Näher am Ziel dank weniger Tempo

Jana Avanzini

Weniger Ressourcen zu verschwenden dank guter nachbarschaftlicher Beziehungen zwischen Unternehmen: Das ist das Ziel der Kreislaufwirtschaft im Rahmen von Arealentwicklungen. Im Ecoparc de Daval in Sierre VS wird das nun versucht.

Ein über 27 Fussballfelder grosser Industriepark: Das hört sich erst mal nicht besonders attraktiv an. Doch das Ziel in Sierre ist, auf dieser Fläche eine ökologischere und ökonomisch optimierte Gemeinschaft von Unternehmen zu schaffen. Zwanzig Jahre ist es her, seit die Idee des Ecoparc de Daval in Sierre entstanden ist. Die Gemeinde hat das Projekt schliesslich 2016 gestartet, die Umzonung und die Änderungen des Zonennutzungsplans nahmen erwartungsgemäss einige Zeit in Anspruch. Heute sind zehn Unternehmen Teil des Projekts – kleine Familienbetriebe ebenso wie international tätige Unternehmen, etwa Aqua4D, das wassersparende Bewässerungsanlagen für Industrie und Landwirtschaft produziert, ein Chocolatier oder das ehemalige Walliser Start-up Eversys, das mittlerweile mit seinen über 170 Angestellten führend ist im Segment der Premium-Kaffeemaschinen. Weniger Ressourcen zu verschwenden dank guter nachbarschaftlicher Beziehungen zwischen Unternehmen: Das ist das Ziel der Kreislaufwirtschaft im Rahmen von Arealentwicklungen. Im Ecoparc de Daval in Sierre VS wird das nun versucht.

Sebastian Barbey, Aqua4D © regiosuisse

Ohne Vollgas

Die Anfrage von Unternehmen um einen Platz im Ecoparc de Daval ist aber viel grösser. «Land, vor allem Industrieland, ist Mangelware», betont Stéphane Revey, Leiter der Wirtschaftsförderung Sierre. Da ist man begehrt, wenn man 200 000 Quadratmeter zur Verfügung hat. Es habe zu Beginn geradezu eine Flut von Anfragen gegeben. Dass der Ecoparc trotzdem nicht schneller wächst, sei Absicht. «Wir haben unsere Auswahlkriterien, die erfüllt sein müssen, um Teil des Ecoparc zu werden», so Revey. Diese umfassen unter anderem obligatorische Grünflächen für alle Parzellen und faire Arbeitsbedingungen für die Angestellten. Empfohlen wird den Unternehmen auch die Nutzung von Solarenergie. Mit den Jahren soll auch die Energieeffizienz gesteigert werden; so soll etwa der Abfall der einen zur Energiequelle für andere werden.

Das Gelände liesse sich innerhalb von zwei Jahren mit Unternehmen füllen, die einigermassen das erwünschte Profil aufwiesen. Bringe man aber die Geduld auf und gebe sich zehn oder gar zwanzig Jahre, habe man dafür Firmen an Bord, die sich voll und ganz mit den Ideen identifizieren. «Wir wollen eine nachhaltige Entwicklung, sowohl ökonomisch als auch ökologisch», sagt Revey. Das beinhalte den Umgang mit Ressourcen und die Nutzung von Raum, Materie und Energie. «Und wir wollen weise mit dem Land umgehen», ergänzt er. So weiden rund um die Gebäude der Firma Eversys öfter Schafe. Regenwasser, abgeleitet von den Gebäuden, fliesst zurück in den natürlichen Kreislauf.

Unter der Sonne

Gerade aus dem Solarenergiebereich seien derzeit Unternehmen daran interessiert, sich im Ecoparc de Daval niederzulassen – «denn Sierre ist mit 2200 Sonnenstunden pro Jahr eine der sonnenreichsten Städte der Schweiz», betont Stéphane Revey – ein weiterer Pluspunkt für das Gelände. Schon zu Beginn wurde eine effiziente öffentliche Led-Beleuchtung mit Bewegungssensor und Fernverwaltung auf dem Gelände installiert. Alleebäume wurden gepflanzt. Die Firmen profitieren von gemeinsamen Abfallsystemen, dem Postdienst und einer Bauberatung. Weiter könnten Logistik- und Sicherheitssysteme geteilt werden, Kantinen und Kinderbetreuungsangebote.

