Branchenszenarien 2060

Wie wird sich die Wirtschaftsstruktur in der Schweiz langfristig entwickeln? Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE), das Bundesamt für Energie (BFE) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) haben Szenarien für die Branchenentwicklung in der Schweiz bis 2060 erarbeiten lassen. Die Ergebnisse bilden die Grundlage für Analysen und Perspektiven, beispielsweise für die Raum- und Verkehrsentwicklung oder im Energiebereich. Nebst dem nationalen wirtschaftlichen Strukturwandel weisen die Szenarien die Entwicklung der Beschäftigung, der Wertschöpfung und den Output (Bruttoproduktionswert) nach Sektoren auch für die Kantone und die Arbeitsmarktregionen aus. Resultate der nationalen und regionalen Szenarien sowie ein Bericht mit den wichtigsten Ergebnissen finden sich auf der Website des Bundes.

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Schweizer Vorsitz der Alpenkonvention

Die Schweiz hat am 10. Dezember für die Jahre 2021 und 2022 den Vorsitz der Alpenkonvention, des internationalen Abkommens zur nachhaltigen Entwicklung der Berggebiete in allen Alpenstaaten, übernommen. Der Lead für den Vorsitz liegt beim Bundesamt für Raumentwicklung (ARE). Als roten Faden hat das ARE das Thema «Klima» gewählt. Die Schweiz wird die Präsidentschaft nutzen, um die Zusammenarbeit im Klimaschutz und in der Klimaan­passung zu stärken. Wichtig sind der Schweiz dabei auch die Themen «Alpenstädte», «Velomobilität», «nachhaltiges Bauen und Sanieren im Alpenraum» sowie «Zusammenarbeit mit Jugendlichen».

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Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030

Im November hat der Bundesrat die Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030 in die Vernehmlassung geschickt. Sie zeigt auf, wie der Bundesrat die «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung» umsetzen will. Mit ihr wird die nachhaltige Entwicklung als Anforderung für alle Politikbereiche des Bundes verankert. Besonderen Handlungs- und Abstimmungsbedarf identifiziert sie in den Bereichen «nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion», «Klima, Energie, Biodiversität» und «Chancengleichheit». Die Strategie legt zudem dar, wie die Wirtschaft, der Finanzmarkt sowie der Bereich «Bildung, Forschung und Innovation» die nachhaltige Entwicklung vorantreiben können. Nach der Vernehmlassung wird der Bundesrat einen Aktionsplan für die Jahre 2021 bis 2023 verabschieden.

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Dank Resilienz Krisen trotzen

Pirmin Schilliger

Der Schwerpunkt der Neuen Regionalpolitik (NRP) liegt zwar darauf, die wirtschaftliche Entwicklung der Regionen längerfristig zu stärken und sie bei der Bewältigung des Strukturwandels zu unterstützen. Die Krisenintervention steht nicht im Fokus. Die Corona-Krise bietet jedoch Anlass, die bisherige Strategie kritisch zu durchleuchten. Die zentrale Frage dabei: Mit welchen Massnahmen und Projekten können sich die Regionen auf künftige Schockereignisse und generell auf einschneidende Veränderungen besser vorbereiten? Was können wir dabei allenfalls vom Ausland lernen? Klar scheint: Aspekte der Resilienz sollten künftig systematisch in die Regionalpolitik einfliessen. Doch was heisst das genau?

«In den letzten Jahren ist es uns gelungen, unsere Region stark als Destination für nachhaltigen Tourismus zu positionieren. Dies kam uns – zusammen mit dem traditionell hohen Anteil an Schweizer Gästen – in der Krise sicherlich entgegen», erklärt Martina Schlapbach, Regionalentwicklerin der Regiun Engiadina Bassa/Val Müstair. Dazu beigetragen, die Auswirkungen der Krise abzufedern, hätten nicht zuletzt verschiedene NRP-Projekte, die den nachhaltigen Tourismus förderten. Ähnlich tönt es in Bezug auf die aktuelle Krisenbewältigung im Berner Oberland: Stefan Schweizer, Geschäftsführer der Regionalkonferenz Oberland Ost, ist überzeugt, dass die Region dank der NRP «insgesamt breit abgestützt reagieren konnte». Er denkt dabei ebenfalls an zahlreiche NRP-Projekte, die in jüngster Zeit realisiert worden sind und auf einen vielseitigen und abwechslungsreichen Tourismus abzielen. Allerdings wirft Schweizer die Frage auf, wie weit man sich auf eine so aussergewöhnliche Situation wie die Corona-Krise überhaupt vorbereiten kann.

