Zweitwohnungen – Herausforderung und Chance

Pirmin Schilliger & Urs Steiger
Das seit fünf Jahren geltende Zweitwohnungsgesetz (ZWG) erweist sich heute als wirksames Instrument für eine nachhaltigere touristische Entwicklung, wie verschiedene Studien im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) und des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE) aufzeigen. Allerdings ist die Umsetzung der neuen gesetzlichen Bestimmungen eine höchst anspruchsvolle Aufgabe. Wollen sich die betroffenen Regionen und Gemeinden einen erfolgreichen Weg in die touristische Zukunft offenhalten, kommen sie um teils aufwendige Anpassungsprozesse und neue Lösungen nicht herum. Dies verdeutlichen die zahlreichen und inhaltlich sehr vielfältigen Projekte, die zu diesem Zweck in jüngster Zeit lanciert wurden.
Herbststimmung in Flims GR © regiosuisse

Die Schweizer Stimmbevölkerung hat am 11. März 2012 die Volksinitiative zur Beschränkung von Zweitwohnungen und sogenannten «kalten Betten», also von Wohnraum, der nur während eines Bruchteils der Zeit genutzt wird, angenommen. Von der damit verbundenen Forderung, bei einem Zweitwohnungsanteil über 20 Prozent des Wohnungsbestands den weiteren Ausbau zu stoppen, waren rund 400 Gemeinden betroffen, fast ausschliesslich solche aus dem Alpenraum. Für sie war der Entscheid ein heftiger Schock. Vor allem in den Hotspots des Zweitwohnungsbaus wurde ein massiver wirtschaftlicher Einbruch befürchtet.

Alles halb so schlimm

So schlimm kam es dann doch nicht, zumal es nach der knappen Annahme der Volksinitiative eine Weile dauerte, bis der Vollzug einigermassen griff. Wie sich der Zweitwohnungsmarkt im Zeitraum von 2013 bis 2019 tatsächlich entwickelte, haben Expertinnen und Experten der Beratungsfirmen BHP, IC Infraconsult und Rütter Soceco 1 sowie der Hochschule Luzern (HSLU) 2 im Auftrag des SECO und des ARE eingehend untersucht. Die Analyse erbrachte bemerkenswerte Ergebnisse. «Unmittelbar nach Annahme der Initiative prägte in zahlreichen Bergregionen vorerst ein Bauboom das wirtschaftliche Geschehen», erläutert Professor Stefan Lüthi vom Institut für Betriebs- und Regionalökonomie (IBR) der HSLU, das die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen untersucht hat. Der wesentliche Grund für diese Entwicklung: Projekte, die noch vor Ende 2012 bewilligt wurden, fielen nicht unter den Baustopp. Also wurde überall eilends gebaut, was schon bewilligt war. Ausserdem wurden unter den Übergangsbestimmungen unentwegt neue Baugesuche eingereicht. So gelangte 2013 und 2014 an vielen Orten weiterhin eine beachtliche Zahl neuer Zweitwohnungen auf den Markt.

Gesetz zeigt Wirkung

Erst als sich ab 2015 der Vollzug des Zweitwohnungsgesetzes (ZWG) und der Zweitwohnungsverordnung (ZWV) konkretisierte, sank die Zahl der Bewilligungen und pendelte sich nach Inkrafttreten deutlich unter dem historischen Mittel ein. 2019, im Jahr vor Covid-19, wurden in den vom ZWG betroffenen Gemeinden noch rund 2000 Baubewilligungen für Zweitwohnungen erteilt – rund dreimal weniger als in den Boomjahren 2006 bis 2008. «Insgesamt ist der Ferienwohnungsbau seit der Zweitwohnungsinitiative stark rückläufig», zieht Lüthi ein vorläufiges Fazit. Die Zweitwohnungsinitiative führte also nicht zu Nullverbrauch, reduzierte aber den Flächenverbrauch deutlich und förderte einen haushälterischeren Umgang mit dem Boden. Die Umweltschutzorganisation Helvetia Nostra sieht das offensichtlich etwas anders, vergegenwärtigt man sich die 1600 Einsprachen gegen Baugesuche, die sie im Zeitraum 2013 bis 2019 eingereicht hat. Davon wurden bis heute 687 ganz oder teilweise gutgeheissen, weitere 541 wurden als gegenstandslos abgeschrieben, weil etwa das Baugesuch zurückgezogen wurde. Die Einsprachen konzentrierten sich zuerst hauptsächlich auf Projekte im Kanton Wallis. Deren Anzahl nahm aber im Laufe der Zeit dank der inzwischen besser eingespielten Vollzugspraxis generell deutlich ab.