Alles Dinge, die funktionieren können, weiss Benoît Charrière, Leiter Wissensgemeinschaften bei regiosuisse, der Netzwerkstelle für Regionalentwicklung und stellvertretender Leiter des Beratungsunternehmen dss+ Genf. Das Problem dabei sei jedoch oft die Abhängigkeit voneinander. Was, wenn eine Firma plötzlich aussteigt, die bisher die gemeinsame Kantine, die Solaranlage oder die Krippe auf ihrem Gelände geführt hat? «Miteinander zu arbeiten, birgt immer auch ein gewisses Risiko», so Charrière. Zudem falle es vielen Unternehmen schwer, eine allfällige Zusammenarbeit mit Nachbarn überhaupt anzugehen, betont er.

vlnr.: Mickaël Yonnet, David Pasquiet und Laura Blardone, David Chocolatier © regiosuisse

Fehlende Eigeninitiative

Oft wüssten Unternehmen gar nicht, was die Nachbarfirma tue, geschweige denn, welche Ressourcen sich gemeinsam nutzen liessen. Das sei verständlich, wenn man bereits mit wirtschaftlichen Herausforderungen kämpfe. Da könne man sich nicht auch noch darauf konzentrieren, wie man mit der Firma im Nachbargebäude zusammenarbeiten könnte. «Es ist dann viel einfacher, erst mal nur an sich zu denken.» Trotzdem bestehe in diesem Bereich extrem viel Potenzial. «Natürlich sind die Kosten, finanziell und personell, zu Beginn höher. Es zahlt sich jedoch langfristig aus – für die Region, die Umwelt, aber auch für die Unternehmen selbst. Es braucht aber immer auch Personen und Firmen, die vorausgehen», so Charrière.

Daher ist es wichtig, dass ein initialer Akteur solche Projekte anstösst – ein Verband, eine öffentliche Institution oder ein Privatunternehmen, das die Aufgabe übernimmt, die Zone zu beleben und Dienstleistungen für die Unternehmen zu betreiben. Revey startete vor zwei Jahren als Leiter der Wirtschaftsförderung von Sierre. «Nachdem ich mit jeder einzelnen Firma Gespräche geführt hatte, sah ich den Willen zur Zusammenarbeit bei allen. Aber niemand ergriff die Initiative», sagt er. Also machte die Gemeinde die ersten Schritte und übernahm eine unterstützende und koordinierende Rolle. Im vergangenen Jahr wurde ein Gewerbeverband gegründet, um diese Synergien zu fördern. Im Vordergrund stehen vorerst der Austausch und möglicherweise die Zusammenarbeit bei gemeinsamen Anfragen bei der öffentlichen Hand. Gemeinsame Investitionen wären ein weiterer Schritt.

Stéphane Revey und Emilie Saint-Yves, Aqua4D © regiosuisse

Vor zwei Jahren wurde ein Ingenieurbüro mit der Entwicklung eines nachhaltigen Mobilitätskonzepts beauftragt. Über die Auseinandersetzung mit der Mobilität kann ökologischer Fortschritt erzielt, aber auch die Kommunikation gefördert werden. Ein gemeinsamer, aber kleiner Parkplatz bringt die Unternehmen eher dazu, Car-Sharing zu unterstützen, sich gemeinsam für Busverbindungen einzusetzen oder für einen direkten Veloweg vom Stadtzentrum in den Industriepark.

«Schliessen sich Unternehmen zusammen und treten mit Hunderten oder gar Tausenden Angestellten gemeinsam auf, haben sie gegenüber anderen Anbietern oder der Politik grössere Chancen», versichert Benoît Charrière. Auf diesem Weg lassen sich gemeinsame ökologische Ziele auch erreichen.

sierre.ch/fr/ecoparc-daval-2042.html

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VADEME: mineralische Abfälle aufwerten

Nathalie Jollien

Jedes Jahr fallen im Kanton Genf Millionen Tonnen mineralischer Abfälle aus dem Baubereich an. Die Kapazität der Steinbrüche und Deponien des Kantons reichen nicht aus, diese Materialien aufzunehmen. Ein Grossteil davon wird deshalb ins benachbarte Frankreich exportiert. Dieser Problematik nimmt sich seit Dezember 2020 das Interreg-Projekt VADEME («Valorisation agronomique des déchets minéraux»/ «Agronomische Verwertung mineralischer Abfälle») auf grenzüberschreitender Ebene in der Region Genf-Annecy an.

Daran beteiligt sind neun öffentliche und privatwirtschaftliche Partner aus Frankreich und der Schweiz, die sich mit ihren Fachkenntnissen ergänzen. Durch die Verknüpfung der Netzwerke der Akteurinnen und Akteure soll die Zusammenarbeit verstärkt und strukturiert werden, damit ein grösserer Anteil der Abfälle verwertet werden kann.

