Arve – Erholungsraum im Herzen der Genfer Agglomeration

Raphaël Chabloz

Das Landschaftsprojekt «Arve» hat zum Ziel, die Freiräume entlang des französisch-schweizerischen Flusses im Grossraum Genf für die Bevölkerung besser zugänglich zu machen. Geplant sind Velo- und Fussgängerwege und die Neugestaltung von Parks und anderen Anlagen. Mit sanften Eingriffen kann der wilde Charakter der Arve erhalten bleiben. Die Steuerung dieses Modellvorhabens, das 2014 bis 2018 vom Bund unterstützt wurde, ist komplex, und die Herausforderung besteht darin, die Dynamik des Projekts und den Elan langfristig zu bewahren.

Die Arve: Die Genfer Bevölkerung ist vertraut mit diesem Fluss, der in die Rhone mündet. Das schlammige graue Wasser der Arve und das dunkelblaue der Rhone fliessen eine Weile nebeneinanderher, bevor sie sich schliesslich vermischen und in Richtung Süden entschwinden. Diesem spektakulären Zusammenfluss verdankt das Genfer Quartier «Jonction» seinen Namen. Deutlich weniger bekannt ist der Oberlauf des 107,8 Kilometer langen Flusses; er entspringt im Montblanc-Massiv und schlängelt sich über neun Kilometer durch den Kanton Genf. «Die Arve ist laut, stürmisch und wilder als die Rhone», sagt Anne-Lise Cantiniaux, Projektleiterin Natur und Landschaft beim Genfer Raumplanungsamt. «Genf braucht solche Freiräume, die nicht zu sehr entwickelt, aber einladend sind.» Die Arve bietet diesbezüglich ein grosses Potenzial.

Anne-Lise Cantiniaux © regiosuisse

Sanfte Eingriffe

Diese Erkenntnis bildet die Grundlage des 2013 lancierten Landschaftsprojekts «Arve». Die Ziele waren vielfältig, wie der 2018 publizierte Erfahrungsbericht belegt; sollte das Projekt doch den Unterhalt der Arve und ihrer Nebenflüsse unterstützen, die sensiblen Naturräume erhalten und vernetzen und die Landschaft und das bauliche Erbe schützen und aufwerten. Die besondere Herausforderung bestand darin, im Rahmen eines gemeinsamen, grenzüberschreitenden Projekts die Siedlungsentwicklung zu steuern und zu integrieren, die Flusslandschaft für die Landwirtschaft und als Naherholungsgebiet zu bewahren und weiterzuentwickeln und gleichzeitig die sanfte Mobilität zu fördern und die öffentlichen Räume besser zu vernetzen, damit die lokale Bevölkerung davon profitieren kann.

«Die Ufer der Arve wurden mit sanften Eingriffen für die Bevölkerung zugänglich gemacht», erklärt Anne-Lise Cantiniaux. Ein französisch-schweizerischer Rundkurs – der «Parcours en balcon» – soll es Fussgängern und Velofahrerinnen ermöglichen, von Annemasse nach Genf zu gelangen, während eine «Promenade basse» durch Parks und andere Anlagen direkte Zugänge zum Fluss schafft. Auf diese Weise bieten die Uferwege die Möglichkeit, den Flussraum mit seiner vielfältigen Flora und Fauna, seinen Licht- und Schattenspielen sowie seinen Bauten und Industrieanlagen zu erleben. Die Agglomeration «Grand Genève» unterstützt das Projekt «Arve» im Rahmen seines Agglomerationsprogramms, und der Bund hat es von 2014 bis 2018 als Modellvorhaben für Nachhaltige Raumentwicklung gefördert. Das Projekt ist jedoch grenzüberschreitend angelegt. Daran beteiligt sind die fünf Schweizer Anliegergemeinden und die vier französischen, zusätzlich die Agglomeration Annemasse (F), der französische Teil der Agglomeration Genf, die Gewässergenossenschaften Arve und Foron (F), der Kanton Genf und der lokale, grenzüberschreitende Kooperationsverbund des Grossraums Genf.