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Die richtigen Schlüsse ziehen

Sollte die Pandemie schnell abklingen, sodass sich die Wirtschaft rasch wieder erholen kann, liesse sie sich als einmaliger Sonderfall abhaken. Ein Ausnahmeereignis, das nicht überinterpretiert werden sollte und aus dem keine falschen Schlüsse zu ziehen sind. Doch mit der zweiten Pandemiewelle deuten die Zeichen in eine andere Richtung: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft stehen weiterhin vor der Herausforderung, mit vereinten Kräften die Krise zu meistern und die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schäden möglichst zu begrenzen. Darüber hinaus gilt es die Auswirkungen dieses Ereignisses zügig und gründlich zu analysieren und die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Im Rahmen der NRP stellt sich die Frage, welche grundsätzlichen Schwächen die Pandemie im regionalen Wirtschaftsgefüge offengelegt hat. Dieser Aufarbeitungsprozess drängt sich speziell in jenen Regionen auf, die besonders unter den Auswirkungen der Pandemie gelitten haben. Deren Verwundbarkeit beziehungsweise Krisenexponiertheit sollte unter die Lupe genommen werden. Dabei interessiert die Beteiligten besonders, wie sich eine Region auf künftige Schocks und einschneidende Veränderungen besser vorbereiten kann. Und: Lassen sich die damit verbundenen Risiken und Gefahren bereits heute entschärfen oder vielleicht gar in Chancen umwandeln?

Eine Lösung könnte eine Regionalentwicklung bieten, die sich in Zukunft strikt an Aspekten der Resilienz ausrichtet. Doch was bedeutet dies? Der Begriff kommt von lateinisch «resilire», was so viel heisst wie «zurückspringen» oder «abprallen». «Resilienz» bezeichnet die Fähigkeit eines Systems, nach Störungen wieder in den ursprünglichen Zustand zurückzukehren. In der Psychologie ist ein resilienter Mensch gegenüber einschneidenden, schockartigen Ereignissen widerstandsfähig und bleibt auch in Krisensituationen psychisch stabil.

Seit rund zwei Jahrzehnten ist Resilienz auch Thema in der Ökonomie und der Ökologie. Genauso wie der Mensch kann auch ein komplexes System seine Strukturen und Funktionen dank laufender Anpassung selbst in heftigen Veränderungsphasen stabil und intakt halten. Es ist kein Zufall, dass der Begriff stets in Krisenzeiten Hochkonjunktur hatte und hat – während der Finanzkrise 2008, der Eurokrise 2015 oder nun in der Corona-Krise. Weltweite Vorreiter resilienzorientierter Strategien in der Raumentwicklung sind jene hundert Grossstädte, die sich 2011 dem von der Rockefeller-Stiftung initiierten internationalen Programm «Global Resilient Cities Network» angeschlossen haben. Das eigentliche Ziel seiner Bemühungen besteht darin, die Städte gegenüber klimatischen Extremereignissen und umweltbedingtem Stress resistenter zu machen.

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Ein Modell und weitere Ansätze

