche Abwärtsspirale: «Wenn immer mehr Leute mangels erschwinglicher Wohnangebote abwandern, fehlen uns zusehends die Steuereinnahmen, die Schülerzahlen sinken und es drohen weitere negative Begleiterscheinungen.»

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Um dieses Szenario abzuwenden, versuchen Klosters und Davos den Erstwohnungsbau gezielt zu fördern, etwa durch die Abgabe gemeindeeigener Parzellen im Baurecht oder die Beteiligung an genossenschaftlichen Wohnbauprojekten. Um unerwünschte Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt frühzeitig zu erkennen, hat Davos überdies eine Anzeigepflicht eingeführt. So etwa müssen altrechtliche Wohnungen, die als Erstwohnung genutzt wurden und nun als Zweitwohnung verkauft oder vermietet werden, gemeldet werden. «Die Missachtung dieser Anzeigepflicht ist strafbar», betont Landammann Philipp Wilhelm. Sie ist ein wichtiges neues Instrument, mit dem sich die Gemeinden im Sinne eines Monitorings einen Überblick verschaffen und Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen können.

Resorts und Renovationen

Die neuen Rahmenbedingungen haben die Gemeinden überdies dazu bewogen, touristische Projekte für neue Hotels und bewirtschaftete Zweitwohnungen zu unterstützen, etwa über vorteilhafte Baurechtsverträge oder die Finanzierung von raumplanerischen Massnahmen wie Hotelzonen, Erstwohnanteilplänen usw. Ein erster Erfolg dieser Bemühungen ist das Parsenn Resort der Davos Klosters Bergbahnen. Die mit dreissig bewirtschafteten Wohnungen sowie drei Attika Zweitwohnungen vergleichsweise kleine Ferienanlage wurde im Dezember 2018 eröffnet. Grössere Pläne verfolgt die Baulink AG in Klosters. Die Generalunternehmung möchte auf dem Parkplatzareal der Klosters-Madrisa Bergbahnen ein Resort mit über 500 Betten realisieren. «Das Projekt wird leider durch mehrere Einsprachen verzögert», erklärt Urs Hoffmann, ceo der Baulink AG, die ihren Hauptsitz in Davos hat und an sechs weiteren Standorten in der Schweiz präsent ist. Ein weiteres Grossprojekt in Klosters – der Bau eines Luxushotels – ist in jüngster Zeit an der Urne gescheitert.

Dank der neuen Rahmenbedingungen sind auch innovative Ansätze entwickelt worden. Am weitesten fortgeschritten ist das Projekt «Alles-aus-einer-Hand» des Jungunternehmens Reno Rent AG. Das Vorhaben wurde in der Startphase mit Fördermitteln der Neuen Regionalpolitik (NRP) unterstützt. Die Reno Rent AG renoviert Ferienwohnungen, die sie von den Eigentümerinnen und Eigentümern kostenlos zur Nutzniessung übernommen hat, und vermietet sie an Feriengäste. Die Eigentümerinnen und Eigentümer partizipieren an den Mieteinnahmen und profitieren von einer bequemen Abwicklung sämtlicher Geschäfte aus einer Hand, inklusive Finanzierung. Das Portfolio der Reno Rent AG umfasst im zweiten Geschäftsjahr rund ein Dutzend abgeschlossene Umbauprojekte. Die Firma konzentriert sich vorderhand auf die Region Prättigau/Davos, hegt aber Ausbaupläne. «Früher oder später möchten wir uns auf den gesamten Kanton Graubünden ausbreiten», sagt Mitgründer und Firmensprecher Marc Kunz. Auch soll das Geschäftsmodell demnächst um weitere Dienstleistungen in den Bereichen Promotion und Facility-Management ergänzt werden.

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Auszeit – oder gar Wohnsitz – in den Bergen

Noch in der Pilotphase befindet sich in den Regionen Surselva und Prättigau das Modellvorhaben «Alpine Sabbatical». Es möchte Leute, die in den Bergen eine längere Auszeit von ihrem beruflichen Alltag nehmen, für ein neues touristisches Angebot gewinnen. Das mitten in der Pandemiezeit gestartete Modellvorhaben Nachhaltige Raumentwicklung befindet sich in der Aufbauphase. «Die Nachfrage ist bereits rege, was uns nicht sonderlich erstaunt, fehlten doch bisher entsprechende professionelle Angebote», erklärt Projektleiterin Gerlinde Zuber. Sie ist zuversichtlich, dass die Buchungen stärker ansteigen werden, sobald Covid-19 kein Thema mehr sein wird. Das Angebot im Prättigau umfasst inzwischen zwanzig Unterkünfte sowie die beiden thematischen Sabbatical- Packages «Mindfulness Prättigau» und «Handwerk & Kunst». Das von einem Verein initiierte «Alpine Sabbatical» wird in der Pilotphase zur Hälfte mit öffentlichen Geldern finanziert. Beteiligt sind die Innotour-Förderung des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO), das Amt für Wirtschaft und Tourismus Graubünden (awt), die Region Prättigau/Davos, die Regiun Surselva sowie die Gemeinden Klosters und Davos.

In einem weiteren Modellvorhaben – «Wohnraumstrategie für Senioren und andere Neustarter» – suchen die Regionen Prättigau/Davos und Albula gemeinsam nach Mitteln und Wegen, die Ferienwohnungsbesitzenden stärker ins Gemeindeleben einzubinden. Eine im Frühjahr 2021 durchgeführte Befragung von 2600 Eigentümerinnen und Eigentümern in den beiden Regionen hat gezeigt, dass sich viele von ihnen grundsätzlich für die Gemeindeentwicklung interessieren. «Es besteht eine hohe Bereitschaft, sich in irgendeiner Form zu engagieren und zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen», sagt Co-Projektleiterin Joëlle Zimmerli. Im Rahmen von «Kaminfeuergesprächen» soll nun über konkrete Massnahmen diskutiert werden, wie sich «Zweitheimische» besser in die lokale Entwicklung integrieren lassen. Die Idealvorstellung wäre, dass aus ihnen früher oder später Einheimische werden.

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Sofern sich in diesen verschiedenen Initiativen und Projekten ein gemeinsamer Nenner finden lässt, liegt er beim Versuch, die bestehende touristische Infrastruktur besser auszulasten. Das Potenzial bei den Zweitwohnungen ist tatsächlich noch gross, werden doch derzeit lediglich rund 10 Prozent von ihnen an Dritte vermietet. Allerdings kämpft man hier gegen ein tief verankertes Verhaltensmuster. «Schon lange vor dem ZWG gab es immer wieder Bestrebungen, diese magere Zehnprozentmarke zu steigern, doch der Erfolg blieb jeweils bescheiden», erinnert sich Fromm. Fast scheint es, dass letztlich jeder, der es sich irgendwie leisten kann, seine Ferienwohnung doch am liebsten ganz für sich alleine nutzt.

modellvorhaben.ch

alpinesabbatical.ch

neustarter.info

regiosuisse.ch/nrp

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Haslibergs «Zweitheimische»

Jana Avanzini

Zweitwohnungen sind ein heisses Thema, auch in Hasliberg BE. Als die Zweitwohnungsinitiative 2012 angenommen wurde, musste auch das Dorf auf der Südseite des Brünigpasses über die Bücher. So entstand 2016 der Verein Netzwerk Hasliberg, der heute 250 Mitglieder zählt. Maja Bachmann, aufgewachsen in Hasliberg, ist Gründungsmitglied. Und sie ist das perfekte Mitglied für diesen Verein: als Touristikerin, Einheimische, die lange weg war, und jetzt als «Zweitheimische». Dieses Wort hört man in Hasliberg öfter, und es macht das Bestreben des Vereins deutlich: die Zweitwohnungsbesitzenden aus der anonymen Gästeschar herauszuheben. Die Zweitwohnungsbesitzenden, die den grösseren Teil des Vereins ausmachen, wollen sich im Ort engagieren.

Der Ort und seine Weiterentwicklung werden vom Verein sowohl finanziell als auch ideell unterstützt. Dazu gehören finan­zielle Beiträge an lokale Projekte, die durch die Mitgliederbeiträge und oft zusätzliche Spenden finanziert werden. «Wir konnten so den Freestyle-Park unterstützen, den Waldspielgarten, einen Abendbus, den Pumptrack, Projektwochen an der Schule, das Projekt ‹Generationenhaus Hasliberg› oder die Beschaffung von Drohnen für die Jäger, um Rehkitze zu retten», sagt Bachmann. Persönlich angepackt wird beim Unterhalt des Wanderweg­netzes, bei der Reinigung des Badesees oder von Skipisten.