Begeisterung wecken

Der Parc des Falaises in Chêne-Bougeries, der 2014 eingerichtet wurde, war die erste konkrete Massnahme des Projekts. Dieses Areal war teilweise bereits zugänglich, doch die Sicht auf die Arve durch Vegetation verdeckt. Eine Hecke wurde entfernt, um den Blick auf die weite Landschaft zu öffnen. Auf der Lichtung wurden Picknicktische, Bänke und ein Spielplatz eingerichtet. Ein Weg, der rund um den Park führt, soll Erholungsuchende dazu animieren, die Arve fern vom Trubel der Stadt inmitten der Natur zu geniessen. «Wir mussten rasch Ergebnisse vorweisen, um die Leute für dieses Projekt zu begeistern und zu zeigen, dass die Planung sinnvoll ist», resümiert Anne-Lise Cantiniaux.

© regiosuisse

Die Landschaft als Tor zur Mobilität

Das Projekt «Arve» will jedoch nicht nur Zugang zu schönen Landschaften ermöglichen. Ein französisch-schweizerischer Veloweg, von dem einige Abschnitte bereits realisiert sind, soll den zahlreichen Pendlerinnen und Pendlern der Region den Weg zum Arbeitsplatz oder zu den Bahnhöfen der ceva, der im Dezember 2019 eingeweihten Bahnstrecke zwischen Annemasse und dem Bahnhof Eaux-Vives in Genf, erleichtern. «Die Landschaft bietet eine ideale Eingangspforte zum Thema ‹Mobilität›», stellt Anne-Lise Cantiniaux fest und ergänzt: «Bei Landschaftsprojekten ist es oft einfacher, einen Konsens zu erreichen, während Verkehrsfragen häufig sensibler zu behandeln sind.» Das Projekt soll entsprechend auch dazu beitragen, die Landschaft entlang der Arve zum Rückgrat eines durchgehenden, zugänglichen und attraktiven öffentlichen Raums zu entwickeln.

«Genf probiert gerne etwas aus», sagt sie. Doch die Steuerung eines solchen Projekts ist komplex. So bilanziert der Projektbericht von 2018: «Das Landschaftsprojekt ‹Arve› wirft Fragen zur Beziehung zwischen föderaler, kantonaler und lokaler Landschaftspolitik, verknüpft mit Siedlungs- und Mobilitätspolitik, auf. Gefragt ist nicht nur eine Betrachtung auf verschiedenen Stufen, sondern vor allem auch die Wahrung der Kohärenz zwischen den diversen Planungsebenen und zwischen Planungs- und operativen Phasen.» Die grosse Anzahl beteiligter Partner steigerte die Komplexität zusätzlich. Gleichzeitig gewährleistete das Gleichgewicht der Flussabschnitte auf der Genfer Seite beziehungsweise auf Seite der Haute-Savoie, dass das Projekt weder zu einseitig auf die französischen noch zu sehr auf die schweizerischen Interessen und Rahmenbedingungen ausgerichtet war.

Nachhaltig sichern

Heute steht für Anne-Lise Cantiniaux im Vordergrund, für das Projekt die langfristige, dauerhafte Umsetzung zu sichern. «Die Weiterführung muss über viele Jahre gewährleistet sein, sonst ist der Ansatz nicht kohärent.» 2020 haben die Genfer Gemeinden ihre Behörden neu gewählt; dies bedeutet, dass Kontakte mit einer neuen Generation von Mandatsträgerinnen und -trägern geknüpft werden mussten, damit die Energie nicht verpuffte. «Ich bin zufrieden mit diesen Gesprächen. Die Gemeinden haben das Landschaftsprojekt in ihre kommunalen Richtpläne aufgenommen», sagt Anne-Lise Cantiniaux. «Wenn sie die Federführung übernehmen, ist das ein Erfolg.» Es scheint, das Projekt hat, wie die Arve, über die Jahre manche Stromschnelle meistern und viele Mäander durchlaufen müssen, bevor es sich zu einem langen, ruhigen Fluss wandeln konnte.

modellvorhaben.ch

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Ein Park zum Leben und Erleben

Nathalie Jollien

Die Alpwirtschaft mit ihrer Käseproduktion und die Bewahrung traditionellen Wissens und überlieferter Fertigkeiten spielen im Regionalen Naturpark Gruyère Pays-d’Enhaut eine entscheidende Rolle für die Erhaltung und die Pflege der Landschaftsqualität. Massnahmen zugunsten der Biodiversität sollen ebenso zur Stärkung der Landschaftsqualität beitragen wie eine neue Landschaftsstrategie. Sie bildet die wichtigste Ressource dieser Regionen und ist entsprechend von zentraler Bedeutung für die Regionalentwicklung. Die touristischen Angebote und Aktivitäten sind alle direkt mit der Landschaftsqualität verbunden. Auch für die Vermarktung der aop-zertifizierten Käse Gruyère d’Alpage, L’Etivaz und Vacherin fribourgeois stellt die Landschaft einen Schlüsselfaktor dar.

