Arve – Erholungsraum im Herzen der Genfer Agglomeration

Raphaël Chabloz

Das Landschaftsprojekt «Arve» hat zum Ziel, die Freiräume entlang des französisch-schweizerischen Flusses im Grossraum Genf für die Bevölkerung besser zugänglich zu machen. Geplant sind Velo- und Fussgängerwege und die Neugestaltung von Parks und anderen Anlagen. Mit sanften Eingriffen kann der wilde Charakter der Arve erhalten bleiben. Die Steuerung dieses Modellvorhabens, das 2014 bis 2018 vom Bund unterstützt wurde, ist komplex, und die Herausforderung besteht darin, die Dynamik des Projekts und den Elan langfristig zu bewahren.

Die Arve: Die Genfer Bevölkerung ist vertraut mit diesem Fluss, der in die Rhone mündet. Das schlammige graue Wasser der Arve und das dunkelblaue der Rhone fliessen eine Weile nebeneinanderher, bevor sie sich schliesslich vermischen und in Richtung Süden entschwinden. Diesem spektakulären Zusammenfluss verdankt das Genfer Quartier «Jonction» seinen Namen. Deutlich weniger bekannt ist der Oberlauf des 107,8 Kilometer langen Flusses; er entspringt im Montblanc-Massiv und schlängelt sich über neun Kilometer durch den Kanton Genf. «Die Arve ist laut, stürmisch und wilder als die Rhone», sagt Anne-Lise Cantiniaux, Projektleiterin Natur und Landschaft beim Genfer Raumplanungsamt. «Genf braucht solche Freiräume, die nicht zu sehr entwickelt, aber einladend sind.» Die Arve bietet diesbezüglich ein grosses Potenzial.

Anne-Lise Cantiniaux © regiosuisse

Sanfte Eingriffe

Diese Erkenntnis bildet die Grundlage des 2013 lancierten Landschaftsprojekts «Arve». Die Ziele waren vielfältig, wie der 2018 publizierte Erfahrungsbericht belegt; sollte das Projekt doch den Unterhalt der Arve und ihrer Nebenflüsse unterstützen, die sensiblen Naturräume erhalten und vernetzen und die Landschaft und das bauliche Erbe schützen und aufwerten. Die besondere Herausforderung bestand darin, im Rahmen eines gemeinsamen, grenzüberschreitenden Projekts die Siedlungsentwicklung zu steuern und zu integrieren, die Flusslandschaft für die Landwirtschaft und als Naherholungsgebiet zu bewahren und weiterzuentwickeln und gleichzeitig die sanfte Mobilität zu fördern und die öffentlichen Räume besser zu vernetzen, damit die lokale Bevölkerung davon profitieren kann.

«Die Ufer der Arve wurden mit sanften Eingriffen für die Bevölkerung zugänglich gemacht», erklärt Anne-Lise Cantiniaux. Ein französisch-schweizerischer Rundkurs – der «Parcours en balcon» – soll es Fussgängern und Velofahrerinnen ermöglichen, von Annemasse nach Genf zu gelangen, während eine «Promenade basse» durch Parks und andere Anlagen direkte Zugänge zum Fluss schafft. Auf diese Weise bieten die Uferwege die Möglichkeit, den Flussraum mit seiner vielfältigen Flora und Fauna, seinen Licht- und Schattenspielen sowie seinen Bauten und Industrieanlagen zu erleben. Die Agglomeration «Grand Genève» unterstützt das Projekt «Arve» im Rahmen seines Agglomerationsprogramms, und der Bund hat es von 2014 bis 2018 als Modellvorhaben für Nachhaltige Raumentwicklung gefördert. Das Projekt ist jedoch grenzüberschreitend angelegt. Daran beteiligt sind die fünf Schweizer Anliegergemeinden und die vier französischen, zusätzlich die Agglomeration Annemasse (F), der französische Teil der Agglomeration Genf, die Gewässergenossenschaften Arve und Foron (F), der Kanton Genf und der lokale, grenzüberschreitende Kooperationsverbund des Grossraums Genf.