«Zweitheimische» helfen bei der Reparatur einer Feuerstelle. Von links nach rechts: Beat Kiser, Jos Willi (Gemeinderat Hasliberg), Vreni Haefeli, Brigitta Kiser © regiosuisse

Gemeindepräsident Arnold Schild sieht im Netzwerk einen Glücksfall, von dessen Enga­gement die Gemeinde stark profitiere. Natürlich gibt es auch kritische Stimmen in Hasliberg und Themen, bei denen keine Einigkeit herrscht. Doch das Netzwerk wächst weiter und damit auch das Bewusstsein dafür, einen Raum zu teilen und gemeinsam zu entwickeln. 

netzwerk-hasliberg.ch

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Hier finden Sie die Langversion in Italienisch.

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Der Ansatz der Kreislaufwirtschaft birgt grosses Potenzial für neue Modelle der Zusammenarbeit, neue Geschäftsmodelle und andere Innovationen. Er trägt dazu bei, die Umweltauswirkungen zu minimieren, und schafft wirtschaftlichen Mehrwert. Dies eröffnet Chancen für die nachhaltige Entwicklung von Regionen, Städten und Gemeinden. Doch wie funktioniert die Kreislaufwirtschaft? Wie lassen sich Kreislaufwirtschaftsprojekte anstossen? Und welche Rolle können regionale Entwicklungsträgerinnen und -träger dabei übernehmen? Die neue Praxis-Toolbox «Kreislaufwirtschaft» von regiosuisse bietet Antworten und zeigt mögliche Vorgehensweisen und Beispiele auf.

regiosuisse.ch/kreislaufwirtschaft

Weiterentwicklung der Tourismusstrategie

Der Bundesrat hat am 10. November 2021 die neue Tourismusstrategie verabschiedet. Sie legt die Stossrichtungen der künftigen Tourismuspolitik des Bundes fest. Die Ziele der bisherigen Tourismusstrategie – Rahmenbedingungen verbessern, Unternehmertum fördern, Chancen der Digitalisierung nutzen und Attraktivität des Angebots und des Marktauftritts stärken – haben sich bewährt und werden beibehalten. Ergänzt werden sie durch das neue Ziel «Zur nachhaltigen Entwicklung beitragen». Bei der Umsetzung der Tourismusstrategie setzt der Bund weiterhin auf die vier bewährten tourismuspolitischen Förderinstrumente Innotour, Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit (SGH), Schweiz Tourismus (ST) sowie Neue Regionalpolitik (NRP). Die Investitionsförderung des Bundes durch die SGH und die NRP soll zudem modernisiert und gestärkt werden.

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Zweitwohnungen – Herausforderung und Chance

Pirmin Schilliger & Urs Steiger
Das seit fünf Jahren geltende Zweitwohnungsgesetz (ZWG) erweist sich heute als wirksames Instrument für eine nachhaltigere touristische Entwicklung, wie verschiedene Studien im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) und des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE) aufzeigen. Allerdings ist die Umsetzung der neuen gesetzlichen Bestimmungen eine höchst anspruchsvolle Aufgabe. Wollen sich die betroffenen Regionen und Gemeinden einen erfolgreichen Weg in die touristische Zukunft offenhalten, kommen sie um teils aufwendige Anpassungsprozesse und neue Lösungen nicht herum. Dies verdeutlichen die zahlreichen und inhaltlich sehr vielfältigen Projekte, die zu diesem Zweck in jüngster Zeit lanciert wurden.
Herbststimmung in Flims GR © regiosuisse

Die Schweizer Stimmbevölkerung hat am 11. März 2012 die Volksinitiative zur Beschränkung von Zweitwohnungen und sogenannten «kalten Betten», also von Wohnraum, der nur während eines Bruchteils der Zeit genutzt wird, angenommen. Von der damit verbundenen Forderung, bei einem Zweitwohnungsanteil über 20 Prozent des Wohnungsbestands den weiteren Ausbau zu stoppen, waren rund 400 Gemeinden betroffen, fast ausschliesslich solche aus dem Alpenraum. Für sie war der Entscheid ein heftiger Schock. Vor allem in den Hotspots des Zweitwohnungsbaus wurde ein massiver wirtschaftlicher Einbruch befürchtet.

Alles halb so schlimm

So schlimm kam es dann doch nicht, zumal es nach der knappen Annahme der Volksinitiative eine Weile dauerte, bis der Vollzug einigermassen griff. Wie sich der Zweitwohnungsmarkt im Zeitraum von 2013 bis 2019 tatsächlich entwickelte, haben Expertinnen und Experten der Beratungsfirmen BHP, IC Infraconsult und Rütter Soceco 1 sowie der Hochschule Luzern (HSLU) 2 im Auftrag des SECO und des ARE eingehend untersucht. Die Analyse erbrachte bemerkenswerte Ergebnisse. «Unmittelbar nach Annahme der Initiative prägte in zahlreichen Bergregionen vorerst ein Bauboom das wirtschaftliche Geschehen», erläutert Professor Stefan Lüthi vom Institut für Betriebs- und Regionalökonomie (IBR) der HSLU, das die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen untersucht hat. Der wesentliche Grund für diese Entwicklung: Projekte, die noch vor Ende 2012 bewilligt wurden, fielen nicht unter den Baustopp. Also wurde überall eilends gebaut, was schon bewilligt war. Ausserdem wurden unter den Übergangsbestimmungen unentwegt neue Baugesuche eingereicht. So gelangte 2013 und 2014 an vielen Orten weiterhin eine beachtliche Zahl neuer Zweitwohnungen auf den Markt.

Gesetz zeigt Wirkung

Erst als sich ab 2015 der Vollzug des Zweitwohnungsgesetzes (ZWG) und der Zweitwohnungsverordnung (ZWV) konkretisierte, sank die Zahl der Bewilligungen und pendelte sich nach Inkrafttreten deutlich unter dem historischen Mittel ein. 2019, im Jahr vor Covid-19, wurden in den vom ZWG betroffenen Gemeinden noch rund 2000 Baubewilligungen für Zweitwohnungen erteilt – rund dreimal weniger als in den Boomjahren 2006 bis 2008. «Insgesamt ist der Ferienwohnungsbau seit der Zweitwohnungsinitiative stark rückläufig», zieht Lüthi ein vorläufiges Fazit. Die Zweitwohnungsinitiative führte also nicht zu Nullverbrauch, reduzierte aber den Flächenverbrauch deutlich und förderte einen haushälterischeren Umgang mit dem Boden. Die Umweltschutzorganisation Helvetia Nostra sieht das offensichtlich etwas anders, vergegenwärtigt man sich die 1600 Einsprachen gegen Baugesuche, die sie im Zeitraum 2013 bis 2019 eingereicht hat. Davon wurden bis heute 687 ganz oder teilweise gutgeheissen, weitere 541 wurden als gegenstandslos abgeschrieben, weil etwa das Baugesuch zurückgezogen wurde. Die Einsprachen konzentrierten sich zuerst hauptsächlich auf Projekte im Kanton Wallis. Deren Anzahl nahm aber im Laufe der Zeit dank der inzwischen besser eingespielten Vollzugspraxis generell deutlich ab.

Ferienhäuser in der Lenk BE © regiosuisse

Bau- und Immobilienwirtschaft unter Druck

Auch die ursprünglich befürchtete wirtschaftliche Katastrophe infolge des ZWG ist heute kaum mehr ein Thema. Die touristische Nachfrage in der Hotellerie und der Parahotellerie hat das ZWG nicht nachweisbar beeinflusst. «Am stärksten zu spüren bekam die Folgen des ZWG nicht ganz überraschend die Bau- und Immobilienwirtschaft», so Lüthi. Doch auch in diesem Wirtschaftssektor war der Rückgang kleiner als prognostiziert. In den Hotspots des Zweitwohnungsmarktes brachen die Bauaktivitäten zwar um rund 20 Prozent ein. Doch grössere, breiter aufgestellte Firmen hielten sich schadlos, indem sie neue Marktsegmente erschlossen und ihr Marktgebiet etwa ins Unterland ausweiteten. Zudem floss in den letzten Jahren mehr Geld in den Unterhalt und die Erneuerung des Zweitwohnungsbestandes. So profitierte die Bauwirtschaft auch vom genannten Bewilligungs- und Bauboom, der sogar zu einem Angebotsüberhang geführt hat, und von den Ausnahmeregelungen, wonach der Bau von Zweitwohnungen im Zusammenhang mit strukturierten Beherbergungsbetrieben möglich ist. Hinzu kommen viele Sanierungsprojekte in der Hotellerie, wo unter bestimmten Voraussetzungen 20 bis 33 Prozent der Hauptnutzfläche von Hotelbauten als Zweitwohnungen erstellt werden dürfen.