Ferienhäuser in der Lenk BE © regiosuisse

Bau- und Immobilienwirtschaft unter Druck

Auch die ursprünglich befürchtete wirtschaftliche Katastrophe infolge des ZWG ist heute kaum mehr ein Thema. Die touristische Nachfrage in der Hotellerie und der Parahotellerie hat das ZWG nicht nachweisbar beeinflusst. «Am stärksten zu spüren bekam die Folgen des ZWG nicht ganz überraschend die Bau- und Immobilienwirtschaft», so Lüthi. Doch auch in diesem Wirtschaftssektor war der Rückgang kleiner als prognostiziert. In den Hotspots des Zweitwohnungsmarktes brachen die Bauaktivitäten zwar um rund 20 Prozent ein. Doch grössere, breiter aufgestellte Firmen hielten sich schadlos, indem sie neue Marktsegmente erschlossen und ihr Marktgebiet etwa ins Unterland ausweiteten. Zudem floss in den letzten Jahren mehr Geld in den Unterhalt und die Erneuerung des Zweitwohnungsbestandes. So profitierte die Bauwirtschaft auch vom genannten Bewilligungs- und Bauboom, der sogar zu einem Angebotsüberhang geführt hat, und von den Ausnahmeregelungen, wonach der Bau von Zweitwohnungen im Zusammenhang mit strukturierten Beherbergungsbetrieben möglich ist. Hinzu kommen viele Sanierungsprojekte in der Hotellerie, wo unter bestimmten Voraussetzungen 20 bis 33 Prozent der Hauptnutzfläche von Hotelbauten als Zweitwohnungen erstellt werden dürfen.

Massnahmenpaket mit schneller Wirkung

Dass die wirtschaftliche Entwicklung in den vom ZWG betroffenen Gebieten besser verlief als befürchtet, ist auch verschiedenen staatlichen Massnahmen zu verdanken. Dazu gehört das tourismuspolitische Massnahmenpaket, das das Parlament 2015 explizit zur Abschwächung der negativen Auswirkungen des ZWG beschlossen hat. Eine der Massnahmen war das «Impulsprogramm Tourismus», das für die Jahre 2016 bis 2019 zusätzlich Beiträge in der Höhe von 10 Millionen Franken für das Förderprogramm Innotour, 38 Millionen Franken für die Neue Regionalpolitik (NRP) und maximal 150 Millionen Franken zusätzliche NRP-Darlehen freigab. Zudem wurde das noch nicht ausgeschöpfte Zusatzdarlehen an die Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit (SGH) aus dem Jahr 2011 in der Höhe von 100 Millionen Franken bis 2019 verlängert.

«Viele der dadurch ausgelösten Anpassungsprojekte zielen auf eine intensivere Bewirtschaftung der Zweitwohnungen und der schlecht ausgelasteten Hotels. Die Devise lautet: ‹Warme statt kalte Betten!›», so Lüthi. Mit dem erwünschten Nebeneffekt, dass der laufende Strukturwandel vom monosaisonalen zu einem Ganzjahrestourismus beschleunigt wird. Neue Geschäftsmodelle, die vor allem in der Bau- und Immobilienwirtschaft seit 2013 auf rein privatwirtschaftlicher Ebene entstanden sind (vgl. unten), zeigen zusammen mit den vom Bund, von den Kantonen und den Gemeinden unterstützten Anpassungsprojekten, dass es im Alpenraum auch mit dem ZWG weiterhin einen erfolgversprechenden Weg in eine nachhaltige touristische Zukunft gibt.

Bauarbeiten in St. Moritz GR © regiosuisse

Neue Chancen und Möglichkeiten mit dem ZWG

Das Beratungsunternehmen IC Infraconsult hat versucht, die Anpassungsprojekte und neuen Lösungen nach thematischen Aspekten zu kategorisieren. Und es hat für jede Kategorie mehrere «Good Practices» selektioniert, aus denen im Folgenden Beispiele vorgestellt werden.3

  • Regulative und fiskalische Instrumente

Kurtaxen in Grächen VS und Val de Bagnes VS: Die Gemeinde Grächen hat per 1. Mai 2018 die Kurtaxe neu reglementiert. Auf Zweitwohnungen wird seither eine Jahrespauschale erhoben, die 46 bisherigen Übernachtungstaxen entspricht. Es ist eine einfache Massnahme, von der sich die Behörden angesichts eines Zweitwohnungsanteils von 68 Prozent eine grosse Hebelwirkung versprechen. Bei schlecht genutzten Zweitwohnungen bedeutet die neue Taxe eine massive Verteuerung. Für die Eigentümerinnen und Eigentümer steigt der Anreiz, die Zweitwohnung möglichst oft an Dritte zu vermieten. Das neue Berechnungsmodell hat bisher allerdings nur halbwegs den gewünschten Erfolg gebracht. Erwartungsgemäss verdoppelten sich zwar die Kurtaxen-Einnahmen, doch stagnieren die Übernachtungszahlen bis heute. Roman Rogenmoser, CEO der Touristischen Unternehmung Grächen AG, zieht trotzdem eine positive Bilanz: «Das Modell bewährt sich. Der administrative Aufwand für die Rechnungstellung ist heute kleiner, und wir verfügen als Tourismusorganisation in guten wie in schlechten Zeiten über annähernd gleichbleibende Einnahmen.» Bezüglich einer besseren Auslastung der Zweitwohnungen bleibt Rogenmoser skeptisch. Für viele Zweitwohnungsbesitzerinnen und -besitzer komme eine externe Vermietung grundsätzlich nicht infrage. Er spricht damit ein Verhaltensmuster an, das sich vermutlich nur mit massiveren finanziellen Anreizen verändern liesse. Dies versucht die Gemeinde Val de Bagnes im Unterwallis. Dort können die Kurtaxen, die für Mietübernachtungen von Dritten anfallen, von der Pauschalkurtaxe für die Zweitwohnung abgezogen werden. Und tatsächlich: Seit Einführung des neuen Tarifsystems ist die Auslastung der Zweitwohnungen im Val de Bagnes gestiegen.