Der 630 Quadratkilometer grosse Regionale Naturpark Gruyère Pays-d’Enhaut liegt in den Voralpen, am Schnittpunkt der Kantone Freiburg, Waadt und Bern. 2012 gegründet, umfasst der Park heute 17 Gemeinden zwischen Montreux und Bulle und zwischen Gstaad und Gruyères. Er erstreckt sich von den Ufern des Genfersees bis auf über 2500 Meter auf La Pare oberhalb von Les Diablerets. «Diese unterschiedlichen Höhenlagen», erklärt François Margot, Agraringenieur und einer der beiden Koordinatoren des Parks, «sorgen für eine grosse Vielfalt – für ein Mosaik von Wiesen, Weiden und Wäldern, Dörfern und Weilern, aber auch felsigen und unberührteren Gebieten, die vor allem im südlichen Teil des Parks in grosser Höhe zu finden sind.»

François Margot © regiosuisse

Landschaft – Schlüsselelement der wirtschaftlichen Entwicklung

Die vielfältige Landschaft stellt die wichtigste Ressource dieser Regionen dar und spielt eine entscheidende Rolle für ihre Entwicklung. «Die lokale Bevölkerung ist sehr stark mit ihr verbunden. Sie ist ein zentrales Element der Lebensqualität und motiviert die Menschen, hier zu leben und sich einzubringen», meint Margot, der dreissig Jahre lang Regionalsekretär des regionalen Wirtschaftsförderverbandes des Pays-d’Enhaut war. Die touristischen Aktivitäten sind alle direkt mit der Landschaftsqualität verbunden. Für Margot sind es vor allem die Landschaft und das immaterielle Kulturerbe – die lebendigen Traditionen, die die Identität dieser Regionen ausmachen –, die die Gäste anziehen. «Für mich sind diese beiden Elemente stark miteinander verknüpft, da die Landschaft die wirtschaftliche Inwertsetzung unserer traditionellen regionalen Produkte ermöglicht. Der Gruyère d’Alpage aop, der L’Etivaz aop und der Vacherin fribourgeois aop können sich so von industriell hergestellten Käsen abheben und sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.»

© regiosuisse

Tausend Jahre landwirtschaftliche Nutzung haben die Landschaft des Naturparks massgeblich geformt. Auch heute noch sind die Land- und die Alpwirtschaft sehr präsent und prägen die Landschaft. «Die Unterstützung der traditionellen Landwirtschaft ist der beste Weg, um die Landschaft zu erhalten.» Die Grundeigentümerinnen und -eigentümer sind die Hauptakteure, wenn es darum geht, Lichtungen und Waldränder zu pflegen, Landschaften offen zu halten, aber auch die typischen baukulturellen Elemente der Region – etwa die Gebäude mit Schindeldächern oder die Trockenmauern – zu erhalten.

Ein prioritäres Ziel des Naturparks Gruyère Pays-d’Enhaut bestand von Anfang an darin, den Aufbau ökologischer Netzwerke in der Landwirtschaft in allen seinen vier Regionen zu unterstützen. So wurde er von den regionalen Landwirtschaftsverbänden mit der Umsetzung eines Landschaftsqualitätsprojekts (LQP) beauftragt, das zum Bezug entsprechender Direktzahlungen des Bundes berechtigt. «Mit diesem Engagement leisteten wir Pionierarbeit. Das Projekt trägt dazu bei, offene Landschaften zu erhalten und die Hecken und Feldgehölze in unseren Agrarlandschaften vielfältig zu gestalten», meint Margot.

Holzbrücke über die Sarine zwischen Monbovon und Lessoc aus dem Jahrhundert © regiosuisse

Biodiversität fördern und die Landschaftsqualität verbessern

Für die Auswahl, Ausrichtung und Förderung seiner Projekte greift der Naturpark regelmässig auf die verschiedenen Instrumente der Schweizer Landschaftspolitik zurück. «Als Planungsbasis nutzen wir das Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN) oder ein Landschaftsinventar von kantonaler Bedeutung, wie es etwa der Kanton Freiburg vor kurzem erarbeitet hat, die Inventare der schützenswerten Ortsbilder (ISOS) oder die Biotopinventare. Sie dienen uns aber auch dafür, konkrete Umsetzungen in den Gemeinden zu fördern.»