Massnahmenpaket mit schneller Wirkung

Dass die wirtschaftliche Entwicklung in den vom ZWG betroffenen Gebieten besser verlief als befürchtet, ist auch verschiedenen staatlichen Massnahmen zu verdanken. Dazu gehört das tourismuspolitische Massnahmenpaket, das das Parlament 2015 explizit zur Abschwächung der negativen Auswirkungen des ZWG beschlossen hat. Eine der Massnahmen war das «Impulsprogramm Tourismus», das für die Jahre 2016 bis 2019 zusätzlich Beiträge in der Höhe von 10 Millionen Franken für das Förderprogramm Innotour, 38 Millionen Franken für die Neue Regionalpolitik (NRP) und maximal 150 Millionen Franken zusätzliche NRP-Darlehen freigab. Zudem wurde das noch nicht ausgeschöpfte Zusatzdarlehen an die Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit (SGH) aus dem Jahr 2011 in der Höhe von 100 Millionen Franken bis 2019 verlängert.

«Viele der dadurch ausgelösten Anpassungsprojekte zielen auf eine intensivere Bewirtschaftung der Zweitwohnungen und der schlecht ausgelasteten Hotels. Die Devise lautet: ‹Warme statt kalte Betten!›», so Lüthi. Mit dem erwünschten Nebeneffekt, dass der laufende Strukturwandel vom monosaisonalen zu einem Ganzjahrestourismus beschleunigt wird. Neue Geschäftsmodelle, die vor allem in der Bau- und Immobilienwirtschaft seit 2013 auf rein privatwirtschaftlicher Ebene entstanden sind (vgl. unten), zeigen zusammen mit den vom Bund, von den Kantonen und den Gemeinden unterstützten Anpassungsprojekten, dass es im Alpenraum auch mit dem ZWG weiterhin einen erfolgversprechenden Weg in eine nachhaltige touristische Zukunft gibt.

Bauarbeiten in St. Moritz GR © regiosuisse

Neue Chancen und Möglichkeiten mit dem ZWG

Das Beratungsunternehmen IC Infraconsult hat versucht, die Anpassungsprojekte und neuen Lösungen nach thematischen Aspekten zu kategorisieren. Und es hat für jede Kategorie mehrere «Good Practices» selektioniert, aus denen im Folgenden Beispiele vorgestellt werden.3

  • Regulative und fiskalische Instrumente

Kurtaxen in Grächen VS und Val de Bagnes VS: Die Gemeinde Grächen hat per 1. Mai 2018 die Kurtaxe neu reglementiert. Auf Zweitwohnungen wird seither eine Jahrespauschale erhoben, die 46 bisherigen Übernachtungstaxen entspricht. Es ist eine einfache Massnahme, von der sich die Behörden angesichts eines Zweitwohnungsanteils von 68 Prozent eine grosse Hebelwirkung versprechen. Bei schlecht genutzten Zweitwohnungen bedeutet die neue Taxe eine massive Verteuerung. Für die Eigentümerinnen und Eigentümer steigt der Anreiz, die Zweitwohnung möglichst oft an Dritte zu vermieten. Das neue Berechnungsmodell hat bisher allerdings nur halbwegs den gewünschten Erfolg gebracht. Erwartungsgemäss verdoppelten sich zwar die Kurtaxen-Einnahmen, doch stagnieren die Übernachtungszahlen bis heute. Roman Rogenmoser, CEO der Touristischen Unternehmung Grächen AG, zieht trotzdem eine positive Bilanz: «Das Modell bewährt sich. Der administrative Aufwand für die Rechnungstellung ist heute kleiner, und wir verfügen als Tourismusorganisation in guten wie in schlechten Zeiten über annähernd gleichbleibende Einnahmen.» Bezüglich einer besseren Auslastung der Zweitwohnungen bleibt Rogenmoser skeptisch. Für viele Zweitwohnungsbesitzerinnen und -besitzer komme eine externe Vermietung grundsätzlich nicht infrage. Er spricht damit ein Verhaltensmuster an, das sich vermutlich nur mit massiveren finanziellen Anreizen verändern liesse. Dies versucht die Gemeinde Val de Bagnes im Unterwallis. Dort können die Kurtaxen, die für Mietübernachtungen von Dritten anfallen, von der Pauschalkurtaxe für die Zweitwohnung abgezogen werden. Und tatsächlich: Seit Einführung des neuen Tarifsystems ist die Auslastung der Zweitwohnungen im Val de Bagnes gestiegen.

  • Planerische und strategische Instrumente

Raumstrategie «St. Moritz 2030»: Das ZWG, kantonale Planungsvorgaben und der Handlungsdruck vor Ort waren für St. Moritz Anlass, 2017 unter dem Titel «St. Moritz 2030» zusammen mit der Bevölkerung und Gästen einen Visions- und Strategieprozess für die Ortsentwicklung zu starten. Hauptherausforderung in der Engadiner Destination ist das Preisniveau auf dem Immobilienmarkt, bei dem die vielen teuren Zweitwohnungen (Anteil: 57 Prozent) die eigentliche Benchmark setzen mit dem Resultat, dass auch die Preise für Wohn- und Gewerbeflächen stetig steigen und für die Ortsansässigen und Gewerbetreibenden zunehmend unerschwinglich werden. Seit Verabschiedung von «St. Moritz 2030» im Jahre 2019 unterstützt die Gemeinde aktiv Bauprojekte, die bezahlbaren Wohnraum oder Gewerbeflächen zu angemessenen Preisen ermöglichen: bei der Planung, im Verfahrensprozess, mithilfe reglementarischer Anreize und durch eine aktivere Liegenschaftspolitik. Über den Dialog mit den Eigentümerinnen und Eigentümern sowie die Förderung entsprechender Vermarktungs- und Beherbergungsmodelle versucht die Gemeinde zudem das Angebot «warmer Betten» zu erhöhen. Gemeindevorstand Reto Matossi ist überzeugt, dass die Prozesse dazu beigetragen haben, das Thema «bezahlbarer Wohnraum» strategisch zu verankern. «Nun müssen wir den Beweis einer erfolgreichen Umsetzung erbringen», sagt er, etwa mit gemeindeeigenen Grundstücken und privaten Liegenschaften, die für bezahlbaren Wohnraum mobilisiert werden könnten.

  • Neue Betriebs- und Governance-Strukturen

Erni Bau AG in Flims GR: Das Bauunternehmen mit Sitz in einer Zweitwohnungshochburg hat seine Diversifikationsstrategie nach Inkrafttreten des ZWG verstärkt in Richtung Erschliessung zusätzlicher Marktsegmente (z.B. Energiesanierungen, Bahnverkehr) und neue geografische Marktgebiete (in ganz Graubünden, SG, VS) sowie neue Geschäftsmodelle vorangetrieben. Dazu gehört der Aufbau eines Immobilienportfolios, das mittlerweile über hundert Wohnungen zwecks Vermietung umfasst. «Wir sind mit der gewählten Strategie heute gut unterwegs», sagt CEO Marc Grünenfelder, auch weil die Firma schon zuvor strategisch breit aufgestellt war. Zudem profitiert sie von der räumlichen Nähe zum urbanen Zentrum Chur, wo die Erni Bau AG in den letzten Jahren stärker Fuss fassen konnte.

Kleineren Baufirmen in peripheren Tourismusdestinationen blieb es hingegen häufig nicht erspart, ihren Betrieb zu redimensionieren. Bei der Freidig Bau AG in Lenk im Simmental beispielsweise sind infolge des ZWG in den letzten Jahren Umsatz, Ertrag und Beschäftigtenzahl um 20 bis 30 Prozent eingebrochen, wobei der Rückgang im Jahr 2020 aufgrund von Covid-19 in dieser Zahl noch nicht berücksichtigt ist.