  • Planerische und strategische Instrumente

Raumstrategie «St. Moritz 2030»: Das ZWG, kantonale Planungsvorgaben und der Handlungsdruck vor Ort waren für St. Moritz Anlass, 2017 unter dem Titel «St. Moritz 2030» zusammen mit der Bevölkerung und Gästen einen Visions- und Strategieprozess für die Ortsentwicklung zu starten. Hauptherausforderung in der Engadiner Destination ist das Preisniveau auf dem Immobilienmarkt, bei dem die vielen teuren Zweitwohnungen (Anteil: 57 Prozent) die eigentliche Benchmark setzen mit dem Resultat, dass auch die Preise für Wohn- und Gewerbeflächen stetig steigen und für die Ortsansässigen und Gewerbetreibenden zunehmend unerschwinglich werden. Seit Verabschiedung von «St. Moritz 2030» im Jahre 2019 unterstützt die Gemeinde aktiv Bauprojekte, die bezahlbaren Wohnraum oder Gewerbeflächen zu angemessenen Preisen ermöglichen: bei der Planung, im Verfahrensprozess, mithilfe reglementarischer Anreize und durch eine aktivere Liegenschaftspolitik. Über den Dialog mit den Eigentümerinnen und Eigentümern sowie die Förderung entsprechender Vermarktungs- und Beherbergungsmodelle versucht die Gemeinde zudem das Angebot «warmer Betten» zu erhöhen. Gemeindevorstand Reto Matossi ist überzeugt, dass die Prozesse dazu beigetragen haben, das Thema «bezahlbarer Wohnraum» strategisch zu verankern. «Nun müssen wir den Beweis einer erfolgreichen Umsetzung erbringen», sagt er, etwa mit gemeindeeigenen Grundstücken und privaten Liegenschaften, die für bezahlbaren Wohnraum mobilisiert werden könnten.

  • Neue Betriebs- und Governance-Strukturen

Erni Bau AG in Flims GR: Das Bauunternehmen mit Sitz in einer Zweitwohnungshochburg hat seine Diversifikationsstrategie nach Inkrafttreten des ZWG verstärkt in Richtung Erschliessung zusätzlicher Marktsegmente (z.B. Energiesanierungen, Bahnverkehr) und neue geografische Marktgebiete (in ganz Graubünden, SG, VS) sowie neue Geschäftsmodelle vorangetrieben. Dazu gehört der Aufbau eines Immobilienportfolios, das mittlerweile über hundert Wohnungen zwecks Vermietung umfasst. «Wir sind mit der gewählten Strategie heute gut unterwegs», sagt CEO Marc Grünenfelder, auch weil die Firma schon zuvor strategisch breit aufgestellt war. Zudem profitiert sie von der räumlichen Nähe zum urbanen Zentrum Chur, wo die Erni Bau AG in den letzten Jahren stärker Fuss fassen konnte.

Kleineren Baufirmen in peripheren Tourismusdestinationen blieb es hingegen häufig nicht erspart, ihren Betrieb zu redimensionieren. Bei der Freidig Bau AG in Lenk im Simmental beispielsweise sind infolge des ZWG in den letzten Jahren Umsatz, Ertrag und Beschäftigtenzahl um 20 bis 30 Prozent eingebrochen, wobei der Rückgang im Jahr 2020 aufgrund von Covid-19 in dieser Zahl noch nicht berücksichtigt ist.

  • Kommunikation und Wissensmanagement

Innotour-Projekt «Destinationsmarketing durch Ferienwohnungsbesitzerinnen und -besitzer» in Davos/Klosters GR: Das am Institut für Systemisches Management und Public Governance (IMP-HSG) der Universität St. Gallen unter der Leitung von Professor Christian Laesser durchgeführte Projekt zeigt systematisch auf, wie Zweitwohnungsbesitzerinnen und -besitzer mittels eines Anreizsystems und dazugehöriger Dienstleistungen verstärkt zum Destinationsmarketing beitragen könnten. Zu den einzelnen Massnahmen und Vorschlägen, die auf Markttests und Workshops in verschiedenen Tourismusdestinationen basieren, gehören regelmässige Informations- und Kennenlernevents, Preisvergünstigungen bei Veranstaltungen und Freizeitinfrastrukturen und organisatorischer Support bei privaten und geschäftlichen Anlässen oder Vouchers für Neubesitzerinnen und -besitzer.