Begeisterung wecken

Der Parc des Falaises in Chêne-Bougeries, der 2014 eingerichtet wurde, war die erste konkrete Massnahme des Projekts. Dieses Areal war teilweise bereits zugänglich, doch die Sicht auf die Arve durch Vegetation verdeckt. Eine Hecke wurde entfernt, um den Blick auf die weite Landschaft zu öffnen. Auf der Lichtung wurden Picknicktische, Bänke und ein Spielplatz eingerichtet. Ein Weg, der rund um den Park führt, soll Erholungsuchende dazu animieren, die Arve fern vom Trubel der Stadt inmitten der Natur zu geniessen. «Wir mussten rasch Ergebnisse vorweisen, um die Leute für dieses Projekt zu begeistern und zu zeigen, dass die Planung sinnvoll ist», resümiert Anne-Lise Cantiniaux.

© regiosuisse

Die Landschaft als Tor zur Mobilität

Das Projekt «Arve» will jedoch nicht nur Zugang zu schönen Landschaften ermöglichen. Ein französisch-schweizerischer Veloweg, von dem einige Abschnitte bereits realisiert sind, soll den zahlreichen Pendlerinnen und Pendlern der Region den Weg zum Arbeitsplatz oder zu den Bahnhöfen der ceva, der im Dezember 2019 eingeweihten Bahnstrecke zwischen Annemasse und dem Bahnhof Eaux-Vives in Genf, erleichtern. «Die Landschaft bietet eine ideale Eingangspforte zum Thema ‹Mobilität›», stellt Anne-Lise Cantiniaux fest und ergänzt: «Bei Landschaftsprojekten ist es oft einfacher, einen Konsens zu erreichen, während Verkehrsfragen häufig sensibler zu behandeln sind.» Das Projekt soll entsprechend auch dazu beitragen, die Landschaft entlang der Arve zum Rückgrat eines durchgehenden, zugänglichen und attraktiven öffentlichen Raums zu entwickeln.

«Genf probiert gerne etwas aus», sagt sie. Doch die Steuerung eines solchen Projekts ist komplex. So bilanziert der Projektbericht von 2018: «Das Landschaftsprojekt ‹Arve› wirft Fragen zur Beziehung zwischen föderaler, kantonaler und lokaler Landschaftspolitik, verknüpft mit Siedlungs- und Mobilitätspolitik, auf. Gefragt ist nicht nur eine Betrachtung auf verschiedenen Stufen, sondern vor allem auch die Wahrung der Kohärenz zwischen den diversen Planungsebenen und zwischen Planungs- und operativen Phasen.» Die grosse Anzahl beteiligter Partner steigerte die Komplexität zusätzlich. Gleichzeitig gewährleistete das Gleichgewicht der Flussabschnitte auf der Genfer Seite beziehungsweise auf Seite der Haute-Savoie, dass das Projekt weder zu einseitig auf die französischen noch zu sehr auf die schweizerischen Interessen und Rahmenbedingungen ausgerichtet war.

Nachhaltig sichern

Heute steht für Anne-Lise Cantiniaux im Vordergrund, für das Projekt die langfristige, dauerhafte Umsetzung zu sichern. «Die Weiterführung muss über viele Jahre gewährleistet sein, sonst ist der Ansatz nicht kohärent.» 2020 haben die Genfer Gemeinden ihre Behörden neu gewählt; dies bedeutet, dass Kontakte mit einer neuen Generation von Mandatsträgerinnen und -trägern geknüpft werden mussten, damit die Energie nicht verpuffte. «Ich bin zufrieden mit diesen Gesprächen. Die Gemeinden haben das Landschaftsprojekt in ihre kommunalen Richtpläne aufgenommen», sagt Anne-Lise Cantiniaux. «Wenn sie die Federführung übernehmen, ist das ein Erfolg.» Es scheint, das Projekt hat, wie die Arve, über die Jahre manche Stromschnelle meistern und viele Mäander durchlaufen müssen, bevor es sich zu einem langen, ruhigen Fluss wandeln konnte.

modellvorhaben.ch

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Weniger Pendlerverkehr dank Co-Working-Spaces