Erprobt werden unter anderem innovative Lösungen, bodenhaltige Abfälle biologisch zu aktivieren. Organische und mikrobielle Bodenverbesserer werden dabei sterilem mineralischem Material hinzugefügt, um eine natürliche Dynamik und natürliche Prozesse in Gang zu setzen und fruchtbaren «Mutterboden» zu schaffen. Der Ansatz wird im industriellen Massstab bei Revitalisierungsarbeiten am Fluss Aire in Genf (vgl. «regioS» Nr. 20) und auf einer Abfallbehandlungsplattform des Projektpartners Chavaz getestet. Dabei werden die Machbarkeit und die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Prozesses analysiert. Die Qualität der gewonnenen Erde soll so gut werden, dass sie Landschaftsgärtnern und Privatpersonen verkauft werden kann. Langfristig soll das Projekt die Kreislaufwirtschaft im Bereich von Aushubmaterial fördern und der Region sowohl wirtschaftliche als auch ökologische Vorteile bringen.

interreg-vademe.caue74.fr/le-projet-vademe

Hier finden Sie die Langversion in Französisch.

Hier finden Sie die Langversion in Italienisch.

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Öffentliche Beschaffung – Hebelwirkung für die Kreislaufwirtschaft

Pirmin Schilliger

Mit einem Volumen von rund 40 Milliarden Franken ist der öffentliche Sektor der wichtigste Einkäufer auf dem Beschaffungsmarkt. Dies bietet einen mächtigen Hebel, die Kreislaufwirtschaft voranzubringen. Das Kompetenzzentrum Prozirkula wurde vor zwei Jahren gegründet mit dem Ziel, die Transformation von der Wegwerf- zur Kreislaufwirtschaft bei der öffentlichen und der privaten Beschaffung zu beschleunigen.

Die Niederlande setzen schon seit Jahren Milliardenbeträge ein, um die Kreislaufwirtschaft über das öffentliche Beschaffungswesen anzukurbeln. Vor vier Jahren starteten die Organisation Circular Economy Switzerland und das Beratungsunternehmen ecos mit dem Projekt «Circular Cities Switzerland» damit, das niederländische Know-how in der Schweiz fruchtbar zu machen. Aufgrund der Erfahrungen daraus entwickelten die beiden Kreislaufexperten Marco Grossmann (ecos) und Raphael Fasko (Beratungs- und Ingenieurbüro Rytec Circular) die Idee eines Kompetenzzentrums für kreislauffähige öffentliche Beschaffung, was schliesslich in die Gründung von Prozirkula mündete.

Mithilfe einer Anschubfinanzierung durch die MAVA-Stiftung starteten Rytec und ecos im Frühjahr 2020 mit dem Aufbau des Kompetenzzentrums. Nach zweijähriger Startphase firmiert Prozirkula seit April 2022 als schlanke GmbH mit Geschäftsführerin Antonia Stalder als einziger Angestellten. Zusätzlich sind Mitarbeitende von ecos und Rytec Circular auf Mandatsbasis regelmässig für Prozirkula tätig. Das Geschäftsmodell sieht vor, dass sich die junge Firma mit ihrem Dienstleistungsangebot spätestens ab 2024 selbst finanzieren sollte. Stalder gibt sich optimistisch: «Von Beginn weg hat sich gezeigt, dass das Interesse an unserem Angebot sehr gross ist und sich laufend vergrössert.»

Prozirkula © regiosuisse

Der sanfte Druck des Gesetzes

Ein wesentlicher Grund für das steigende Interesse ist das revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB), das seit 2021 in Kraft ist. Die Verwaltungsangestellten und die politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene stehen seither mehr oder weniger in der Pflicht, Kriterien der Nachhaltigkeit und spezifisch der Kreislaufwirtschaft bei der Beschaffung stärker zu gewichten. Nicht allein der Preis soll das entscheidende Zuschlagsargument sein. Kriterien wie Ressourcenschonung, Energieeffizienz, Klimaneutralität usw. sollen viel stärker einbezogen werden.