Bis anhin hat der Park eher vereinzelt explizite Landschaftsmassnahmen realisiert. Natürlich erhöhen auch die Biodiversitätsmassnahmen die Landschaftsqualität; beispielsweise die Renaturierung von Gewässern, die Pflanzung von mehr als 900 Hochstammobstbäumen und die Förderung von Hecken. Die Wiederherstellung zweier Kastanienhaine auf 2,4 Hektaren oberhalb von Villeneuve VD ist ebenfalls dem Park zu verdanken. Ermöglicht haben dies vor allem finanzielle Beiträge des Fonds Landschaft Schweiz (FLS), des Bundes und der Kantone sowie der Verkauf des geschlagenen Holzes.

© regiosuisse

Umsetzung einer Landschaftsstrategie

In der Charta des Parks sind die Arbeitsschwerpunkte, die Handlungsfelder und die Positionierung des Parks festgelegt. Sie ist beinahe zehn Jahre alt und läuft demnächst aus.  «Wir haben beim Bund die erneute Anerkennung als regionaler Naturpark für die nächsten zehn Jahre beantragt und arbeiten momentan an einer neuen Charta. Vor allem planen wir die Umsetzung einer Landschaftsstrategie und damit die aktive Entwicklung von Landschaftsqualitätsprojekten.» Noch in diesem Jahr sollen etwa Wege und Mauern im Gebiet des Vanil Noir – einem Gebiet des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN) – wiederhergestellt werden. Im Zuge der Erneuerung der Park­anerkennung sollen auch vier weitere Gemeinden aus den Kantonen Bern, Freiburg und Waadt hinzukommen – ein Hinweis auf die Attraktivität des Parkes für die Bevölkerung. Zur Strategie gehört es auch, Landschaftsfragen in der Gemeindepolitik und der öffentlichen Debatte einen höheren Stellenwert einzuräumen. Die Landschaft, die häufig im Hintergrund steht, soll ins Rampenlicht rücken.

gruyerepaysdenhaut.ch

bafu.admin.ch/paerke

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Junge Ideen für die Regionalentwicklung

Lukas Denzler

Im «Next Generation Lab» von regiosuisse entwickeln junge Erwachsene Ideen für ihre Region. Dabei werden auch neue Ansätze wie das «Design Thinking» getestet. Die ersten Erfahrungen mit diesem Format sind vielversprechend. Entscheidend ist eine gute Begleitung durch mit der Region vertraute Innovations-Coaches und Mentoren. Das Vorgehen könnte Regionen als Ideengenerator dienen. Für eine konkrete Umsetzung der Projektideen sind jedoch weitere Anstrengungen notwendig.

Die Weichenstellungen von heute formen die Zukunft, in der die nächste Generation leben wird. Doch wie lassen sich junge Erwachsene in die Zukunftsgestaltung einbeziehen – Menschen der Generation Z, die um die Jahrtausendwende geboren wurden und zu den Digital Natives gehören? regiosuisse hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen dieser Generation aktiv in die ursprünglich für April 2020 geplante Konferenz «Schweiz 2040: Regional- und Raumentwicklung von morgen – Trends, Visionen, Entwicklungsfelder» einzubeziehen. Ein eigener Workshop sollte den jungen Erwachsenen und ihren Ideen an der Konferenz eine Plattform bieten.

Junge für die Zukunft der Region gewinnen
Die Idee klingt gut. Doch wie lassen sich junge Menschen für eine Fachkonferenz zur Zukunft der Regionalentwicklung begeistern? Was manche der Organisierenden geahnt hatten, bestätigte sich. «Es war äusserst schwierig, mit diesem Thema junge Erwachsene zu erreichen», sagt Thomas Probst von regiosuisse. «Wir mussten erkennen, dass wir eigentlich über keinen Draht zu den jungen Leuten verfügen.» Dank grosser Anstrengungen und der Unterstützung durch regionale Entwicklungsträger sowie Hochschulen ist es schliesslich doch gelungen, sieben Teams für die Teilnahme an der Konferenz zu gewinnen. Das Corona-Virus machte dem Vorhaben jedoch schliesslich einen Strich durch die Rechnung.