Raphaël Chabloz

Mit dem Projekt «GE-NetWork» sollen in der Agglomeration Genf bis 2025 in Co-Working-Spaces dezentrale Arbeitsplätze für rund 35 000 Nutzerinnen und Nutzer entstehen. So könnten die Pendlerströme in dr Agglomeration reduziert und die Gebiete belebt werden. Beim Aufbau dieses Netzes sollen sich insbesondere die grossen Arbeitgeber engagieren, die von Effizienzsteigerungen ihrer dezentral tätigen Mitarbeitenden profitieren. Das Projekt wurde bis 2018 von Interreg finanziert, seither engagieren sich das Amt für Umwelt und das Amt für Verkehr des Kantons Genf. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Co-Working-Spaces und die Telearbeit in der Agglomeration Genf im Aufwind sind. Bisher profitieren davon aber vor allem die Innenstädte.

Bis 2025 ein Netzwerk von 150 bis 200 Standorten mit fast 7000 Arbeitsplätzen schaffen, das den gesamten Grossraum Genf abdeckt und von rund 35 000 Personen genutzt wird: Das ist das erklärte Ziel von «GE-NetWork», der zweiten Etappe eines mit Unterstützung durch Interreg lancierten Projekts zur Förderung von Telearbeit und Co-Working am Zipfel des Genfersees. Das Projekt wird seit 2018 vom Amt für Umwelt und jenem für Verkehr des Kantons Genf und von der kantonalen Abteilung für nachhaltige Entwicklung finanziert und konzentriert sich vor allem auf die Auswirkungen der flexiblen Arbeitsform auf Mobilität und Umwelt. Das Ziel der 150 bis 200 Standorte dürfte tatsächlich erreicht werden: «Wir waren in unseren Szenarien eher vorsichtig», erklärt Projektleiter Luc Jaquet von der Sofies-Gruppe. 2014 waren rund zwanzig Co-Working-Spaces Teil des Netzes, 2018 waren es bereits über fünfzig.

12 Millionen weniger Pendlerfahrten pro Jahr

Studien aus der ersten Projektphase zeigen, dass durch «GE-NetWork» der Pendlerverkehr in der Agglomeration um 6 Prozent verringert werden konnte. Dies entspricht einer Reduktion von fast 12 Millionen Pendlerfahrten pro Jahr. Ein weiteres Ziel des französisch-schweizerischen Netzwerks ist die Belebung der umliegenden Gemeinden. Damit dies gelingt, muss ein anderes Publikum angesprochen werden als jenes, das bereits an solchen «dritten Orten» – neben dem Unternehmen und dem Homeoffice – tätig ist. Co-Working-Spaces werden bisher nämlich mehrheitlich von Start-up-Unternehmen genutzt, die die damit verbundenen Vernetzungsmöglichkeiten schätzen, aber meist nach Lokalitäten in der Innenstadt Ausschau halten. Eine Studie, die 2018 nach Abschluss der Interreg-Finanzierung durchgeführt wurde, hat dies bestätigt und gezeigt, dass die entstandenen Co-Working-Spaces noch sehr stark im Schweizer Teil des Grossraums Genf und im Zentrum der Agglomeration konzentriert sind.

La Conciergerie — eine Servicestelle im Co-Working-Space in La Roche-sur-Foron (F) © regiosuisse

Effizienz steigern dank flexibler Arbeitsformen

Die Arbeit am dezentralen Arbeitsplatz kann jedoch auch für das Personal grosser Unternehmen zum Thema werden, wie die Corona-Krise deutlich gemacht hat. Ein Aspekt, der die Träger des «GE-NetWork»-Projekts besonders interessiert, ist die Effizienz. «Die Mitarbeitenden sparen dank dieser flexiblen Arbeitsform Zeit und Energie und gewinnen an Produktivität. Dies haben viele Studien belegt», so Jaquet, «vorausgesetzt allerdings, die Leute arbeiten nicht Vollzeit am dezentralen Arbeitsplatz, da dies demotivierend wirkt.»