Nicht von ungefähr richtet sich der Fokus von Prozirkula primär auf die öffentliche Beschaffung: Mit einem Einkaufsvolumen von rund 40 Milliarden Franken ist der öffentliche Sektor der grösste Player auf dem Beschaffungsmarkt. Lässt er seine Muskeln spielen, verfügt er über den grössten Hebel zur Beschleunigung der Kreislaufwirtschaft. Mit seinen Entscheiden für kreislauffähige Beschaffungslösungen kann er die entscheidenden Weichen für eine nachhaltige Entwicklung stellen. Bedauerlich ist allerdings, dass das Gesetz es bei Empfehlungen bewenden lässt. Den Entscheidungstragenden bleibt dadurch weiterhin viel Spielraum, bei der Beschaffung zwischen der günstigsten und der ökologischsten Variante zu wählen.

Pionierarbeit und Pilotprojekte

Prozirkula startete unmittelbar nach der Gründung ein erstes Pilotprojekt, dem mittlerweile weitere Projekte folgten. Auf Basis des «Leitfadens für den Wiedereinsatz von Möbeln» hat das Amt für Umwelt und Energie Basel-Stadt (AUE) beispielsweise das alte Mobiliar im 2021 fertiggestellten Neubau im Zentrum von Basel wiederverwendet. Auch das Gebäude selbst, ein Hybrid aus Holz und Beton, mit Photovoltaikfassade und im Minergie-A-Eco-Standard gebaut, ist grösstenteils kreislaufkonform. Die Industriellen Werke Basel (IWB) hat Prozirkula unterstützt, Kreislaufwirtschaftsprinzipien in die Ausschreibung für Elektroladesäulen zu integrieren. Auch Armasuisse setzt neuerdings auf Ausschreibungskriterien von Prozirkula, wann immer sie elektronisches Gerät einkauft. Die SBB arbeiten mit einem von Prozirkula mitentwickelten Analysewerkzeug, um einzelne Warengruppen in Bezug auf ihre Kreislaufchancen und -risiken zu bewerten.

«Wann immer Kreislaufwirtschaft-Projekte angestossen werden, kommen die Beteiligten nicht darum herum, Pionierarbeit zu leisten», meint Stalder. Es gebe erst wenige Vorzeigebeispiele; Standardlösungen, die man einfach so übernehmen könne, seien noch kaum verfügbar. «Die Beschaffungsverantwortlichen können selten fertige Angebote und Produkte ab Stange einkaufen, sondern müssen zusammen mit den Lieferanten neue Lösungen entwickeln», skizziert Stalder die eigentliche Herausforderung. Der Wandel hin zur Kreislaufwirtschaft beginne dabei im Kopf, denn die zirkuläre Beschaffung basiere auf einer neuen Denkweise. Die Verwaltungsangestellten und Manager betreten in der Regel Neuland und werden mit ungewohnten Anforderungen konfrontiert, wenn sie sich für eine kreislauffähige Beschaffung interessieren. Prozirkula bietet ihnen in dieser Situation professionelle Unterstützung. «Wir begleiten die Beschaffungsprozesse und sorgen dafür, dass die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft bereits in die Ausschreibungen einfliessen», so Stalder. Das Kompetenzzentrum Prozirkula fördert die Transformation zu kreislauffähigen Produktions- und Konsumpraktiken mittels Beratung, Weiterbildung, Wissenstransfer, Vernetzung und durch eine Wissensdatenbank. «Über Leuchtturmprojekte und über unsere Erfahrungen berichten wir regelmässig an Veranstaltungen, unter anderem am ‹Anwenderforum Kreislaufwirtschaft› im September dieses Jahres», sagt Stalder.

Ökologischer und ökonomischer Mehrwert

Das Kompetenzzentrum spricht mit seinen Dienstleistungen zwar primär die öffentlichen Beschaffungsstellen an, doch auch die Procurement-Managerinnen und -Manager der Unternehmen liegen bei den Kreislaufwirtschaft-Spezialisten von Prozirkula grundsätzlich richtig. «Firmen, die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft strategisch in ihre Prozesse integrieren, können sich bessere Chancen ausrechnen, bei öffentlichen Aufträgen die Nase vorn zu haben», zeigt sich Stalder überzeugt. Gefragt sind immer häufiger Geschäftsmodelle, bei denen ökologischer und ökonomischer Mehrwert Hand in Hand gehen. Gute Karten hat in dieser Beziehung beispielsweise der Möbelhersteller Zesar in Tavannes JU, der kreislauffähige Schul- und Büromöbel entwickelt hat.