© regiosuisse

Corona zum Trotz entschieden sich die Initiatoren, das Pilotvorhaben «Next Generation Lab» noch 2020 durchzuführen. Teams von drei bis vier jungen Erwachsenen sollten im Rahmen eines innovativen und kreativen Formats Projektideen für ihre Region entwickeln. Der Ansatz des «Design Thinking» umfasst Methoden aus dem Innovationsmanagement und der Start-up-Szene. Der Ansatz stellt die Bedürfnisse und Motivationen der Nutzenden ins Zentrum. Stichworte sind zudem: kreativ, offen, multidisziplinär. Am ersten Tag, dem sogenannten «Design Sprint», nahmen vier Teams aus der Region Prättigau/Davos, dem Thurgau, dem Ober- und dem Unterwallis teil. Jedes Team wurde von einem Innovations-Coach und einem Mentor aus der entsprechenden Region betreut. Die Teams fanden sich vor Ort in ihrer Region zusammen, während der Austausch mit den Coaches und Mentoren und die Bewertung der Projektideen durch eine Jury, bestehend aus einem Vertreter des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO), einer Vertreterin des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE) und einem Vertreter von regiosuisse, virtuell erfolgte.


Tourismusangebot und Direktvermarktung
Die Ergebnisse des ersten Tags überzeugten. Alle vier Teams hätten ihre Ideen an einem Folgetag im Rahmen eines «Deep Dive» vertiefen können. Persönliche Gründe wie neu gestartete Ausbildungen und Ortswechsel führten aber dazu, dass nur zwei Teams die Arbeit fortsetzten. Dabei entwickelten sie Geschäftsmodelle und Umsetzungspläne. Das Team aus dem Unterwallis verknüpfte seine Idee mit einem touristischen Angebot im Val d’Hérens. So sollen den Gästen mit einer Bustour die Naturschönheiten und kulturellen Besonderheiten des Tals nähergebracht werden. Die Gruppe aus Frauenfeld möchte regionale Produzenten mit Konsumenten zusammenbringen und strebt damit eine Direktvermarktung der Produkte im städtischen Umfeld sowie kurze Transportwege an.

Vlnr.: Sarah Michel, Raphael Zingg, Simon Vogel, Ina Schelling © regiosuisse

«Es war anstrengend, aber wir hatten am Schluss ein Ergebnis», sagt Simon Vogel von der Frauenfelder Gruppe. Der Ablauf sei sehr professionell gewesen, und er habe viel gelernt. Sie hätten sich überlegt, was im Kanton produziert werde. So sei die Idee entstanden, in der Stadt – über den Wochenmarkt hinaus – ein Angebot an landwirtschaftlichen Produkten aus der Region zu schaffen. «Wir wollen die Region mitgestalten», umreisst Simon Vogel die Motivation der Mitglieder seiner Gruppe. Beruflich arbeitet er als wissenschaftlicher Assistent im Bereich Elektrotechnik an der ZHAW in Winterthur und sitzt seit wenigen Monaten auch im Thurgauer Kantonsrat.
Brigitte Fürer, bis im Sommer Geschäftsführerin der Regio Frauenfeld, betreute als regionale Mentorin die Gruppe am ersten Tag. «Die Regio Frauenfeld war stets offen für Projekte mit jungen Menschen», sagt sie. Regionalentwicklung und nachhaltige Entwicklung gehörten zusammen, und das habe immer auch mit der jungen Generation zu tun. Eine Initiative wie das «Next Generation Lab» gebe neue Impulse und sei inspirierend. «Es liegt nun an der Region, die Idee aufzunehmen und weiterzuentwickeln», findet Fürer.

Sherine Seppey hat mit zwei Kolleginnen am «Next Generation Lab» teilgenommen. Sie hätten das Val d’Hérens gewählt, weil sie das Tal schon kannten. Der erste Tag sei sehr produktiv gewesen. «Die Betreuung hat geholfen, dass wir uns auf den Kern unserer Idee konzentrieren konnten», sagt die Studentin der HES-SO Valais-Wallis. Am zweiten Tag habe man die Idee konkretisiert und die Etappen für eine Realisierung skizziert. Im Anschluss daran hätten sie auch einen potenziellen Partner gefunden, der sich vorstellen könnte, ihren Vorschlag in sein touristisches Angebot zu integrieren.

Von der Idee zur Umsetzung
Die Projektidee sei realistisch, meint François Parvex, Experte für Kommunal- und Regionalentwicklung, der das Team Unterwallis in Sion betreute. «Die jungen Leute haben Ideen, sind aber nicht gewohnt, diese in einem Projekt auch umzusetzen», sagt er. Das «Next Generation Lab» hätten sie wie ein Spiel erlebt. Laut Parvex könnten Regionalentwicklerinnen und -entwickler dieses Format für Ideenwettbewerbe anwenden. Ihm schwebt eine Art «Ideengenerator» für die Regionen vor. Um die Ideen weiter zu konkretisieren und umzusetzen, bräuchte es dann ein gewisses Startkapital.