  • Kommunikation und Wissensmanagement

Innotour-Projekt «Destinationsmarketing durch Ferienwohnungsbesitzerinnen und -besitzer» in Davos/Klosters GR: Das am Institut für Systemisches Management und Public Governance (IMP-HSG) der Universität St. Gallen unter der Leitung von Professor Christian Laesser durchgeführte Projekt zeigt systematisch auf, wie Zweitwohnungsbesitzerinnen und -besitzer mittels eines Anreizsystems und dazugehöriger Dienstleistungen verstärkt zum Destinationsmarketing beitragen könnten. Zu den einzelnen Massnahmen und Vorschlägen, die auf Markttests und Workshops in verschiedenen Tourismusdestinationen basieren, gehören regelmässige Informations- und Kennenlernevents, Preisvergünstigungen bei Veranstaltungen und Freizeitinfrastrukturen und organisatorischer Support bei privaten und geschäftlichen Anlässen oder Vouchers für Neubesitzerinnen und -besitzer.

  • Dienstleistungsangebote und Plattform-Tools

Plattform WarmesBett.ch: Das Projekt in der Surselva wurde bereits 2010 von der Derungs Quinter Immobilien AG in Lumbrein GR lanciert. Die Plattform ist heute Vorbild für weitere ähnliche regionale Plattformen. Die Derungs Quinter AG bietet mit WarmesBett.ch den Besitzerinnen und Besitzern von Zweitwohnungen einen Rundumservice, damit sie ihre Objekte ohne eigenen Aufwand vor Ort professionell vermieten können. Der Service umfasst alles von der Buchung über den Vertrag und die Schlüsselübergabe bis hin zur Reinigung. Heute sind 80 Mietobjekte auf der Plattform aufgeschaltet. «Wir haben damit den Markt absichtlich nicht ausgeschöpft, weil sich weiteres Wachstum logistisch und personell kaum bewältigen liesse», sagt Geschäftsführer Gian Derungs. Eine grosse Herausforderung ist es, genug verlässliches Reinigungspersonal für die vielen Kurzzeiteinsätze zu finden. «Wenn im Februar und Anfang März samstags in 50 oder 60 Wohnungen auf einen Schlag die Mieterinnen und Mieter wechseln, stossen wir an unsere Grenzen», gibt Derungs zu bedenken. Trotz der eingeschränkten Skalierungsmöglichkeiten zieht Derungs eine positive Bilanz: «Das Geschäftsmodell hat sich insgesamt gut bewährt.» Für zusätzlichen Schub sorgte Corona: Die Zahl der über WarmesBett.ch generierten Übernachtungen stieg 2020 auf über 19 000 Logiernächte, bei gleichem Bettenangebot 40 Prozent mehr als im Vorjahr.

  • Bau- und Immobilienprojekte

Swisspeak Resort, Meiringen BE: Das ZWG erlaubt bekanntlich unter gewissen Bedingungen weiterhin, neue Zweitwohnungen oder Apartments zu errichten. Diese neue Ausgangslage ruft buchstäblich nach neuen Beherbergungskonzepten. Das Swisspeak Resort in Meiringen, ein 30-Millionen-Franken-Projekt mit 79 Wohnungen und 426 Betten, wurde Ende 2019 nach zweijähriger Bauzeit eröffnet. Es steht auf einer in den 1990er-Jahren geschaffenen touristischen Sonderzone, auf der 15 Jahre lang nichts passierte, bis die Resalpina GmbH die Initiative ergriff. Von der NRP in der konzeptionellen Phase unterstützt, entwickelte die Resalpina GmbH das Resort bis zum Bau, um es schliesslich dem Mountain Resort Fund SICAV zu verkaufen. Bewirtschaftet wird es von der Interhome AG, die bereits im ersten Betriebsjahr eine Auslastung von 80 Prozent verzeichnete. Die Resalpina GmbH plant neun weitere Resorts. Allerdings dürfte es nicht überall so glatt laufen wie in Meiringen. Die vier fortgeschrittensten Projekte auf der Laxeralp im Wallis sowie in Klosters, Arosa und Savognin in Graubünden sind derzeit durch Einsprachen blockiert.

Grosses Interesse an den neuen Resortkonzepten zeigen vor allem die Bergbahnen: Mittlerweile sind über 40 Prozent der Transportunternehmen in diesem Bereich aktiv. Das damit angestrebte Konzept der vertikalen Integration mit einem kompletten Ferienangebot aus einer Hand ist zwar bereits älteren Datums, wurde durch das ZWG aber weiter forciert. Zu den Pionieren gehört die Weisse Arena Gruppe in Laax GR mit dem rocksresort.

© regiosuisse

Auf dem richtigen Weg

Auch wenn nicht alle direkt Betroffenen über das ZWG gleichermassen begeistert sind, so beurteilen sämtliche Stakeholder das neue Gesetz aus raumplanerischer und ökologischer Optik sehr positiv. Der Konsens ist gross, dass es die Zersiedlung in den betroffenen Gemeinden stoppt, die Entwicklung in der Parahotellerie in nachhaltige Bahnen lenkt und die landschaftlichen und touristischen Qualitäten in den betroffenen Gemeinden stärkt und weiter verbessert.

Einige Regionen und Gemeinden wie Davos/Prättigau GR oder Val d’Anniviers VS reagierten sehr aktiv auf das ZWG, in anderen Hotspots – etwa Grindelwald – blieb es erstaunlich ruhig. Offensichtlich sind der Anpassungsdruck und die Anpassungsbereitschaft je nach Region sehr unterschiedlich. Tourismusdestinationen, die in der Parahotellerie weiterwachsen möchten, suchen nach neuen Rezepten. Klar ist allen Beteiligten, dass es dabei keine einfachen Lösungen gibt. Der Weg in die erfolgreiche touristische Zukunft führt fast immer nur über ein Bündel von aufeinander abgestimmten Projekten und Massnahmen.

Kommunikationsaktivitäten intensivieren

Die Autorinnen und Autoren der Wirkungsanalysen stellten fest, dass das vorhandene Wissen zur Umsetzung des ZWG nicht immer bei den betroffenen Gemeinden beziehungsweise den Zuständigen ankommt. Sie empfehlen daher den Wissensstand unter diesen Akteuren zu fördern und damit die Planungssicherheit im Rahmen des Möglichen zu erhöhen. Zudem empfehlen die Expertinnen und Experten dem Bund, den Kantonen und den betroffenen Gemeinden, mit weiteren Massnahmen und zielgerichteten Dienstleistungen die Finanzierungsbedingungen bei Anpassungsprojekten zu verbessern und die Planungssicherheit zu erhöhen.

Um die Anpassung an das Zweitwohnungsgesetz zu beschleunigen, aber auch um den damit verbundenen Strukturwandel zu koordinieren und dessen Chancen nutzen zu können, müssten die Kompetenzen sowohl der Baubehörden als auch der Projektentwickler und Bauherren erweitert und neue Kompetenzen aufgebaut werden. Dies erfolgt laut Studien am besten über die etablierten Kommunikationskanäle von Branchenverbänden und Standortförderungsorganisationen und mit Unterstützung durch die involvierten Bundesämter (SECO, ARE) und regionalpolitischen Entwicklungsgefässe wie Innotour, NRP und Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit (SGH).

Der Bund hat gemäss Bericht an den Bundesrat zu den Wirkungsanalysen erkannt, dass der Vollzug und die Wissensgrundlagen zu verbessern sind, und plant erste Massnahmen. Für Änderungen des ZWG sieht er dagegen keinen Handlungsbedarf, unter anderem deshalb nicht, weil die Anpassungsprozesse noch im Gange seien.

Letztlich sollen die Bemühungen auch den laufenden Strukturwandel vom monosaisonalen zum Ganzjahrestourismus begünstigen und damit auch den Transformationsprozess «von kalten zu warmen Betten» weiter ankurbeln. Gelingt dieser Schritt, so gelingt es auch, die Destinationen nachhaltiger, zukunftsfähiger und resilienter auszurichten.

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Auf Tessiner Trekking-Pfaden

Peter Jankovsky

Eine vielfältige Berglandschaft, ein grosser Fluss und überall verstreut Rustici: Die Vallemaggia ist eine beliebte Feriendestination bei den Deutschschweizern. Doch das langgezogene Tal nördlich von Locarno ist auch Lebens- und Wirtschaftsraum für die ansässige Bevölkerung. Seit zwei Jahrzehnten laufen Förderprojekte, die die Bedingungen für beide Bereiche verbessern sollen. Diese betreffen die Aufwertung der Landschaft ebenso wie die Schaffung neuer Infrastrukturen. Eines dieser Projekte ist die «Via Alta Vallemaggia», ein 200 Kilometer langer Höhenweg. Er bietet spektakuläre Trekking-Erlebnisse und entwickelt sich zu einem relevanten Wirtschaftsfaktor.