  • Dienstleistungsangebote und Plattform-Tools

Plattform WarmesBett.ch: Das Projekt in der Surselva wurde bereits 2010 von der Derungs Quinter Immobilien AG in Lumbrein GR lanciert. Die Plattform ist heute Vorbild für weitere ähnliche regionale Plattformen. Die Derungs Quinter AG bietet mit WarmesBett.ch den Besitzerinnen und Besitzern von Zweitwohnungen einen Rundumservice, damit sie ihre Objekte ohne eigenen Aufwand vor Ort professionell vermieten können. Der Service umfasst alles von der Buchung über den Vertrag und die Schlüsselübergabe bis hin zur Reinigung. Heute sind 80 Mietobjekte auf der Plattform aufgeschaltet. «Wir haben damit den Markt absichtlich nicht ausgeschöpft, weil sich weiteres Wachstum logistisch und personell kaum bewältigen liesse», sagt Geschäftsführer Gian Derungs. Eine grosse Herausforderung ist es, genug verlässliches Reinigungspersonal für die vielen Kurzzeiteinsätze zu finden. «Wenn im Februar und Anfang März samstags in 50 oder 60 Wohnungen auf einen Schlag die Mieterinnen und Mieter wechseln, stossen wir an unsere Grenzen», gibt Derungs zu bedenken. Trotz der eingeschränkten Skalierungsmöglichkeiten zieht Derungs eine positive Bilanz: «Das Geschäftsmodell hat sich insgesamt gut bewährt.» Für zusätzlichen Schub sorgte Corona: Die Zahl der über WarmesBett.ch generierten Übernachtungen stieg 2020 auf über 19 000 Logiernächte, bei gleichem Bettenangebot 40 Prozent mehr als im Vorjahr.

  • Bau- und Immobilienprojekte

Swisspeak Resort, Meiringen BE: Das ZWG erlaubt bekanntlich unter gewissen Bedingungen weiterhin, neue Zweitwohnungen oder Apartments zu errichten. Diese neue Ausgangslage ruft buchstäblich nach neuen Beherbergungskonzepten. Das Swisspeak Resort in Meiringen, ein 30-Millionen-Franken-Projekt mit 79 Wohnungen und 426 Betten, wurde Ende 2019 nach zweijähriger Bauzeit eröffnet. Es steht auf einer in den 1990er-Jahren geschaffenen touristischen Sonderzone, auf der 15 Jahre lang nichts passierte, bis die Resalpina GmbH die Initiative ergriff. Von der NRP in der konzeptionellen Phase unterstützt, entwickelte die Resalpina GmbH das Resort bis zum Bau, um es schliesslich dem Mountain Resort Fund SICAV zu verkaufen. Bewirtschaftet wird es von der Interhome AG, die bereits im ersten Betriebsjahr eine Auslastung von 80 Prozent verzeichnete. Die Resalpina GmbH plant neun weitere Resorts. Allerdings dürfte es nicht überall so glatt laufen wie in Meiringen. Die vier fortgeschrittensten Projekte auf der Laxeralp im Wallis sowie in Klosters, Arosa und Savognin in Graubünden sind derzeit durch Einsprachen blockiert.

Grosses Interesse an den neuen Resortkonzepten zeigen vor allem die Bergbahnen: Mittlerweile sind über 40 Prozent der Transportunternehmen in diesem Bereich aktiv. Das damit angestrebte Konzept der vertikalen Integration mit einem kompletten Ferienangebot aus einer Hand ist zwar bereits älteren Datums, wurde durch das ZWG aber weiter forciert. Zu den Pionieren gehört die Weisse Arena Gruppe in Laax GR mit dem rocksresort.

© regiosuisse

Auf dem richtigen Weg

Auch wenn nicht alle direkt Betroffenen über das ZWG gleichermassen begeistert sind, so beurteilen sämtliche Stakeholder das neue Gesetz aus raumplanerischer und ökologischer Optik sehr positiv. Der Konsens ist gross, dass es die Zersiedlung in den betroffenen Gemeinden stoppt, die Entwicklung in der Parahotellerie in nachhaltige Bahnen lenkt und die landschaftlichen und touristischen Qualitäten in den betroffenen Gemeinden stärkt und weiter verbessert.

Einige Regionen und Gemeinden wie Davos/Prättigau GR oder Val d’Anniviers VS reagierten sehr aktiv auf das ZWG, in anderen Hotspots – etwa Grindelwald – blieb es erstaunlich ruhig. Offensichtlich sind der Anpassungsdruck und die Anpassungsbereitschaft je nach Region sehr unterschiedlich. Tourismusdestinationen, die in der Parahotellerie weiterwachsen möchten, suchen nach neuen Rezepten. Klar ist allen Beteiligten, dass es dabei keine einfachen Lösungen gibt. Der Weg in die erfolgreiche touristische Zukunft führt fast immer nur über ein Bündel von aufeinander abgestimmten Projekten und Massnahmen.

Kommunikationsaktivitäten intensivieren

Die Autorinnen und Autoren der Wirkungsanalysen stellten fest, dass das vorhandene Wissen zur Umsetzung des ZWG nicht immer bei den betroffenen Gemeinden beziehungsweise den Zuständigen ankommt. Sie empfehlen daher den Wissensstand unter diesen Akteuren zu fördern und damit die Planungssicherheit im Rahmen des Möglichen zu erhöhen. Zudem empfehlen die Expertinnen und Experten dem Bund, den Kantonen und den betroffenen Gemeinden, mit weiteren Massnahmen und zielgerichteten Dienstleistungen die Finanzierungsbedingungen bei Anpassungsprojekten zu verbessern und die Planungssicherheit zu erhöhen.