Jury-Mitglied Maria-Pia Gennaio Franscini, im Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) Mitverantwortliche für die «Modellvorhaben Nachhaltige Raumentwicklung», hat es in der Regel mit Fachleuten zu tun. Sie war denn auch neugierig, wie sich die Zusammenarbeit mit jungen Menschen gestalten würde, und meint: «Es war eindrücklich, wie engagiert die Teilnehmenden dabei gewesen sind.» Eine aktive Einbindung der Jungen und Experimente mit verschiedenen Methoden und Ansätzen könnte sie sich künftig auch bei den «Modellvorhaben Nachhaltige Raumentwicklung» vorstellen.

Sherine Seppey und François Parvex © regiosuisse

«Das ‹Next Generation Lab› ist ein sehr guter Hebel, um junge Menschen für die Entwicklung ihrer Region zu sensibilisieren», findet Sherine Seppey. Wie es mit der von ihrer Gruppe entwickelten Idee weitergeht, ist noch offen. Es hängt davon ab, was man von der jungen Generation erwarte, bilanziert Simon Vogel von der Gruppe in Frauenfeld. «Ideen zu generieren, das geht gut.» Diese mit jungen Leuten auch umzusetzen, sei hingegen wenig realistisch, denn diese seien noch in der Ausbildung oder in anderen Bereichen stark engagiert. Vielleicht lasse sich eine Idee aber im Rahmen einer bestehenden Initiative realisieren. «Unsere Idee würde sehr gut zu einem Konzept passen, wie die Stadtkaserne in Frauenfeld künftig genutzt werden könnte», ist Simon Vogel überzeugt. Judith Janker, seit September Geschäftsführerin der Regio Frauenfeld, möchte die Idee denn auch weiterentwickeln. Das aufgegriffene Thema treffe einen Nerv der Zeit. Die Idee hätte am 25-Jahre-Jubiläum der Regio Frauenfeld Ende Oktober präsentiert werden sollen. Dieses musste aufgrund der Corona-Situation jedoch auf nächsten Frühling verschoben werden.

«Sowohl in Frauenfeld als auch im Unterwallis haben die Teams in zwei Tagen aus vagen Ideen konkrete Geschäftsmodelle entwickelt. Sie haben damit weit mehr erreicht, als wir bei der Konzeption ‹Next Generation Labs› erwartet haben» sagt Thomas Probst von den Initiatoren. Nun gelte es zu prüfen, wie die Pläne in die Umsetzung gebracht werden können. Dazu brauche es neben den jungen Erwachsenen auch die erfahrenen Akteurinnen und Akteure der Regionen.

Next Generation Lab: Design your future!
In einem Labor wird getüftelt, getestet. Es werden neue Verfahren geprobt, Ideen entwickelt, Ansätze verworfen und mit Kreativität und Teamwork noch bessere Lösungen entwickelt. Genau so funktioniert auch das Next Generation Lab – ein Innovationslabor zur Ideenentwicklung. Dabei testet regiosuisse einen co-kreativen Ansatz im virtuellen Raum: regiosuisse.ch/next-generation-lab

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Pays de l’absinthe

«regioS 02» (Dezember 2009) berichtete über die «Association Pays de l’absinthe», Trägerin eines Projekts zur Förderung und Vermarktung der Absinth-Region zwischen Haut-Doubs und Val-de-Travers.

Feiern und wandern im Land des Absinths

Das «Absinth-Haus» – das Herzstück dieses Projekts – wurde im Juli 2014 in Môtiers mit grossem Tamtam eröffnet. Sogar der Bundesrat, der damals gerade auf seiner traditionellen «Schulreise» in der Gegend war, feierte mit. Pro Jahr erzählt dieses Museum rund 12 000 Besucherinnen und Besuchern die berüchtigte Geschichte des Absinths – der «Grünen Fee» –, der seit dem Verbot 1910 bis zur Legalisierung im Jahr 2005 schwarz gebrannt wurde. Interessierte können heute auf der «Route de l’absinthe» von Pontarlier nach Creux du Van wandern und unterwegs bei Destillerien vorbeischauen. Hinzu kommen diverse Veranstaltungen wie die «Absinthiades» – ein Kulturevent, der von den «offenen Weinkellern» inspiriert ist. Die neuste Ausgabe dieses Festes war an sich für Juni 2020 geplant.