Für viele Gäste, aber auch für Tessinerinnen und Tessiner, ist das Maggiatal ein Sehnsuchtsort sondergleichen. Sein Reiz liegt in der abwechslungsreichen Berg- wie auch Tallandschaft. So ist die 36 Kilometer lange Vallemaggia stellenweise recht breit und die Maggia bestimmt mancherorts mit ihrem ausgeprägten Steinbett das Tal. Trockenmauern durchziehen viele Wiesen, oberhalb deren alte Kastanienselven stocken, aber auch Buchenwälder, für die die Aufnahme ins unesco-Welterbe beantragt wurde. Für ein Bergtal ist auch die Landwirtschaftsfläche beachtlich, auf der einige agrotouristische Einrichtungen zu finden sind. Ins Auge stechen die zahlreichen Rustici: Sie geben der Landschaft ein besonderes Gepräge und sind oft zu Ferienhäusern ausgebaut. Schliesslich tragen auch die Dörfer mit ihren historischen und architektonisch wertvollen Kernen zum malerischen Charakter des Tales bei, etwa das Dorf Peccia in der Nähe des einzigen Marmorsteinbruchs der Schweiz. Unweit davon schmiegt sich in Fusio die Kirche des Tessiner Stararchitekten Mario Botta ins Terrain.

Für Tessiner und Touristen projektieren

Wer durchs Tal fährt oder wandert, dem wird rasch klar: Das Maggiatal bietet viel Potenzial für eine auf der Landschaft basierende Regionalentwicklung. Es eröffnen sich mannigfaltige Möglichkeiten, Landschaftsprojekte mit der Aufwertung von Infrastrukturen für die Bevölkerung und für Gäste zu verbinden. In den letzten zwanzig Jahren realisierten Akteure wie die Associazione Paesaggio Bosco Gurin oder die Fondazione Bavona über 60 Projekte und investierten dabei rund 20 Millionen Franken. Seit 2018 gelangt das regionale Landschaftskonzept namens «Progetto paesaggio comprensoriale», kurz PPC, zur Umsetzung. Es basiert auf der kantonalen Landschaftspolitik, die im Tessiner Raumentwicklungsgesetz verankert ist und von der Abteilung für Raumentwicklung getragen wird. Das PPC formuliert rund 70 neue Ideen für Infrastruktur- und Landschaftsprojekte, die schrittweise konkretisiert und realisiert werden sollen.

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Für den oberen Teil des Maggiatals gilt ein eigenständiger Masterplan. «Es geht darum, für die Talbewohnerinnen und -bewohner eine bessere Lebensqualität und für die Erholungsuchenden mehr Anziehungspunkte zu schaffen», sagt Christian Ferrari. Er leitet die Arbeitsgruppe «Antenna Vallemaggia», die für die Gesamtentwicklung des Maggiatals zuständig ist. Die Vision sei, mit der Förderung touristischer Aktivitäten die Zahl der Talbewohnerinnen und -bewohner zu stabilisieren, erklärt der regionale Koordinator des Masterplans, Timo Cadlolo. Die Realisierung dieser Vision sollte auch Arbeit für die regionalen Kleinbetriebe generieren. Für die ersten vier Jahre sind Investitionen in der Höhe von 25 Millionen Franken vorgesehen. Sie betreffen rund zwanzig touristische und andere infrastrukturelle Projekte, von denen einige – wie auch der Masterplan selbst – über die Neue Regionalpolitik (NRP) gefördert werden. Für Landschaftsprojekte im engeren Sinne steht zudem eine Million Franken zur Verfügung, insbesondere für grössere Aufwertungsarbeiten in der Valle Sascola.

Eines der Landschaftsprojekte, die Herrichtung der Weinberge zwischen Lodano und Moghegno im traditionellen Stil, ist inzwischen gestartet. Bereits realisiert ist der Einkaufsladen «Val Magia», den lokale Lebensmittelproduzentinnen und -produzenten beliefern. Eröffnet wurde auch das «Cà Vegia», ein historisches Patrizierhaus in Cerentino mit jahrhundertealter Originaleinrichtung, wo Feriengäste Übernachtungsmöglichkeiten finden. Eines der Vorzeigeprojekte des Masterplans, das sowohl die Bedürfnisse der Gäste als auch jene der Bevölkerung erfüllen soll, ist schliesslich der geplante Bau eines Hallenbads in Bignasco.

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Trekking-Route als Erfolgsgeschichte

Das eigentliche Vorzeigeprojekt ist aber eine Trekking-Route, der Höhenweg «Via Alta Vallemaggia». Er startet bei den Hügeln am Lago Maggiore, zieht sich – teils auf Bergwanderwegen und alpinen Wegspuren – über die Bergkämme des Maggiatals Richtung Norden und endet in der hochalpinen Zone am Rande des Basòdino, des grössten Tessiner Gletschers. Der Weg erstreckt sich in zwei Varianten mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden über insgesamt 200 Kilometer. Die stark wechselnden Landschaftsszenerien sind das herausragende Merkmal dieses Weges.

Die Idee dazu entwickelte sich während der Erarbeitung des Masterplans 2016, erläutert Ferrari. Man sei von der bereits seit 2009 vorhandenen, 50 Kilometer langen Route auf der rechten Talseite ausgegangen und habe sie auf die andere Seite ausgeweitet. Das Projekt befindet sich mitten in der Umsetzung: Die Route ist erstellt, wofür zusammen mit der Beschilderung und dem Marketing rund 200 000 Franken aufgewendet wurden. Wo möglich, wurden bestehende Wege genutzt, instandgestellt oder abschnittsweise auch neu gebaut. Nun sind die Renovations- und Erweiterungsarbeiten an rund 15 Berghütten, zum Teil verfallenen früheren Rusticosiedlungen, im Gange.

Christian Ferrari (links ) und Timo Cadlolo © regiosuisse

Die «Capanna Alp da Canaa» ist eine der grössten Hütten. Ihr Schlafplatzangebot wird auf zwanzig Plätze verdoppelt. An den Kosten von 820 000 Franken beteiligt sich zur Hälfte der Kanton via NRP. Für den Rest kommen unter anderem der Hilfsfonds der regionalen Burgergemeinden, die «Ente Regionale Lago Maggiore è Vallemaggia», die Gemeinde Maggia und der Grossverteiler Coop auf.

Mit der «Via Alta Vallemaggia» soll mit möglichst geringen Landschaftseingriffen eine neue Attraktion entstehen. Letzten Sommer habe sich das Trekking-Angebot bereits als Erfolgsgeschichte entpuppt, freut sich Masterplan-Koordinator Cadlolo. Die Berghütten seien sehr gut besucht gewesen, dies trotz der Corona-Vorschriften, die die Bettenkapazität verringert hätten. Laut Cadlolo stammte die Mehrheit der Hüttenbesucherinnen und -besucher aus der Deutschschweiz. Der Masterplan-Koordinator schliesst nicht aus, dass sich im kommenden Sommer die Trekking-Übernachtungen in den Berghütten auf insgesamt 1500 verdoppeln.

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Tourismus attraktivieren – Landschaftsqualität erhalten

Die Einweihung des Weges am kommenden 24. Juli steht noch bevor. Doch jetzt schon hat sich der Höhenweg zu einem Wirtschaftsfaktor entwickelt. Vor dem Trekking-Projekt übernachteten in der unbewarteten «Capanna Alp da Canaa» pro Saison etwa 300 Personen für jeweils 35 Franken. In zwei oder drei Jahren dürften es bis zu 500 Übernachtungen pro Saison sein, erwartet Ferrari. Zu den unbewarteten und nun vernetzten Berghütten gesellen sich bewartete Unterkünfte, in denen einem für rund 65 Franken nebst einem Bett auch Abendessen und Frühstück angeboten werden.

Nach Abschluss der Hüttensanierungs- und -ausbauarbeiten sollen weitere Dienstleistungen wie geführte Touren das Angebot ergänzen. Um die Bettenzahl zusätzlich zu erhöhen, ist auch dieses Jahr die Errichtung von Schlafzelten vorgesehen. Auch eine Online-Reservierung soll ermöglicht werden.

Bei aller eifriger Ausbautätigkeit hält Ferrari fest, das Ziel im Hinblick auf die Landschaft des Maggiatals bleibe, sie als Touristenattraktion zu nutzen – aber als möglichst unberührte Alpenlandschaft. Denn genau das ist in Ferraris Augen ihr grösster Wert.

invallemaggia.ch/it/progetti

viaaltavallemaggia.ch

regiosuisse.ch/nrp

Weitere Artikel

Ticino a tavola

«Das Tessin bittet zu Tisch» – mit Spezialitäten, deren Zutaten aus lokaler Produktion stammen. Das ist das Konzept des 2009 gestarteten nrp-Projekts «Sapori del Ticino a Tavola» (seit 2013 «Ticino a Tavola»; «regioS 07»). Zuständig für «Ticino a tavola» ist das Kompetenzzentrum für Agrarprodukte und Nahrungsmittel.