Das aus der Stadtplanung bekannte Konzept der Resilienz hat in jüngster Zeit in der ländlichen Regionalentwicklung Einzug gehalten. Spätestens mit der Studie der ÖAR Regionalberatung GmbH «Wie gehen Regionen mit Krisen um?» von 2010 im Auftrag des österreichischen Bundeskanzleramtes ist es in unserem östlichen Nachbarland ein Thema. Die dortigen Regionalforscher kamen zum Schluss, dass resiliente Regionen in Notsituationen einen von drei möglichen Entwicklungspfaden einschlagen: Entweder überstehen sie die Krise ohne negative Veränderungen (Entwicklungspfad 1), oder sie vermögen die negativen Veränderungen nach kurzer Zeit zu kompensieren (2) oder gar zu überkompensieren (3). Im besten Fall gehen sie also gestärkt aus der Krise hervor. Resilienz ist in diesem Sinne das heilsame Gegenmittel zur Vulnerabilität. Eine resiliente Region ist fähig, in Krisensituationen ungeahnte Selbstheilungskräfte zu mobilisieren. Sie findet auf Bedrohungen und Herausforderungen rasch die richtige Antwort. Die drei Entwicklungspfade beruhen auf sozialen, ökologischen und ökonomischen Indikatoren, die sich klar identifizieren und messen lassen: Zu ihnen zählen unter anderem Bevölkerungsentwicklung, Lebenszufriedenheit, Kulturausgaben, Umweltqualität, Risikoexposition, Wertschöpfung, Durchmischung der Betriebe, Neugründungen usw. Die ÖAR Regionalberatung GmbH hat in ihrer Studie ein umfassendes Resilienzmodell entwickelt. Der Weg zur resilienten Region führt über bewusste Steuerungs-, Gestaltungs- und Ausgleichsprozesse. Diese verknüpfen das Grundprinzip der nachhaltigen Entwicklung mit wirtschaftlicher und gesellschaft­licher Diversifizierung, Bildung und Weiterbildung, Zukunftsorientierung sowie Innovation und Fehlerkultur.

Mittlerweile gibt es neben dem Modell der ÖAR weitere Ansätze, die zeigen, wie Resilienz in den ländlichen und peripheren Räumen etabliert werden könnte. Gabi Troeger-Weiss, Leiterin des Lehrstuhls für Regionalentwicklung an der Technischen Universität Kaiserslautern, betreibt vor allem raumbezogene Risikoforschung. Sie untersucht, wie sich demografische, gesellschaftliche, soziale, klimatologische und wirtschaftliche Trends wie die Digitalisierung auf die Resilienz der Region von morgen auswirken könnten. Die «Ländliche Entwicklung Bayern» des Bundeslandes Bayern hat 2019 im Oberallgäu ein Pilotprojekt lanciert, das Anknüpfungspunkte identifizieren soll, wo die Resilienz in der Regionalentwicklung berücksichtigt werden kann. Pragmatisch geht das Thema «The Resilient Regions Association» an, die in Malmö (Schweden) eine politisch neutrale Plattform dafür geschaffen hat. Vertreterinnen und Vertreter von Hochschulen, Wirtschaft, Gemeinden, Regionen und Unternehmen treffen sich regelmässig, um unter dem Blickwinkel der Resilienz regionale Aufgaben zu lösen.

Einen inhaltlich breiteren Ansatz verfolgen Daniel Deimling und Dirk Raith. Die beiden Regionalforscher der Universität Graz propagieren eine alternative Vision regionaler Resilienz als zukunftsfähiges Paradigma regionaler Entwicklung. Diese Art von Resilienz sollte sich nicht in einer blossen Anpassung an externe Krisen und Schocks erschöpfen, sondern vielmehr transformativ angelegt sein und eine Reregionalisierung und Relokalisierung anstreben. Regionen sollten befähigt werden, auch völlig veränderten Bedingungen zu trotzen. Periphere Regionen könnten so den Teufelskreis aus Abwanderung und Verlust der Lebensgrundlagen durchbrechen.

Vulnerabilität und Resilienz
Das Konzept der Vulnerabilität (Verwundbarkeit, englisch «vulnerability») und der Resilienz hat sich seit den 1980er-Jahren zu einer zentralen Kategorie verschiedener akademischer Disziplinen entwickelt. Über das Fach «Geografie» hat es mitsamt den beiden Begriffen auch in der Raumentwicklung Einzug gehalten, vor allem im Zusammenhang mit Naturgefahren und dem Klimawandel. Der konzeptionelle Kern der Vulnerabilitäts- beziehungsweise der Resilienztheorie liegt in einem doppelten strukturellen Ansatz: Die Vulnerabilität ergibt sich aus externen Risiken, denen ein Raum oder eine Region ausgesetzt ist, sowie aus mangelnder Resilienz, also aufgrund eines Mangels an Mitteln, die drohenden Risiken zu bewältigen. Die Analyse der räumlichen und gesellschaftlichen Verwundbarkeit und Resilienz konzentriert sich folglich auf das Wechselspiel zwischen der Exposition gegenüber den Risiken und den Möglichkeiten, deren Auswirkungen im Ereignisfall möglichst ohne grösseren Schaden zu bewältigen.
 