routedelabsinthe.com

Weniger Pendlerverkehr dank Co-Working-Spaces

Raphaël Chabloz

Mit dem Projekt «GE-NetWork» sollen in der Agglomeration Genf bis 2025 in Co-Working-Spaces dezentrale Arbeitsplätze für rund 35 000 Nutzerinnen und Nutzer entstehen. So könnten die Pendlerströme in dr Agglomeration reduziert und die Gebiete belebt werden. Beim Aufbau dieses Netzes sollen sich insbesondere die grossen Arbeitgeber engagieren, die von Effizienzsteigerungen ihrer dezentral tätigen Mitarbeitenden profitieren. Das Projekt wurde bis 2018 von Interreg finanziert, seither engagieren sich das Amt für Umwelt und das Amt für Verkehr des Kantons Genf. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Co-Working-Spaces und die Telearbeit in der Agglomeration Genf im Aufwind sind. Bisher profitieren davon aber vor allem die Innenstädte.

Bis 2025 ein Netzwerk von 150 bis 200 Standorten mit fast 7000 Arbeitsplätzen schaffen, das den gesamten Grossraum Genf abdeckt und von rund 35 000 Personen genutzt wird: Das ist das erklärte Ziel von «GE-NetWork», der zweiten Etappe eines mit Unterstützung durch Interreg lancierten Projekts zur Förderung von Telearbeit und Co-Working am Zipfel des Genfersees. Das Projekt wird seit 2018 vom Amt für Umwelt und jenem für Verkehr des Kantons Genf und von der kantonalen Abteilung für nachhaltige Entwicklung finanziert und konzentriert sich vor allem auf die Auswirkungen der flexiblen Arbeitsform auf Mobilität und Umwelt. Das Ziel der 150 bis 200 Standorte dürfte tatsächlich erreicht werden: «Wir waren in unseren Szenarien eher vorsichtig», erklärt Projektleiter Luc Jaquet von der Sofies-Gruppe. 2014 waren rund zwanzig Co-Working-Spaces Teil des Netzes, 2018 waren es bereits über fünfzig.

12 Millionen weniger Pendlerfahrten pro Jahr

Studien aus der ersten Projektphase zeigen, dass durch «GE-NetWork» der Pendlerverkehr in der Agglomeration um 6 Prozent verringert werden konnte. Dies entspricht einer Reduktion von fast 12 Millionen Pendlerfahrten pro Jahr. Ein weiteres Ziel des französisch-schweizerischen Netzwerks ist die Belebung der umliegenden Gemeinden. Damit dies gelingt, muss ein anderes Publikum angesprochen werden als jenes, das bereits an solchen «dritten Orten» – neben dem Unternehmen und dem Homeoffice – tätig ist. Co-Working-Spaces werden bisher nämlich mehrheitlich von Start-up-Unternehmen genutzt, die die damit verbundenen Vernetzungsmöglichkeiten schätzen, aber meist nach Lokalitäten in der Innenstadt Ausschau halten. Eine Studie, die 2018 nach Abschluss der Interreg-Finanzierung durchgeführt wurde, hat dies bestätigt und gezeigt, dass die entstandenen Co-Working-Spaces noch sehr stark im Schweizer Teil des Grossraums Genf und im Zentrum der Agglomeration konzentriert sind.

La Conciergerie — eine Servicestelle im Co-Working-Space in La Roche-sur-Foron (F) © regiosuisse

Effizienz steigern dank flexibler Arbeitsformen

Die Arbeit am dezentralen Arbeitsplatz kann jedoch auch für das Personal grosser Unternehmen zum Thema werden, wie die Corona-Krise deutlich gemacht hat. Ein Aspekt, der die Träger des «GE-NetWork»-Projekts besonders interessiert, ist die Effizienz. «Die Mitarbeitenden sparen dank dieser flexiblen Arbeitsform Zeit und Energie und gewinnen an Produktivität. Dies haben viele Studien belegt», so Jaquet, «vorausgesetzt allerdings, die Leute arbeiten nicht Vollzeit am dezentralen Arbeitsplatz, da dies demotivierend wirkt.»