Nutzt die öffentliche Beschaffung konsequent ihre Nachfragemacht und setzt nur noch auf Anbietende mit kreislauftauglichen Geschäftsmodellen, bewirkt dies einen Schneeballeffekt. Die Transformation in Richtung Kreislaufwirtschaft wird so auch in der Industrie und im Gewerbe angekurbelt. Nicht zuletzt leisten damit alle Beteiligten einen entscheidenden Beitrag dazu, das Sustainable Development Goal (SDG) 12, «Verantwortungsvolle Konsum- und Produktionsmuster», und weitere SDG zu erreichen.

prozirkula.ch

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Vernetzung von Landwirtschaft und Start-ups

Patricia Michaud

Star’Terre ist die Fortsetzung eines vom Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) unterstützten Pilotprojekts, das landwirtschaftliche und unternehmerische Kreise in den Kantonen Waadt, Genf, Freiburg und Wallis vernetzt. Es legt den Fokus auf den lokalen Konsum, kurze Wege und die Rückführung der Wertschöpfung in die Region auf Basis der Kreislaufwirtschaft.

Dies ist die – ebenso banale wie fiktive – Geschichte einer Familie, die in einer Wohnung im Zentrum von Nyon VD lebt. Die älter werdenden Kinder interessieren sich immer stärker für den Boden und die Nahrungsmittel. Der schmale Balkon des Familienhauses ist bereits mit einem Tisch und einer
Mini-Entsorgungsstelle vollgestopft. Für das Pflanzen von Gemüse bleibt kein Platz. Es reicht gerade für ein paar Töpfe mit aromatischen Kräutern. Jeden Sonntag macht sich die kleine Truppe deshalb auf den Weg zu ihrer Parzelle in einem lokalen Gemeinschaftsgarten des Vereins «Au-Potager». Unter fachkundiger Anleitung widmen sich Eltern und Kinder gemeinsam dem Giessen, Jäten und – als Belohnung – dem Ernten.

© regiosuisse

Der Verein «Au-Potager» hat sich zum Ziel gesetzt, die Vertragslandwirtschaft als neuen Weg des Lebensmittelkonsums zu ermöglichen. Im Kanton Waadt betreibt der Verein bereits drei Standorte. Er bietet Dienstleistungen an, um diese Art von Gärten in der Westschweiz zu verbreiten. «Au-Potager» gehört seinerseits zu den vier Projekten, die 2022 eine Star’Terre-Begleitung erhalten haben. Die weiteren sind «Local Impact» in Freiburg, Entwickler der digitalen Plattform «Cuisinons notre région», «L’Ortie», ein gemeinsam geführtes Gemüseanbauprojekt im Kanton Genf, und «Lupi Food», das eine neue Wertschöpfungskette für pflanzliche Proteine auf Basis von Schweizer Lupinen im Kanton Waadt entwickeln will.

Die Begleitung durch Star’Terre im Umfang von rund 12 000 Franken pro Projekt erstreckt sich über drei Jahre. Die Projekte erhalten dabei thematische Beratung durch Fachleute, beispielsweise in Bezug auf die Wertschöpfungskette, rechtliche Aspekte, das Öko-Design oder die Wirtschaftsstrategie. Darüber hinaus haben sie Zugang zu einer Informationsdatenbank und spezifischen Instrumenten. Sie können sich zudem auf das starke Akteurnetzwerk im Umfeld von Landwirtschafts-, Unternehmens-, Innovations- und akademischen Kreisen stützen, an deren Schnittstelle Star’Terre sich aktiv positioniert.

© regiosuisse

Förderung des lokalen Konsums

Der Name Star’Terre sagt viel über die Natur und die Ziele dieser Organisation aus, die sich unter anderem als Bindeglied zwischen der Welt der Start-ups und der Welt der Bodenbewirtschaftung versteht. «Unser Ziel ist es, die Bereiche Landwirtschaft, Lebensmittel, Innovation und Unternehmertum im Kontext des lokalen Konsums zusammenzubringen», erklärt Magali Estève, Mitglied des Koordinationsteams. Mit «lokal» ist hier der Metropolitanraum rund um den Genfersee gemeint, der die Kantone Waadt, Genf, Freiburg und Wallis einschliesst, in denen Star’Terre aktiv ist.