Wisner B., Blakie P., Cannon T.: At Risk. Natural hazards, people’s vulnerability and disasters. London, 2004

Resilienz – die Zukunft nachhaltiger Regional- und Raumentwicklung

In der Schweiz ist Resilienz vor allem in der Forschung schon länger ein Thema, unterschwellig aber auch in der Umsetzung der NRP. «Viele Massnahmen der NRP zielen darauf ab, eine nachhaltige und stabilisierende Wirkung zu entfalten. Die meisten der bisher lancierten Projekte tragen zumindest zur Resilienz bei, auch wenn davon bisher kaum explizit die Rede war», erklärt Johannes Heeb, Leiter des Weiterbildungsbereichs «formation-regiosuisse». «Allerdings», unterstreicht er, «fehlte bei alldem bis jetzt der systematische Ansatz.» Das soll sich nun ändern. Mit dem Online-Weiterbildungsmodul «Resiliente Regionen entwickeln» hat formation-regiosuisse diesen Herbst das Thema konkret angepackt. Das Webinar richtete sich an sämtliche Akteurinnen und Akteure der Regionalentwicklung. Es ermöglichte ihnen, sich mit den Grundlagen der Resilienz vertraut zu machen und konkrete Handlungsansätze für die Praxis zu entwickeln. «Wir brechen die verfügbaren theoretischen Konzepte auf die Praxisebene der Regionen herunter», so Heeb. Agilität, Innovation, Team- und Projektkultur sowie Prävention werden als operative Elemente im Resilienz-Management eingesetzt. «Unser Ziel ist es», betont Heeb, «die Regionen darin zu befähigen, auf Veränderungen und Krisen stabilisierend zu reagieren und als Auslöser von Innovation und weiterer Entwicklung zu nutzen.»

Regionen resilienter zu machen, beruht demnach auf einem vielschichtigen Prozess. Ein «Resilienzbarometer», wie es das Pestel-Institut in Hannover entwickelt hat, könnte den Regionen helfen, im Streben nach Resilienz nicht blind entscheiden zu müssen. Das Instrument analysiert und misst mittels 18 Indikatoren die Verletzbarkeit/Verwundbarkeit einer Region. Es hilft abzuschätzen, wie weit eine Region im Krisenfall handlungsfähig bleibt. Ausserdem zeigt es, wie diese Handlungsfähigkeit mittels Ressourcenausstattung, Sozialkapital und Flexibilität präventiv verbessert werden kann. Das primär für Regionen in der EU entwickelte «Resilienzbarometer» könnte – auf Schweizer Verhältnisse eingestellt – auch für die NRP-Regionen ein durchaus nützliches Instrument werden.

Wie lässt sich eine Region resilienter machen?
Als Vorsorgeinstrument zielt Resilienz darauf ab, die Verwundbarkeit beziehungsweise die Krisenexposition einer Region und Klumpenrisiken zu reduzieren. Folgende Strategien tragen dazu bei:

  • Diversifizierung der Wirtschaft anstatt Monostruktur – also mehrere Branchen, unterschiedlich grosse Unternehmen, vielseitige Markt-, Arbeits- und Wohnbeziehungen.
  • Humanressourcen und Sozialkapital – hohes Bildungsniveau mit breit einsetzbaren Fachkräften, ausgewogene Bevölkerungs- und Altersstruktur.
  • Eine effiziente und aktiv gestaltete regionale Governance mit zukunftsweisenden Strategien, die auf den regionalen Stärken aufbauen.
  • Zukunftsorientierung und frühzeitiges Erkennen langfristiger Entwicklungen (wie dies im Rahmen der NRP über Regionale Entwicklungsstrategien/RES angestrebt wird, vgl. «regioS 17»).
  • Veränderungsbereitschaft, Flexibilität, Agilität, Innovationsfähigkeit, Multidisziplinarität.
  • Lern- und Kooperationsfähigkeit, dichte Kommunikationsnetze, kurze Feedbackwege, Neugierde und Offenheit.