Die Tessiner Lust auf «local food»

Die Sonnenstube der Schweiz entwickelt sich zu einem Gastroparadies der authentischen Art: Auf die Teller von Tessiner Restaurants kommen immer mehr Menüs aus lokaler Produktion. «Unsere Produkte werden bei Tessiner Kundinnen und Kunden und den Gästen immer beliebter», sagt CCAT-Direktorin Sibilla Quadri.

Momentan beteiligen sich 98 Tessiner Restaurants am Projekt sowie vier ausserkantonale; letztes Jahr waren es noch 150. Der Rückgang ist eine Folge verschärfter Aufnahmekriterien. Unter anderem muss nun jedes Mitgliedsrestaurant mindestens drei lokale Hauptmenüs anbieten, die ausschliesslich aus regionalen und saisonalen Zutaten bestehen. Dazu gehören etwa der Mais für die Polenta oder der Reis aus Ascona für den Risotto.

Zudem baute das CCAT das Webportal aus, über das auch der Online-Verkauf organisiert ist, und es wurden neue Verkaufsläden eröffnet.

ticinoatavola.ch
ccat.ch

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Programm «Smart Villages/Smart Regions»

Die Digitalisierung betrifft alle Lebensbereiche; auch Gemeinden und Regionen in Berggebieten eröffnet sie neue Möglichkeiten. Im Rahmen der NRP-Pilotmassnahmen für die Berggebiete haben das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) das Programm «Smart Villages/Smart Regions» lanciert. Das Programm bietet Beratung und finanzielle Unterstützung für Gemeinden und Regionen, die in einem partizipativen Prozess Massnahmen erarbeiten, mit denen sich die digitalen Möglichkeiten für die wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung nutzen lassen. Ziel ist es, jeweils einen von der Gemeindeexekutive verabschiedeten Aktionsplan mit konkreten Umsetzungsprojekten zu entwerfen. Die Möglichkeiten des Programms nutzen bereits mehr als ein Dutzend Gemeinden und Regio­nen. Weitere können teilnehmen.

Mehr zum Programm und zur Teilnahme

regiosuisse.ch/nrp-pilotmassnahmen-berggebiete

Landschaft in der Regionalentwicklung – eine lohnende Herausforderung

Pirmin Schilliger & Urs Steiger
Die Schönheit und Eigenart der Landschaft stellt in vielen ländlichen Regionen und Berggebieten der Schweiz, aber auch in den Agglomerationen, einen zentralen wirtschaftlichen Faktor dar. Mancherorts bildet sie die eigentliche Lebensgrundlage. Es drängt sich damit die Frage auf, wie weit sich diese Regionen wirtschaftlich entwickeln können, ohne dass ihre Landschaften an natürlichen und baukulturellen Qualitäten einbüssen. Einen Weg für einen sorgfältigen Umgang mit Landschaft bietet der Bund mit den Pärken von nationaler Bedeutung. Auch im Rahmen der Neuen Regionalpolitik (NRP), der Modellvorhaben Nachhaltige Raumentwicklung und weiterer staatlicher und privater Förderinstrumente sind in den vergangenen Jahren zukunftsweisende Projekte lanciert worden. Die Inwertsetzung von Landschaft erweist sich in der Umsetzung allerdings als anspruchsvolle Aufgabe mit langem Zeithorizont, die in die verschiedensten Lebens- und Wirtschaftsbereiche hineinwirkt.

Ranger Stefan Steuri vom Naturpark Gantrisch © regiosuisse

Noch vor einem Jahrzehnt war das Gantrisch-Gebiet eine wenig bekannte Landschaft. Dies hat sich in den letzten Jahren geändert. Die waldreiche Voralpengegend mit den tief eingeschnittenen Flussläufen von Sense und Schwarzwasser, der Gantrisch- und Gurnigelkette, Moorlandschaften, dem Schwarzsee sowie der Urlandschaft Brecca gehört seit 2012 unter dem Label «Regionaler Naturpark Gantrisch» (RNG) zum erlesenen Kreis der regionalen Naturpärke der Schweiz. Wie 18 weitere Gebiete untersteht der RNG damit der Pärkeverordnung (PäV, Verordnung über die Pärke von nationaler Bedeutung) und gilt als Modellregion für eine nachhaltige Regionalentwicklung. Die Pärkeverordnung ermöglicht es dem Bund, die Errichtung und den Betrieb von Pärken in Gebieten mit hohen Natur- und Landschaftswerten finanziell zu fördern.

Attraktive Angebote

«Die Gründung des Parks hat in unserer Region eine Reihe von Projekten ausgelöst», sagt RNG-Sprecherin Ramona Gloor. Touristische Angebote erschliessen das Gantrisch-Gebiet heute als alpine Outdoorlandschaft, als Bike- und Fahrradregion oder Seilpark. Eine weitere Attraktion ist der kürzlich erneuerte «Gäggersteg», auf dem Besucherinnen und Besucher aus nächster Nähe beobachten, wie sich der Wald seit dem Sturm Lothar im Jahr 1999 entwickelt hat.

Gloor spricht im Zusammenhang mit dem Aufbau und Betrieb des Parks von einer «anspruchsvollen Aufgabe», bei der das richtige Mass oft entscheidend sei. An schönen Wochenenden etwa geraten die urtümlichen Moor- und die wilden Flusslandschaften schnell unter Naherholungsdruck. Das Team des Naturparks Gantrisch begegnet dieser Herausforderung mit einer gezielten Besucherlenkung und mit Rangern, die die Gäste auf die richtigen Wege lotsen. Gloor meint: «Wir wollen nicht mit mehr und mehr Angeboten stets noch mehr Gäste ins Gantrisch-Gebiet locken; der Tourismus muss auf den Nachhaltigkeitsprinzipien aufbauen und unseren Parkwerten entsprechen.»

Naturpark als Vorzeigemarke

Wirtschaftlich profitiert vom Naturpark die Land- und Forstwirtschaft ebenso wie das lokale Gewerbe; mittlerweile werden über 300 Erzeugnisse unter dem Produktlabel «Schweizer Pärke» vermarktet. Nicht zuletzt ist die Parkorganisation selbst ein wichtiger Auftrag- und Arbeitgeber. Ausserdem funktioniert sie als Vernetzungsplattform für die beteiligten Akteurinnen und Akteure. «Seit der Errichtung des Naturparks herrscht in unserer Region Aufbruchstimmung; der Park hat dem Gantrisch-Gebiet zu einer eigenen Identität verholfen», stellt Gloor fest. Das naturnahe Gebiet in den Berner und Freiburger Voralpen hat sich als unverwechselbare und eigenständige Region und als touristische Marke etabliert. Es ist zum Vorzeigebeispiel geworden, wie Landschaft nachhaltig in Wert gesetzt und gleichzeitig in ihrer Qualität gestärkt werden kann.

Dieses Fazit ziehen die Expertinnen und Experten des Interdisziplinären Zentrums für Nachhaltige Entwicklung und Umwelt (CDE) der Universität Bern im Evaluationsbericht, den sie zuhanden des für den Park verantwortlichen Kantons Bern erstellt haben. Mit Zahlen belegt der Bericht den Beitrag zur Stärkung und Förderung der regionalen Wirtschaft: Die durch den Naturpark induzierte touristische Wertschöpfung betrug 2018 rund 7,3 Millionen Franken. Dies entspricht beschäftigungsmässig 87 Vollzeitstellen. Die zusätzliche Wertschöpfung aus regionalen Produkten belief sich im Zeitraum 2012 bis 2018 auf knapp 9 Millionen Franken. Nicht berücksichtigt sind in diesen Summen Leistungen zur Aufwertung von Natur und Landschaft wie das Offenhalten von Wiesen und Weiden (Schwenten), Heckenunterhalt und -pflege, Neubepflanzungen, Nistplatzpflege, Trockensteinmauersanierungen usw., die Landwirte sowie private Organisationen im Park erbringen. Die Expertinnen und Experten sehen aber auch noch wirtschaftliches Entwicklungspotenzial für den RNG, beispielsweise bei der Wertschöpfung mit Holz oder in der Gastronomie.