Star’Terre ist eine sehr junge Organisation, die in ihrer jetzigen Form erst seit März 2020 besteht. Es handelt sich dabei um eine Fortsetzung des interkantonalen Projekts «Lokaler Konsum in der Genferseemetropole», das im Rahmen des vom seco entwickelten «Pilotprogramms Aktionsgebiet Wirtschaft» durchgeführt wurde. Dieses nationale Programm umfasste sechs Projekte und dauerte von 2017 bis 2019. Aufgrund der gesammelten Erfahrungen beschlossen die in der Region Genfersee Beteiligten, die Organisation zu verstetigen. Zum einen, weil sich dadurch Mängel beheben liessen – insbesondere die mangelnde Unterstützung an der Schnittstelle zwischen landwirtschaftlichem und nichtlandwirtschaftlichem Unternehmertum sowie fehlende Synergien zwischen den verschiedenen Förderprogrammen – und zum anderen, weil die Fortführung ermöglichte, das Potenzial der Metropole am Genfersee in Wert zu setzen.

«Star’Terre zielt auf einen echten Modellwechsel ab», betont Magali Estève. «Wir unterstützen die lokalen Akteure in ihrem Bestreben, innovativ zu sein, Know-how aus der Landwirtschaft und der Lebensmittelbranche zu teilen und besser zu verwerten.» Dies alles mit dem Ziel, «die Wertschöpfung zu den Produzenten und in die Region zurückzubringen.» Star’Terre war von Anfang an eine interkantonale Initiative und wird getragen von den Landwirtschaftsämtern der vier beteiligten Kantone sowie von agridea, der landwirtschaftlichen Beratungszentrale der kantonalen Landwirtschaftsfachstellen, der Magali Estève angehört.

Return on Investment

Über diese Funktion als Anlaufstelle hinaus versteht sich Star’Terre auch als Ort der Vernetzung von Kompetenzen oder Ressourcen sowie als Wissensdatenbank. «Wir veröffentlichen Dokumentationen, etwa einen Leitfaden für die Gründung eines partizipativen Lebensmittelladens.» Nicht zu vergessen ist die Organisation von Veranstaltungen. In einem kostenlosen Webinar wurden innovative Instrumente mit Fokus auf kurze Kreisläufe für Landwirte, Start-ups und kmu vorgestellt. Im Rahmen thematischer Treffen konnten die Teilnehmenden die Fortschritte bei den Techniken zur Verwertung von Nebenprodukten und Abfällen aus der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie kennenlernen. «Wir stellen ein immer stärkeres Interesse an den Konzepten der Lebenszyklusanalyse und der Kreislaufwirtschaft fest; das ist ein Pfeiler, den wir weiter
stärken werden.»

Dennoch: Das Kerngeschäft von Star’Terre besteht weiterhin in der Begleitung von Projekten in der Startphase. «Es muss sich um Projekte handeln, die weniger als drei Jahre alt sind und sich auf die Produktion, die Verarbeitung, den Vertrieb oder die Verwertung beziehen», erläutert die Leiterin. Selbstverständlich muss, wer einen Antrag auf Unterstützung stellt, im Aktivitätsperimeter von Star’Terre tätig sein. Zudem muss das Projekt «auf die eine oder andere Weise zu einer Erhöhung des Verbrauchsvolumens an lokalen Produkten beitragen und einen Mehrwert für die lokale Landwirtschaft aufweisen.» Schliesslich müssen die dem Auswahlkomitee vorgelegten Initiativen innovativ sein, Erfolgsaussichten haben, «leicht in einem anderen Kanton umsetzbar sein und potenziell einen Markt erreichen, der über die Metropole am Genfersee hinausgeht».

© regiosuisse

Nachahmer erwünscht

Seit dem Start des Pilotprojekts im Jahr 2017 wurden 26 Projekte von Star’Terre begleitet. Zu ihnen gehört auch eines von «Les Fruits de Martigny», einer Aktiengesellschaft, die seit über zwanzig Jahren in der Vermarktung von Walliser Obst und Gemüse tätig ist. «Sie wollte innovativ sein und eine Reihe von Frucht- und Gemüsesäften herstellen, deren Nährwerte dank ‹Pascalization› – eines Verfahrens der Kaltpasteurisierung unter hohem Druck – erhalten bleiben», berichtet Georg Bregy, der stellvertretende Leiter der Walliser Dienststelle für Landwirtschaft und Mitglied des Star’Terre Steuerungsausschusses. Dieses seit 2020 unterstützte Projekt sei ein schönes Beispiel für den Beitrag von Star’Terre zur regionalen Wirtschaft. «In einem Alpen- und Tourismuskanton wie dem Wallis ist es besonders interessant, Innovation zu nutzen, um den Konsum der lokalen Produktion zu fördern», fährt er fort.