Um die Anpassung an das Zweitwohnungsgesetz zu beschleunigen, aber auch um den damit verbundenen Strukturwandel zu koordinieren und dessen Chancen nutzen zu können, müssten die Kompetenzen sowohl der Baubehörden als auch der Projektentwickler und Bauherren erweitert und neue Kompetenzen aufgebaut werden. Dies erfolgt laut Studien am besten über die etablierten Kommunikationskanäle von Branchenverbänden und Standortförderungsorganisationen und mit Unterstützung durch die involvierten Bundesämter (SECO, ARE) und regionalpolitischen Entwicklungsgefässe wie Innotour, NRP und Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit (SGH).

Der Bund hat gemäss Bericht an den Bundesrat zu den Wirkungsanalysen erkannt, dass der Vollzug und die Wissensgrundlagen zu verbessern sind, und plant erste Massnahmen. Für Änderungen des ZWG sieht er dagegen keinen Handlungsbedarf, unter anderem deshalb nicht, weil die Anpassungsprozesse noch im Gange seien.

Letztlich sollen die Bemühungen auch den laufenden Strukturwandel vom monosaisonalen zum Ganzjahrestourismus begünstigen und damit auch den Transformationsprozess «von kalten zu warmen Betten» weiter ankurbeln. Gelingt dieser Schritt, so gelingt es auch, die Destinationen nachhaltiger, zukunftsfähiger und resilienter auszurichten.

are.admin.ch/zweitwohnungen

regiosuisse.ch/nrp

sgh.ch

seco.admin.ch/innotour

Die Lehren aus dem Zweitwohnungsgesetz

Pirmin Schilliger & Urs Steiger

Welche Herausforderungen stellen sich in den betroffenen Gemeinden und Regionen mit der Umsetzung des Zweitwohnungsgesetzes (ZWG)? Welche Chancen bieten sich? Diese Fragen diskutierten eine Expertin und zwei Experten am runden «regioS»-Tisch: Stefanie Lauber, Leiterin der Bauabteilung der Einwohnergemeinde Zermatt VS und Mitglied der Begleitgruppe zur Wirkungsanalyse des Zweitwohnungsgesetzes, Norbert Hörburger, Professor an der Fachhochschule Graubünden und Leiter «Weiterbildung Tourismus», sowie Heinrich Summermatter, Präsident der Allianz Zweitwohnungen Schweiz. Der einstimmige Tenor: Trotz der Restriktionen aufgrund des ZWG gibt es verschiedene und durchaus intakte touristische Entwicklungschancen im Zweitwohnungsmarkt.

regioS: Welche Probleme wurden mit dem faktischen Baustopp, den das Zweitwohnungsgesetz in diesem Segment bewirkt hat, tatsächlich gelöst, zum Beispiel in Zermatt?

Stefanie Lauber: Die Gemeinde Zermatt hatte bereits vor dem eidgenössischen Gesetz ein kommunales Reglement, das den Bau von Zweitwohnungen stark einschränkte und die neu überbauten Zweitwohnungsflächen auf 1000 bis 1200 Quadratmeter pro Jahr begrenzte. Diese Einschränkung ist durch das ZWG aufgeweicht worden. Nun können sogar mehr Zweitwohnungen gebaut werden als unter dem alten kommunalen Gesetz, sofern diese neuen Zweitwohnungen touristisch bewirtschaftet werden. Zudem verschiebt sich die Nachfrage bei den Zweitwohnungen auf den altrechtlichen Erstwohnungsraum. Das ZWG hat in Zermatt dazu geführt, dass wir heute wieder mit den gleichen Problemen konfrontiert sind, die mit dem kommunalen Reglement eigentlich gelöst waren.

Stefanie Lauber Zermatt © regiosuisse

Herr Hörburger, Sie beobachten die Entwicklung aus der Forschungsperspektive im grösseren Rahmen. Welche positiven Effekte hat das ZWG ausgelöst?

Norbert Hörburger: Der Flächenverbrauch und die Zersiedelung sind in den betroffenen Gemeinden eingedämmt worden. Zudem wurde ein Denkprozess über das Thema Zweitwohnungen ausgelöst, der bereits Früchte trägt. So wurden vielerorts Anreize zum Kauf alter Wohnungen geschaffen, die sonst auf dem Markt übriggeblieben wären. Allerdings wurden auch sehr viele Last-Minute-Projekte beschleunigt, um sie möglichst zügig auf den Markt zu bringen, was zum Teil zu neuen Verzerrungen führte. Die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Bau- und Immobilienwirtschaft wurden erheblich beschnitten. Aus raumplanerischer Sicht hat sich der Druck auf die Auszonung von Flächen in den betroffenen Gemeinden stark erhöht.

Welche positiven Effekte stellen Sie fest, Herr Summermatter?