Insbesondere im Rahmen des verwaltungsinternen Programms «EquiLibre» haben die Initianten eng mit den industriellen Werken Genfs (Services industriels genevois, SIG) zusammengearbeitet. Ziel dieses Programms ist es, den Mitarbeitenden mehr Wohlbefinden bei der Arbeit und eine ausgewogenere Balance zwischen Berufs- und Privatleben zu bieten, indem Vertrauensarbeitszeit eingeführt und flexibles Arbeiten breit gefördert wird. «Egal, ob Sie im Büro, zu Hause oder in einem Zug sitzen, der durch den Jura tuckert: Was zählt, ist, dass Sie erreichbar sind und die Arbeit erledigt wird», erklärt SIG-Sprecherin Isabelle Dupont Zamperini. Für Luc Jaquet sind es genau solche Ansätze, die einen Arbeitgeber attraktiver machen und den Unternehmen die Möglichkeit bieten, ökologisch und gesellschaftlich Einfluss zu nehmen. Pragmatischer betrachtet können durch eine Neugestaltung der Arbeitsorganisation zudem die Ressourcen im Bereich Immobilien optimiert werden. «Das ist zwar nicht das prioritäre Ziel, aber wir haben zweifellos viel Platz gewonnen», stellt Isabelle Dupont Zamperini fest.

«La Conciergerie» © regiosuisse

Vorteile für alle Beteiligten

Für den Projektleiter bieten Arbeitsplätze in Co-Working-Spaces viele Vorteile gegenüber dem Homeoffice: «Sie ermöglichen eine klare Trennung zwischen Privat- und Berufsleben; sie vermitteln das Gefühl eines ‹echten› Arbeitsplatzes und ermöglichen die wichtigen sozialen Kontakte. All das steigert die Motivation.»

Mehrere Lösungen sind angedacht, um neue Co-Working-Spaces vermehrt auch in Umlandgemeinden zu initiieren und tragfähig zu machen: öffentlich-private Partnerschaften oder auch Modelle, die nicht nur dezentrale Arbeitsplätze, sondern auch andere Dienstleistungen umfassen. Ein Beispiel dafür ist «La Conciergerie» in La Roche-sur-Foron in Frankreich, wo zusätzlich verschiedene Alltagsdienstleistungen angeboten werden – von der Kinderbetreuung über Veloreparaturen bis hin zu Lieferservices.

Die Co-Working-Spaces von Voisins bieten auch Sitzungszimmer. Zwei der Gründer von Voisins (Vater und Sohn, Gérald und Renaud Langel) nutzen eines davon für ihre Besprechung. © regiosuisse

Für Städte und Gemeinden, die sich für die Lancierung von Co-Working-Spaces auf ihrem Gebiet interessieren, gibt es mehrere Handlungsoptionen. «Grosse Arbeitgeber können eine Vorreiterrolle übernehmen und von den Behörden motiviert und unterstützt werden, Pilotprojekte durchzuführen», erklärt Jaquet und verweist auf das Beispiel Amsterdam, wo der Verkehrsstau dank der Bereitschaft der Behörden, Co-Working-Spaces zu fördern, innert fünf Jahren um 20 Prozent abgenommen hat. Ein zweites Instrument ist die Bereitstellung entsprechender Nutzflächen. Der dritte Ansatz sind eigentliche Pilotprojekte: Die Gemeinden könnten, so Jaquet, in Co-Working-Spaces investieren, um das Startrisiko zu vermindern; letztlich sollten diese aber finanziell selbsttragend werden.

Bereits in der Interreg-Phase des Projekts wurden die Gemeinden im Grossraum Genf einbezogen. Nun wollen die Initianten sie an einen Tisch bringen – auch wenn unterschiedliche Ansichten und divergierende Governance-Strukturen im Kanton Genf, in der Region Nyon und im benachbarten Frankreich dieses Vorhaben schwierig machen dürften.

Die Krise als Chance nutzen

Im März 2020 mussten viele Unternehmen in aller Eile Lösungen für die dezentralisierte Arbeit finden. Gleichzeitig waren Angestellte oft dazu gezwungen, ihr Lebensumfeld und ihr Familienleben neu zu organisieren – ein Notstand, der sich aus der Krise ergab, der aber langfristig positive Auswirkungen haben könnte. «Die neuen Arbeitsformen, die in der Krise entwickelt wurden, müssen auch in normalen Zeiten erhalten bleiben. Diese Chance gilt es zu nutzen», bekräftigt Luc Jaquet.

interreg.ch teletravail-geneve.com«GE-NetWork» in der Projektdatenbank auf regiosuisse.ch

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