Anderer Kanton, gleicher Ton. Jean-Marc Sermet ist Leiter des Sektors «Beiträge und Strukturen» im Genfer Amt für Landwirtschaft und Natur. Auch er ist Mitglied des Star’Terre- Lenkungsausschusses. «Früher neigten wir dazu, uns auf die Landwirtschaft zu konzentrieren. Wenn wir aber darüber hinausgehen und innovative Wege finden, um Produzenten und Konsumenten über Start-ups zusammenzubringen, schaffen wir einen echten Mehrwert für die Landwirtschaft und die Wirtschaft des Kantons.» Er nennt als Beispiel die «Manufacture de Terroir», ein 2021 unterstütztes Genfer Projekt. «Dabei handelt es sich um eine gemeinsam genutzte Werkstatt zur Verarbeitung kleiner Mengen an Obst und Gemüse. Sie stellt lokalen Produzenten die Infrastruktur und die Werkzeuge zur Verfügung, mit denen sie Säfte, Suppen usw. herstellen können.»

Die beiden Kantonsverantwortlichen begrüssen unisono, dass die Vision von Star’Terre nicht bei der Parzelle endet. «Nur weil man in der Landwirtschaft tätig ist, heisst das nicht, dass man nicht über das eigene Feld, die eigene Gemeinde und den eigenen Kanton hinausschauen sollte», betont Jean-Marc Sermet. «Während der Pilotphase unseres Projekts haben wir festgestellt, dass der Genfer Metropolitanraum hinsichtlich der Konsumströme eine Tatsache ist», ergänzt Magali Estève. «Es ist ein Raum, in dem lange und kurze Kreisläufe harmonisch koexistieren und zusammenfliessen können.» Dieses Modell stösst auch anderswo in der Schweiz auf Begeisterung. Es wäre daher nicht überraschend, wenn Star’Terre auch jenseits der Saane Nachahmer finden würde.

starterre.ch

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Editorial

Benoît Charrière

Die Schweiz bleibt 2021 zum elften Mal in Folge die Nummer eins in Sachen Innovation, so die UNO. Auch beim Abfallrecycling ist sie mit einer Quote von 53 Prozent vorbildlich, auch wenn die europäischen Länder aufholen. Allerdings verursacht jede Schweizerin, jeder Schweizer jährlich 2,7 Tonnen Abfall, davon mehr als 700 Kilogramm Siedlungsabfall, womit die Schweiz im globalen Vergleich eine unrühmliche Spitzenposition beim Pro-Kopf-Abfallaufkommen einnimmt.

Wollen wir bis 2050 die CO2-Neutralität erreichen, ist es unerlässlich, zu überdenken, wie wir mit Ressourcen umgehen. Die Kreislaufwirtschaft fördert einen Paradigmenwechsel. Die Schweizer Gesetzgebung wird derzeit weiterentwickelt mit dem Ziel, einen Rahmen für die bessere Nutzung der Ressourcen zu schaffen. Gleichzeitig lassen sich viele lokale Initiativen und Projekte beobachten.

Die Herausforderung liegt in der Skalierung. Wie lässt sich die notwendige Transformation der Wirtschaft beschleunigen, und welche Rolle können Gemeinden, Regionen und Kantone spielen? Verschiedene öffentliche Bereiche liessen sich nach den Regeln der Kreislaufwirtschaft ausgestalten. Die NRP stellt in dieser Hinsicht eine Chance dar, diesen Übergang zu begleiten. Die vorliegende Ausgabe von «regioS» gibt einen kurzen Überblick über die grundlegenden Überlegungen zur Kreislaufwirtschaft und stellt konkrete Beispiele vor.

Die von regiosuisse entwickelte Toolbox Kreislaufwirtschaft zielt darauf ab, die öffentlichen Akteure zu unterstützen. Im laufenden Jahr lanciert regiosuisse das RegioLab Kreislaufwirtschaft, damit die Regionen potenzielle Projekte starten können.
Auf die Plätze, fertig, kreisen!