Heinrich Summermatter: Ich war über den Ausgang der Abstimmung zuerst sehr erschrocken. Nachträglich hat sich diese Angst aber als völlig unbegründet herausgestellt. Das Baugewerbe, das Schlimmstes befürchtet hatte, hat heute kaum grössere Probleme. In der Vergangenheit wurde vor allem neu gebaut, inzwischen wird entsprechend mehr renoviert. Aus der Perspektive eines Bewohners von Lenk im Simmental war das ZWG nur segensreich. Mitte der Sechzigerjahre war der Zweitwohnungsbau bei uns förmlich explodiert, bis zuletzt auf einen Bestandesanteil von fast 70 Prozent. Diese ungesunde Entwicklung konnte dank des ZWG gestoppt werden.

Was bedeutet das ZWG für den Tourismus? Gibt es in diesem Sektor ebenfalls Ausweichmöglichkeiten, ähnlich wie in der Bauwirtschaft?

Hörburger: Im Tourismus sind vermehrt Investorenmodelle für den Bau bewirtschafteter Wohnungen im Rahmen strukturierter Beherbergungsbetriebe gefragt. Dadurch entstehen in den bekannten Destinationen sehr kompakte Grossüberbauungen. Der Fokus hat sich also von einzelnen Häusern mit Zweitwohnungen auf Resorts verschoben. Diese werden häufig nach dem Modell «buy to use and let» realisiert, das heisst, der Käufer kann seine Zweitwohnung nur wenige Wochen im Jahr selbst nutzen und muss sie die übrige Zeit zur touristischen Vermietung freigeben. Allerdings ist noch nicht geklärt, ob diese Modelle auf längere Sicht für die Eigentümer auch rentieren. Ob die versprochenen Renditen auch tatsächlich erreicht werden können, wird sich erst zeigen, wenn die ersten Erneuerungen dieser Grossüberbauungen fällig werden. Man kann davon ausgehen, dass die Erneuerungsfonds nicht bei allen Projekten ausreichend geäufnet sind, sodass die Eigentümer über kurz oder lang Kapital nachschiessen werden müssen.

Lässt sich diese Entwicklung auch in Zermatt beobachten?

Lauber: Bei uns gibt es sowohl qualifizierte touristische Projekte als auch Erstwohnungsprojekte mit touristisch nutzbaren Einliegerwohnungen. Dabei mag auf dem Papier zwar alles rentabel aussehen. Aber ob im Hinblick auf eine spätere Erneuerung genügend Rückstellungen gemacht werden und ob die Wohnungen tatsächlich so genutzt werden, wie auf dem Papier deklariert, können wir nur schwer kontrollieren.

Bei vielen Grossprojekten geht es derzeit wegen Einsprachen nicht vorwärts. Was können die Projektentwickler tun, um trotz allem ans Ziel zu gelangen?

Hörburger: Die Projektentwickler brauchen einen langen Atem. Bis ein Ferienresort verwirklicht werden kann, muss mit sieben bis acht Jahren gerechnet werden. Die Projektentwickler tun folglich gut daran, gleich mehrere Projekte in der Pipeline zu haben. So lassen sich die Risiken besser verteilen.

Wie weit hat das ZWG im Tourismusgeschäft zu Verlagerungen geführt?

Summermatter: Ich sehe keine wesentlichen Verlagerungen. Nach wie vor zählen wir in Lenk auf Tagesgäste, die vor allem für die Umsätze der Bergbahnen wichtig sind. Hinzu kommen die Hotelgäste und die Zweitwohnungsbe­sitzer, deren wirtschaftliches Gewicht generell unterschätzt wird. Pro Zweitwohnung werden vor Ort jährlich 20 000 bis 30 000 Franken Umsatz generiert. Hochgerechnet auf die Schweiz sind dies 10 Milliarden Franken im Jahr, also rund ein Fünftel der gesamten touristischen Wertschöpfung. Zweitwohnungen sind also ein bedeutendes und unverzichtbares Segment der Schweizer Tourismuswirtschaft.

Die Forderung, möglichst viele kalte in warme Betten zu verwandeln, ist ein altes Anliegen. Trotz aller Bemühungen lässt sich die Vermietungsquote kaum steigern. Lediglich ein Viertel aller Zweitwohnungen werden an Dritte vermietet. Was wäre das Erfolgsrezept für die Zukunft?

Summermatter: Ob jemand seine Liegenschaft ausschliesslich selbst nutzen, mit Freunden teilen oder sie dem Markt zuführen und vermieten möchte, lässt sich durch äussere Anreize nicht gross beeinflussen. Fakt ist: Viele Eigentümer nutzen ihre Zweitwohnung in der Hauptsaison am liebsten selbst. Sie wären durchaus bereit, ihre Ferienwohnung in der Zwischensaison zu vermieten, doch dann ist die Nachfrage am geringsten. Die Wohnungen bleiben folglich leer. Dieses Verhaltensmuster lässt sich allenfalls bei einem Generationenwechsel verändern. Die nachrückende Generation ist am ehesten offen für einen anderen Nutzungsansatz und schneller geneigt, die Wohnung dem Vermietungsmarkt zuzuführen. Allerdings lässt sich dieser Umdenkungsprozess nur beschränkt von aussen beeinflussen.

Norbert Hörburger Chur © regiosuisse

Herr Hörburger, Sie haben Modelle entwickelt, die unter anderem darauf abzielen, die Vermietung der Zweitwohnungen zu fördern. Sind Sie optimistischer als Herr Summermatter?