Ein ähnlich positives Fazit wie für den Naturpark Gantrisch liesse sich für die meisten der 18 Schweizer Pärke von nationaler Bedeutung ziehen, die zusammen über 5200 Quadratkilometer oder rund einen Achtel der Landesfläche einnehmen. Das Ziel, das der Bund mit den Pärken von nationaler Bedeutung verfolgt – die Natur- und Landschaftsqualität im Einklang mit einer nachhaltigen regionalen Wirtschaftsentwicklung erhalten und aufwerten –, deckt sich dabei weitgehend mit den Zielen der Neuen Regionalpolitik (NRP).

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«Landschaftskonzept Schweiz» (LKS) als Richtschnur

Die Landschaften der dicht besiedelten Schweiz sind zumeist belebte Räume, vom Menschen geprägt und auf vielfältige Weise beansprucht und genutzt: als Wohn-, Arbeits-, Erholungs-, Bewegungs-, Kultur- und Wirtschaftsraum und als räumliche Basis für die Biodiversität. Es sind Landschaften, die sich über die Jahrhunderte entwickelt haben und gerade in den letzten Jahrzehnten enorm umgestaltet wurden. In unserer durch Wachstum und Mobilität geprägten Gesellschaft müssen sie unterschiedlichsten Ansprüchen genügen. Das 2020 vom Bundesrat verabschiedete, aktualisierte «Landschaftskonzept Schweiz» (LKS)1 ist die eigentliche Richtschnur für einen Ausgleich der Interessen und gibt den Rahmen für eine kohärente und qualitätsorientierte Entwicklung der Landschaft vor. Die Vision des Bundesrates ist es, dass die Schönheit und die Vielfalt der Schweizer Landschaften mit ihren regionalen natürlichen und kulturellen Eigenarten sowohl heutigen als auch künftigen Generationen eine hohe Lebens- und Standortqualität bieten. Zur Realisierung dieser Vision definiert das LKS je sieben allgemeine und landschaftsspezifische Landschaftsqualitätsziele sowie darauf abgestimmte Sachziele für die landschaftsrelevanten Sektoralpolitiken. Das LKS wirkt dabei als Koordinationsinstrument der verschiedenen Gesetze und Instrumente, die sich mit der Landschaft befassen – dies betrifft den Natur- und Heimatschutz und die Raumplanung ebenso wie die Landwirtschaftspolitik, die Landesverteidigung, die Regionalpolitik oder den Tourismus. So soll die Regionalentwicklung etwa die Vielfalt der Landschaften mit ihren regionaltypischen Natur- und Kulturwerten als wichtigen Standortqualitäten und insbesondere als Alleinstellungsmerkmalen stärker berücksichtigen. Sie soll sowohl zu deren Sicherung wie auch zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung beitragen.

Der Kanton als Koordinator und Wegbereiter

Projekte zu entwickeln, die den gesellschaftlichen Ansprüchen an eine hohe Landschaftsqualität gerecht werden und wirtschaftlich erfolgreich – also insgesamt nachhaltig – sind, bringt für die jeweiligen Initianten einige Herausforderungen mit sich. Es gilt den Aktionsradius zu definieren, in dem der Aufwand und der wirtschaftliche Ertrag räumlich in etwa übereinstimmen, sich aber auch in den vielfältigen Vorschriften, Fördermöglichkeiten und Handlungsebenen zurechtzufinden. Erfolgreiche Beispiele, Hilfsmittel und Unterstützungsangebote weisen inzwischen den Weg. Der Kanton Tessin beispielsweise hat mit der «Piattaforma paesaggio» eine Anlaufstelle beim Amt für Raumentwicklung etabliert, die entsprechende Projekte koordiniert. Sie dient Projekt­initianten – ob Gemeinden, Korporationen, Vereinen oder Verbänden – als eine Art One-Stop-Shop. Expertinnen und Experten helfen bei der Finanzierung, beraten und begleiten die Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller und leiten sie zu weiteren Fördermöglichkeiten, etwa zu privaten Organisationen und Stiftungen. «Das finanzielle Engagement des Kantons ist oft eine entscheidende Voraussetzung, um weitere Unterstützung zu erhalten», erklärt Paolo Poggiati, Präsident der «Piattaforma paesaggio». Im Zeitraum von 2008 bis 2018 wickelte die Plattform 57 Projekte mit einem Investi­tionsvolumen von insgesamt rund 30 Millionen Franken ab. Nicht zuletzt bündelt die Plattform auch die Aufgaben aller beteiligten kantonalen Ämter (Wirtschaft, Wald und Landwirtschaft, Natur- und Heimatschutz, Denkmalpflege usw.). «Die Projekte sind vor allem für die abseits gelegenen Seitentäler und Berggebiete enorm wichtig», betont Poggiati. «Dort haben die Initiativen lokale Wertschöpfungsketten wiederbelebt und neue Formen der Zusammenarbeit ausgelöst.»

Good Practices landschaftsbezogener Regionalentwicklung

Im Auftrag des BAFU hat die PLANVAL AG die praktischen Möglichkeiten untersucht, ob und wie die Landschaft als Potenzial für eine nachhaltige regionale Entwicklung wirken kann und wie Regionen in ihrer Entwicklung konkret von einem «Leitthema Landschaft» profitieren können. Die Studie2 umfasst mehr als hundert Landschaftsprojekte und kategorisiert deren Strategien zur Inwertsetzung der Landschaft als «marktwirtschaftlich» (Wohnstandort, Tourismus, Energie), «Abgeltung für Landschaftsleistungen» oder «gemischt» (Pärke, Landwirtschaft). Vertieft beleuchtet die Studie schliesslich zwölf Musterbeispiele aus der Schweiz, die inhaltlich ein breites Spektrum von Aktivitätsbereichen abdecken. Die Inwertsetzung gelingt am besten, wenn die spezifischen Potenziale einer Landschaft erkannt, gezielt genutzt und erhalten werden. Dazu braucht es meist das Zusammenspiel mehrerer Fachbereiche wie Tourismus, Landwirtschaft und Naturschutz. Ein zentrales Merkmal der Musterbeispiele ist, dass sich eine Stelle um die langfristige Steuerung und Koordination kümmert. Als sehr hilfreich haben sich dabei regionale Strategien erwiesen (vgl. «regioS 17»). Für die Umsetzung in der Praxis skizziert die Studie ein Modell mit Entwicklungspfaden, die sich in sechs Phasen gliedern lassen. Betont wird ausserdem die langfristige Ausrichtung. Schnelle Erfolge erleben die Beteiligten selten, gefragt sind vielmehr Beharrlichkeit, Durchhaltewille und Geduld.

© regiosuisse Basierend auf: «Landschaft als Leitthema für eine nachhaltige Regionalentwicklung». Eine Analyse von Musterbeispielen. Schlussbericht. PLANVAL, im Auftrag des BAFU. Bern, 2019.

«100 % Valposchiavo»

Eindrücklich zeigt dies die Landschaftsentwicklung im Puschlav, wo derzeit die zweite Etappe des Projekts «100 % Valposchiavo» läuft. Das Ziel: Bis 2028 sollen alle Bauern und Bäuerinnen im Tal ihre Betriebe nicht nur biologisch bewirtschaften, sondern auch alle Erzeugnisse – Milch- und Fleischprodukte, Buchweizenmehl, Kräuter, Früchte usw. – selber verarbeiten und unter dem Label «100 % Valposchiavo»® vermarkten. Die Region baut damit eine geschlossene Wertschöpfungskette auf. Mit gutem Erfolg: «Es gibt heute schon über hundert Produkte mit dem Zertifikat», erklärt Cassiano Luminati, Direktor des Polo Poschiavo. Die meisten Restaurants im Tal führen seit 2015 auf ihrer Speisekarte Gerichte, die ausschliesslich mit lokalen Zutaten zubereitet sind. An den Kosten der aktuellen Etappe 2021 bis 2028 beteiligt sich der Bund im Rahmen des Programms «Projekte zur regionalen Entwicklung» (PRE) des Bundesamtes für Landwirtschaft mit 10,7 Millionen Franken. Die Entwicklung des Puschlavs zum innovativen «Bio Smart Valley» ist von langer Hand geplant. «Das Tal zählt zu den Pionieren der biologischen Landwirtschaft», ruft Luminati in Erinnerung. Bereits heute werden 95 Prozent der Landwirtschaftsfläche biologisch bewirtschaftet – ein schweizweit einmaliger Anteil. Ein entscheidender Schritt für die Entwicklung im Tal war die Anerkennung der Bernina-Bahnlinie als UNESCO-Welterbe 2008. «Wir haben in der Folge partizipativ eine regionale Strategie entwickelt, die die materiellen und immateriellen Ressourcen unseres Gebietes in den Mittelpunkt stellt», sagt Luminati. Ziel ist es, das Valposchiavo zur grundlegenden wirtschaftlichen Basis der regionalen Entwicklung zu machen; der Weg dazu führt über eine Symbiose aus biologischer Landwirtschaft und nachhaltigem Tourismus auf dem Fundament der einzigartigen Landschaft. Das Tal steckt somit mitten in einem Langzeitvorhaben, das die Bevölkerung Schritt für Schritt in die Tat umsetzen wird. Sie nutzt dazu geschickt die zahlreichen Instrumente, die die Politik zur Verfügung stellt. Mit dem jüngsten Projekt – dem Modellvorhaben «Landschaftswerte für die nächste Generation erhalten» – versucht das Tal den Weg in die Zukunft mittels einer gemeinsamen «Perspektive 2040» weiter zu justieren. Das historische Gedächtnis des Tals, das traditionelle Landschaftswissen und die Wertvorstellungen der lokalen Bevölkerung sollen noch stärker in die Regionalentwicklungsprozesse einfliessen.