Wachstum und Diversifizierung

Seit 2015 wurden im Technopôle neue Bereiche entwickelt, insbesondere mit AddiPole, einem Kompetenzzentrum für additive Fertigung und 3D-Digitalisierung. Dieses ist aus einer Zusammenarbeit zwischen der HEIG-VD (Haute École d’Ingénierie et de Gestion du canton de Vaud), dem CPNV (Centre Professionnel du Nord Vaudois) und der ETVJ (École Technique de la Vallée de Joux) hervorgegangen. Heute verfügt der Technopôle über alle Kompetenzen und Einrichtungen, um ein Werkstück von A bis Z mit den neusten Technologien der Digitalisierung und des 3D-Drucks aus Polymeren oder Metall herzustellen.
Er begleitet weiterhin die in seinem «Inkubator» untergebrachten Unternehmen und bietet ihnen Unterstützung auf dem Weg zur industriellen Produktion. Mindestens zwölf Startups sind dort inzwischen entstanden. Im März 2022 wurde die Stelle einer Direktorin geschaffen.

technopole1450.ch

Beispiele zur Kreislaufwirtschaft in der Schweiz und in Liechtenstein

Das Projekt «circter» untersuchte im Rahmen des europäischen Forschungsprogramms espon räumliche Bedingungen, um die Kreislaufwirtschaft erfolgreich zu etablieren. Unter die Lupe genommen wurden auch die Schweiz und Liechtenstein. Zu den regionalspezifischen Stärken der beiden Länder für den Übergang zur Kreislaufwirtschaft gehören gemäss einer im September 2021 publizierten Fallstudie gut etablierte Plattformen und Netzwerke, die helfen, Erfahrungen auszutauschen und Innovationen zu verbreiten. Weitere Stärken sind hochmoderne Rücknahmesysteme sowie Industriezweige und fortschrittliche Produktionsmethoden, die von Bildungs- und Forschungseinrichtungen unterstützt werden, ein günstiges Finanz- und Geschäftsumfeld, die Lage an logistischen Verkehrsknotenpunkten beziehungsweise an für Europa wichtigen Korridoren sowie ein starkes öffentliches Bewusstsein und institutionelle Kommunikation zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen.

regiosuisse.ch/circter
regiosuisse.ch/policybriefcirculareconomy

Evaluation der NRP

Die Neue Regionalpolitik (NRP) hat zum Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit strukturschwacher Regionen zu stärken. In welchem Masse dies gelungen ist, zeigt die umfassende Evaluation «Improve NRP» im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO). Deutlich wird: Die NRP erfüllt ihren Zweck, sie erreicht ihre Ziele in vielen Bereichen. Die grosse Mehrheit der Projekte lebt auch nach der NRP Finanzierung weiter. Die Evaluation zeigt aber auch auf, wo die NRP ihr Potenzial noch nicht voll ausschöpft und welche Massnahmen zur Schärfung des Profils empfehlenswert sind. Den Kurzbericht gibt es auch als Podcast.


improve-nrp.ch

Verkehrsperspektiven 2050

Der Verkehr wächst in Zukunft weniger stark als die Bevölkerung. Verantwortlich dafür sind gesellschaftliche und wirtschaftliche Trends wie Homeoffice, die anhaltende Urbanisierung, Digitalisierung und die Alterung der Bevölkerung. Dies zeigen die schweizerischen «Verkehrsperspektiven 2050» des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK). Im Hauptszenario «Basis» nimmt die Verkehrsleistung in Personenkilometern bis 2050 um 11 Prozent zu, während die Bevölkerung um 21 Prozent wächst. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Trends schlagen sich auch im Güterverkehr nieder. Er verzeichnet mit 31 Prozent im Szenario «Basis» bis 2050 zwar eine deutliche Zunahme, doch fällt sie geringer aus als die wirtschaftliche Entwicklung mit einem Zuwachs des Bruttoinlandprodukts von 57 Prozent. Die «Verkehrsperspektiven 2050» dienen unter anderem als Grundlage für die Verkehrs- und Raumplanung des Bundes.

are.admin.ch/verkehrsperspektiven

Monitoring-Tool für Regionen

regiosuisse hat eine neues, interaktives Auswertungstool für Arbeitsmarktregionen geschaffen. Es ermöglicht Regionalmanagerinnen und -managern, online für die eigene Region Kennzahlen zu erzeugen, regiosuisse-Indikatoren wie die Arbeitsplatzdichte oder das Beschäftigungswachstum anzeigen zu lassen und auszuwerten. Auch Vergleiche mit anderen Regionen oder Auswertungen für unterschiedliche Zeiträume sind möglich. Beispielsweise kann sich eine Regionalmanagerin aus dem Raum Sion die Bevölkerungs- und Beschäftigungsentwicklung in den letzten Jahren anzeigen lassen. Kantone, Regionen sowie weitere Akteurinnen und Akteure an Schnittstellen zur Regionalentwicklung können bei regiosuisse aber auch Spezialauswertungen zu einzelnen Gebieten – grundsätzlich bis auf Gemeindeebene – in Auftrag geben.

regiosuisse.ch/arbeitsmarktregionen