Hörburger: Ich bin überzeugt, dass die Zeit für die Vermietung spielt. Die junge Generation tendiert zum Sharing-Gedanken und ist offener in Bezug auf die Vermietung. Das müsste dazu führen, dass immer mehr Objekte auch zur Vermietung freigegeben werden. Sieht man sich die Mietpreise von Ferienwohnungen und Hotelzimmern an, sind wir in der Schweiz bei den Ferienwohnungen mit den umliegenden Alpenländern absolut wettbewerbsfähig, in der Hotellerie hingegen nicht immer. Eine Destination, die sich weiterentwickeln will, kommt also nicht darum herum, den Ferienwohnungsmarkt möglichst aktiv zu bewirtschaften. Ein Modell, das wir zu diesem Zweck entwickelt haben, ist «RenoRent», bei dem es um die Renovierung und touristische Aktivierung von Zweit­wohnungen geht. Dieses Modell wird nun in Davos von einem Startup umgesetzt (vgl. «Suche nach neuem touristischem Gleichgewicht»). Dem Zweitwohnungsbesitzer wird mit diesem Ansatz eine goldene Brücke zur bequemen Vermietung gebaut. Natürlich wird es auch in Zukunft weiterhin die Gruppe jener Zweitwohnungsbesitzer geben, für die «my home is my castle» alles bedeutet. Diese Gruppe werden wir mit der Forderung nach warmen Betten und mit neuen Vermietungsideen kaum jemals erreichen.

Wie lange nutzen Zweitwohnungsbesitzende, die nicht vermieten wollen, ihre eigene Wohnung?

Summermatter: Wie sich aus den Kurtaxen ableiten lässt, werden die Zweitwohnungen sehr oft während vier bis fünf Wochen genutzt, und zwar ausschliesslich zu Ferienzwecken. Die übrige Zeit stehen sie leer. Daneben gibt es eine kleinere, aber neuerdings stark wachsende Gruppe von Zweitwohnungsbesitzenden, sogenannte «multilokale Bewohner», die ihre Zweitwohnung drei bis vier Monate jährlich nutzen, und zwar zur Erholung, aber auch als Homeoffice.

Hörburger: Hier zeigt sich, dass wir nicht davon ausgehen dürfen, dass Zweitwohnungseigentümer eine homogene Gruppe sind. Es lassen sich mindestens drei Grundtypen unterscheiden: Es gibt jenen Zweitwohnungskäufer, der die Wohnung als Kapitalanlage erwirbt, dann jenen, der ein klassisches Vier-bis-acht-Wochen-Nutzungsmuster während der touristischen Hauptsaison verfolgt, sich aber nur begrenzt für die touristische Entwicklung der Destination interessiert. Und schliesslich gibt es den «Zweitheimischen». Er führt einen multilokalen Lebensstil, möchte sich aktiv in die Community vor Ort einbringen, sucht den Austausch und ist an Mitwirkungsprojekten interessiert. Personen dieses dritten Typus sind für die alpinen und peripheren Regionen besonders wertvoll, weil sie einen Beitrag zur lokalen und regionalen Entwicklung leisten. Das Gegenbeispiel ist jener Käufertypus, der reine Spekulation betreibt und den Immobilienmarkt mit einer kaum genutzten Wohnung weiter anheizt.

Da kann man nur hoffen, dass die «Zweitheimischen» gegenüber den Spekulanten künftig an Gewicht gewinnen. Doch wie weit verbreitet sind diese «Zweitheimischen», die sich engagieren wollen?

Hörburger: Die Realität ist: Es gibt zunehmend flexible Arbeitsformen, die es immer mehr Leuten ermöglichen, auch an ihrem Zweit- oder Drittort zu arbeiten. Das befeuert die Chance, dass die Zweitwohnungen häufiger und länger genutzt werden. Gleichzeitig reduziert diese Entwicklung auch den Siedlungsdruck auf die Städte.

Lässt sich dieser Prozess auch in Zermatt beobachten?

Lauber: Es ist vor allem in den Corona-Zeiten aufgefallen, dass viele Zweitwohnungsbesitzende eine intensivere Nutzung der Wohnung beantragt haben. Das hat neue Konflikte gebracht, etwa bei den sogenannten «qualifiziert touristischen Wohnungen», die eben streng an eine gewerbsmässige Vermietung zu Ferien- und Erholungszwecken gebunden sind und von den Zweitwohnungsbesitzern nicht als Homeoffice genutzt werden dürfen. Für die «Zweitheimischen», die in ihrer Zweitwohnung wohnen und dort auch arbeiten möchten, gibt es noch keinen rechtlichen Status, der diese Art von Nutzung erlauben würde. Ohnehin ist der Lebensmittelpunkt bei den meisten letztlich doch nicht in den Bergen, sondern an ihrem ursprünglichen Wohnort in der Stadt.