Blick auf Poschiavo GR im Puschlav © regiosuisse

Geschichte neu lanciert

Über alle Förderinstrumente betrachtet, betreffen rund zwei Drittel aller in der PLANVAL-Studie untersuchten Projekte zur Inwertsetzung von Landschaft den Tourismus. Das ist kein Zufall, bedenken wir die einzigartige Dichte attraktiver Landschaften in der Schweiz und die historische Entwicklung. Die «Entdeckung der Alpen» durch vorwiegend englische Bildungsreisende begründete gleichsam den Schweizer Tourismus. In Anlehnung an die sogenannte «Grand Tour», die Thomas Cook 1858 erstmals als Pauschalreise durch die Schweiz organisierte, steht bei dem 2015 von Schweiz Tourismus lancierten Projekt «Grand Tour of Switzerland» die landschaftliche Vielfalt im Mittelpunkt. Die 1640 Kilometer lange Route führt – meist im eigenen Auto – durch die spektakulärsten Landschaften und die attraktivsten Städte der Schweiz. Sie verknüpft 5 Alpenpässe, 22 Seen, 12 UNESCO-Welterbestätten und 45 Sehenswürdigkeiten. Das Angebot greift dabei auf bestehende Infrastrukturen im Verkehr, in der Gastronomie und der Hotellerie zurück. Neu sind lediglich 650 diskrete Wegweiser sowie 48 installierte «Fotorahmen», die besondere Landschaftsausschnitte einfassen und zum Fotografieren einladen. «Mit ihnen rücken wir die ikonografischen Landschafts- und Siedlungsbilder ins eigentliche Zentrum des Erlebnisses», erklärt Konzeptentwickler Matthias Imdorf von der Erlebnisplan AG, der als Berater mit von der Partie war. Imdorf ist überzeugt, dass die Inwertsetzung der Landschaft noch «fast endloses Potenzial bietet».

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Ökonomischer Nutzen schwer erfassbar

Die Fallbeispiele der PLANVAL-Studie veranschaulichen eindrücklich, dass eine nachhaltige, qualitätsorientierte und vielfältige Nutzung und Bewirtschaftung von Landschaft gelingen kann. Vorausgesetzt werden die Kenntnis der komplexen gesetzlichen Rahmenbedingungen und eine zielgerichtete Koordination der Beteiligten im Sinne einer Good Governance.

Der ökologische und landschaftsästhetische Nutzen ist in vielen Fallbeispielen ebenso offensichtlich wie die ideellen Benefits wie Imagegewinn, Kooperationskultur oder neue sozioökonomische Netzwerke. Welche konkrete Wertschöpfung sich mit landschaftsbezogenen Produkten und Dienstleistungen effektiv erzielen lässt, bleibt aber mangels Daten häufig diffus. Es lässt sich nur indirekt ermitteln, welcher volkswirtschaftliche Nutzen einer Region entgeht, wenn sie auf die Inwertsetzung der Landschaft verzichtet. In dieser Hinsicht gilt es noch einige ökonomische Grundlagenarbeit zu leisten. «Zwar lässt sich der unmittelbare Nutzen der Landschaft etwa für die Land- und Forstwirtschaft oder für eine konkrete Region und Fragestellung meistens ziemlich genau berechnen, doch die kulturellen und touristischen Leistungen von Landschaft lassen sich insgesamt schwer beziffern», stellen Ökonomen der HES-SO Genève in einer Metastudie3 fest.

Nicht zwingend besteht eine direkte Beziehung zwischen dem ökologischen Wert einer Landschaft, etwa als Hotspot der Biodiversität, und ihrem ökonomischen Wert. Ein vielbesuchter Stadtpark ist ökonomisch allenfalls wertvoller als ein peripheres Naturgebiet. Um den Wert und die Leistungen einer Landschaft trotzdem zu erfassen, bedient sich die Landschaftsökonomie indirekter Methoden, etwa um mithilfe der Immobilienwerte die Seesicht und das Bergpanorama zu bewerten. Eine BAFU-Studie4 aus dem Jahre 2014 ermittelt auf solche Weise den Erholungswert des Schweizer Waldes auf zwei bis vier Milliarden Franken pro Jahr. Eine Studie5 der ETH und der Schweizer Pärke von 2018 beziffert die touristische Wertschöpfung für den Landschaftspark Binntal auf 22 Millionen Franken und für den Parc Ela auf 106 Millionen Franken pro Jahr.

Insgesamt ist die Faktenlage hinsichtlich der ökonomischen Bewertung der Landschaft deshalb zurzeit noch unbefriedigend. Die Messbarkeit landschaftsinduzierter Wertschöpfung wäre aber eine wichtige Voraussetzung, um landschaftsbezogene Regionalentwicklung gezielter anzugehen. Der Tourismusexperte Jürg Schmid sieht vor allem im naturnahen Tourismus überdurchschnittliche Wachstumsmöglichkeiten, die genutzt werden könnten, ohne die Landschaftsqualität zu beeinträchtigen. «Die regionalen Naturpärke und die Welterbegebiete präsentieren die Essenz der Schweizer Natur und die regionale Vielfalt. Doch es fehlen lustvolle, gästeorientierte Angebote und spezifisch auch Erlebnisse für den Premium-Reisemarkt, die das grosse Potenzial in Wertschöpfung umsetzen», so Schmid (vgl. Roundtable «Die attraktive Landschaft ist das Fundament unseres Tourismus.»).

Potenziale, Instrumente und gute Vorbilder, um die hohe Landschaftsqualität in den Regionen der Schweiz zu nutzen und gleichzeitig zu fördern, sind also vorhanden. Was es braucht, sind engagierte Menschen mit guten Ideen und einem langen Atem, die die Potenziale erkennen und andere Leistungsträger zum Mitmachen begeistern.

Gesetzlicher Rahmen und Förderinstrumente

Landschaftsrelevante Gesetzgebung: Bundesverfassung (BV), Raumplanungsgesetz (RPG), Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz (NHG), Pärkeverordnung (PäV), Landwirtschaftsgesetz (LwG), Waldgesetz (WaG), Gewässerschutzgesetz (GSchG), Bundesgesetz über Fussund Wanderwege (FWG), Jagdgesetz (JSG), Bundesgesetz über die Fischerei (BGF), Energiegesetz (EnG), Nationalstrassengesetz (NSG), Eisenbahngesetz (EBG), Landschaftskonzept Schweiz (LKS) u.a.

Förderinstrumente des Bundes: Neue Regionalpolitik (NRP), Pärkepolitik des Bundes, ProgrammvereinbarungenNaturschutz und LandschaftFinanzhilfen nach Art. 13, NHG (Historische Verkehrswegeund Ortsbilder/Denkmalpflege), Projekte zur regionalen Entwicklung(PRE), Landschaftsqualitätsprojekte(LQP), Modellvorhaben NachhaltigeRaumentwicklung (MoVo), Tourismusförderung^(Innotour), Landschaftsfonds Schweiz u.a.

gantrisch.ch

valposchiavo.ch

grandtour.myswitzerland.com

regiosuisse.ch/nrp

parks.swiss

bafu.admin.ch/paerke

blw.admin.ch/pre

regiosuisse.ch/finanzhilfen

Literatur und weiterführende Informationen

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