Insbesondere im Rahmen des verwaltungsinternen Programms «EquiLibre» haben die Initianten eng mit den industriellen Werken Genfs (Services industriels genevois, SIG) zusammengearbeitet. Ziel dieses Programms ist es, den Mitarbeitenden mehr Wohlbefinden bei der Arbeit und eine ausgewogenere Balance zwischen Berufs- und Privatleben zu bieten, indem Vertrauensarbeitszeit eingeführt und flexibles Arbeiten breit gefördert wird. «Egal, ob Sie im Büro, zu Hause oder in einem Zug sitzen, der durch den Jura tuckert: Was zählt, ist, dass Sie erreichbar sind und die Arbeit erledigt wird», erklärt SIG-Sprecherin Isabelle Dupont Zamperini. Für Luc Jaquet sind es genau solche Ansätze, die einen Arbeitgeber attraktiver machen und den Unternehmen die Möglichkeit bieten, ökologisch und gesellschaftlich Einfluss zu nehmen. Pragmatischer betrachtet können durch eine Neugestaltung der Arbeitsorganisation zudem die Ressourcen im Bereich Immobilien optimiert werden. «Das ist zwar nicht das prioritäre Ziel, aber wir haben zweifellos viel Platz gewonnen», stellt Isabelle Dupont Zamperini fest.

«La Conciergerie» © regiosuisse

Vorteile für alle Beteiligten

Für den Projektleiter bieten Arbeitsplätze in Co-Working-Spaces viele Vorteile gegenüber dem Homeoffice: «Sie ermöglichen eine klare Trennung zwischen Privat- und Berufsleben; sie vermitteln das Gefühl eines ‹echten› Arbeitsplatzes und ermöglichen die wichtigen sozialen Kontakte. All das steigert die Motivation.»

Mehrere Lösungen sind angedacht, um neue Co-Working-Spaces vermehrt auch in Umlandgemeinden zu initiieren und tragfähig zu machen: öffentlich-private Partnerschaften oder auch Modelle, die nicht nur dezentrale Arbeitsplätze, sondern auch andere Dienstleistungen umfassen. Ein Beispiel dafür ist «La Conciergerie» in La Roche-sur-Foron in Frankreich, wo zusätzlich verschiedene Alltagsdienstleistungen angeboten werden – von der Kinderbetreuung über Veloreparaturen bis hin zu Lieferservices.

Die Co-Working-Spaces von Voisins bieten auch Sitzungszimmer. Zwei der Gründer von Voisins (Vater und Sohn, Gérald und Renaud Langel) nutzen eines davon für ihre Besprechung. © regiosuisse

Für Städte und Gemeinden, die sich für die Lancierung von Co-Working-Spaces auf ihrem Gebiet interessieren, gibt es mehrere Handlungsoptionen. «Grosse Arbeitgeber können eine Vorreiterrolle übernehmen und von den Behörden motiviert und unterstützt werden, Pilotprojekte durchzuführen», erklärt Jaquet und verweist auf das Beispiel Amsterdam, wo der Verkehrsstau dank der Bereitschaft der Behörden, Co-Working-Spaces zu fördern, innert fünf Jahren um 20 Prozent abgenommen hat. Ein zweites Instrument ist die Bereitstellung entsprechender Nutzflächen. Der dritte Ansatz sind eigentliche Pilotprojekte: Die Gemeinden könnten, so Jaquet, in Co-Working-Spaces investieren, um das Startrisiko zu vermindern; letztlich sollten diese aber finanziell selbsttragend werden.

Bereits in der Interreg-Phase des Projekts wurden die Gemeinden im Grossraum Genf einbezogen. Nun wollen die Initianten sie an einen Tisch bringen – auch wenn unterschiedliche Ansichten und divergierende Governance-Strukturen im Kanton Genf, in der Region Nyon und im benachbarten Frankreich dieses Vorhaben schwierig machen dürften.

Die Krise als Chance nutzen

Im März 2020 mussten viele Unternehmen in aller Eile Lösungen für die dezentralisierte Arbeit finden. Gleichzeitig waren Angestellte oft dazu gezwungen, ihr Lebensumfeld und ihr Familienleben neu zu organisieren – ein Notstand, der sich aus der Krise ergab, der aber langfristig positive Auswirkungen haben könnte. «Die neuen Arbeitsformen, die in der Krise entwickelt wurden, müssen auch in normalen Zeiten erhalten bleiben. Diese Chance gilt es zu nutzen», bekräftigt Luc Jaquet.

interreg.ch teletravail-geneve.com«GE-NetWork» in der Projektdatenbank auf regiosuisse.ch

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