Summermatter: Es ist klar, dass sich die «Zweitheimischen» natürlich nur dort politisch engagieren können, wo sie die Schriften haben. Dennoch sehe ich im Austausch mit unseren lokalen Organisationen, dass sich eine klare Entwicklung abzeichnet. Vor allem die Jüngeren sind durch die Digitalisierung nicht länger an einen einzigen Ort zum Wohnen oder Arbeiten gebunden. Der Austausch zwischen «Zweit-» und Einheimischen ist für beide Parteien befruchtend. Die «Zweitheimischen» bringen die städtischen Gedanken in die Bergdörfer, gleichzeitig ist für sie die Begegnung mit der Welt der Einheimischen eine grosse Bereicherung. Selbstverständlich verläuft dieser Austausch nicht immer konfliktfrei. Aber letztlich können beide Parteien davon nur profitieren. Eine wichtige Voraussetzung ist aber, dass die «Zweitheimischen» die Initiative ergreifen. Sie müssen selbst aktiv werden, wenn sie an ihrem Zweitwohnsitz am gesellschaft­lichen, wirtschaftlichen und politischen Leben stärker partizipieren möchten (vgl. «Haslibergs Zweitheimische»).

Heinrich Summermatter Lenk © regiosuisse

Lauber: Es gibt einen handfesten und vielerorts ungelösten Konflikt, der damit beginnt, dass sich Zweitwohnungsbesitzende auf den altrechtlichen Wohnungsmarkt stürzen, das Angebot an Erstwohnungsraum für die Einheimischen verknappen und die Immobilienpreise derart anheizen, dass die Erstwohnungen unerschwinglich werden. Die Folge ist, dass sich viele Einheimische gezwungen sehen, eine Wohnung ausserhalb der teuren Tourismusdestinationen zu suchen. Dieser Konflikt löst bei vielen Einheimischen grossen Unmut aus über die Zweitwohnungsbesitzenden, die ihnen, wie wir auch hier in Zermatt immer wieder hören, angeblich den Wohnraum rauben.

Hörburger: Das ist der sogenannte «Donut-Effekt», die Verdrängung von Einheimischen an den Rand eines Ortes. Wir haben die Umwandlung altrechtlicher Wohnungen zu Zweitwohnungen anhand der Gemeinde Arosa GR exem­plarisch analysiert. Wir haben festgestellt, dass die Umwandlung von Erst- zu Zweitwohnungen dort nicht stark ausgeprägt ist. Es gibt aber Gemeinden wie Celerina GR, die ein kommunales Zweitwohnungsgesetz erlassen haben, um Fehlentwicklungen einzudämmen. Das ist eine Nachjustierung, die es auch in anderen Gemeinden braucht. Darüber hinaus bleibt die Unterbringung von Hotelpersonal und Saisonarbeitenden in den grossen Tourismusdestinationen ein Riesenthema. Hier sind neue Wege im Bereich von öffentlich-privaten Partnerschaften gefragt.

Lauber: Tatsächlich geht in Zermatt jeweils im Spätherbst, vor Beginn der Wintersaison, wenn die ständige Wohnbevölkerung innerhalb weniger Wochen von 5700 auf 7500 Einwohner und Beschäftigte hochschnellt, ein riesiger Run los. Für alle Beschäftigten eine Wohnung zu finden, die auch noch bezahlbar ist, ist eine unglaubliche Herausforderung, zumal die Löhne im Tourismussektor bei den meisten nicht für eine teure Miete ausreichen.

Das Zweitwohnungsgesetz ist noch jung, doch scheinen einige Aspekte bereits revisionsbedürftig. Wo sehen Sie die wichtigsten Baustellen auf Gesetzesebene?

Lauber: Ich wünsche mir generell ein Gesetz, das flexibler ist und kommunale und regionale Besonderheiten stärker berücksichtigt. In Zermatt haben wir nicht die gleichen Probleme mit Zweitwohnungen wie die Gemeinde Bellwald im Goms. Diese ist mit Zweitwohnungschalets geradezu übersät, derweil in Zermatt die Hotellerie weitaus wichtiger ist als das Zweitwohnungssegment. In Zermatt kommen die Zweitwohnungen bei den Logiernächten auf einen Anteil von 22 Prozent beziehungsweise auf 39 Prozent, wenn wir die Logiernächte in den Zweitwohnungen dazurechnen, die im Besitz von Einheimischen sind.

Hörburger: Das von Frau Lauber eingeforderte rechtliche Augenmass ist absolut wichtig. Doch auch auf der tourismuswirtschaftlichen Seite muss sich etwas tun. Wir müssen Zweitwohnungsbesitzenden zusätzliche Alternativen aufzeigen können. Ein leidiges Thema ist häufig das Stockwerkeigentum, das man rechtlich besser lösen könnte. Auch möchte ich nochmals auf den unbeliebten Begriff der kalten Betten hinweisen. In manchen Gemeinden gibt es ungenutzte Wohnungen, deren Unterhalt aus irgendeiner Vermögensmasse bestritten wird, bei denen aber nicht klar ist, wer eigentlich der Eigentümer ist. Vielleicht ist er im Ausland verstorben, und die Erben sind seit Jahren nicht mehr aufgetaucht. Wir müssen Wege finden, um solche Situationen zu deblockieren. Und wir müssen Modelle für die Hoteliers und andere Leistungsträger schaffen, damit sie solche Wohnungen mitbewirtschaften können, etwa Concierge-Services oder Facility-Management-Lösungen. 

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