Letztlich ist Resilienz kein Zielzustand, sondern ein Prozess, der mithilfe einer spezifischen Methodik zur nachhaltigen Entwicklung einer Region und zu einem besseren Umgang mit Krisen führt.

Modellvorhaben im Oberwallis

Pionierarbeit in dieser Hinsicht leistet das Beratungsbüro EBP in Zusammenarbeit mit der Regions- und Wirtschaftszentrum Oberwallis AG (RWO). EBP hat ein Analysetool zur räumlichen Resilienz entwickelt, das teils auf den erwähnten internationalen Konzepten (Rockefeller-Stiftung, Pestel-Institut, Deutsche Bundesanstalt für Strassenwesen usw.) beruht. Dieses wird nun im Modellvorhaben «Resiliente Bergregionen: Eigenstärken nutzen in der Region Oberwallis» erstmals in Schweizer Berggebieten getestet, und zwar in der Gemeinde Mörel-Filet und im Lötschental. «Das Analysetool beruht auf einem Fragebogen mit 10 Themenfeldern, 21 Subthemen und 80 Indikatoren, die wir nicht nur anhand von Zahlen und Statistiken, sondern auch von qualitativen Fragen an die lokalen Akteure genauer unter die Lupe nehmen», erläutert Projektleiter Christian Willi. Ziel des Modellvorhabens ist es, die Ergebnisse der Resilienzanalyse in eine Regio­nale Entwicklungsstrategie (RES) für die Oberwalliser Berggemeinden einfliessen zu lassen, die auch einen konkreten Massnahmenkatalog umfasst. Der Lead für die Analyse liegt bei EBP. Die Umsetzung der Massnahmen im Rahmen der Entwicklungsstrategie erfolgt vor allem zusammen mit der RWO und weiteren regionalen Akteurinnen und Akteuren. Das Projekt ist Teil der Modellvorhaben «Nachhaltige Raumentwicklung des Bundes 2020–2023». «Die aus diesem Pilotprojekt gewonnenen Erkenntnisse können genutzt werden, um auch in anderen Regionen eine Resilienzkultur zu etablieren», betont Willi, mit dem Ziel, dass Resilienzbewusstsein künftig systematisch in sämtliche Regionalen Entwicklungsstrategien (RES) und die entsprechenden Massnahmen und Projekte einfliesst.

© regiosuisse

Bottom-up – aus den Regionen

Die Corona-Krise hat die Verwundbarkeit der Regionen schonungslos aufgezeigt. Allerdings ist sie lediglich eines von vielen Krisen- und Bedrohungsszenarien. Umso dringender stellt sich für die Zukunft die Frage der Risikominimierung und Prävention. Martina Schlapbach von der Regiun Engiadina Bassa/Val Müstair ist überzeugt, dass grundsätzlich jede strukturschwache Region resilienter gemacht werden kann. Sie plädiert aber bei der Umsetzung für regional angepasste Lösungen. «Man sollte bedenken, dass Strukturschwäche innerhalb einer Region ganz anders wahrgenommen und definiert wird als ausserhalb. Resilienz muss folglich genau auf die Bedürfnisse der Bevölkerung abgestimmt werden.» In der Corona-Krise habe sich die aktuelle Entwicklungsstrategie jedenfalls bewährt, führt sie weiter aus. «Wir wurden darin bestärkt, den eingeschlagenen Weg in Zukunft noch stärker zu forcieren.» Es bedeutet, dass die Regiun Engiadina Bassa/Val Müstair noch gezielter auf nachhaltigen Tourismus setzen will. Zudem soll der Ausbau digitaler Infrastrukturen und virtueller Austauschplattformen die Rahmenbedingungen für flexible Arbeits-, Wohn- und Lebensmodelle weiter verbessern. «Und abgestimmt auf die Bedürfnisse der Unternehmen und der Bevölkerung wollen wir auch Experimente wagen», so Schlapbach.

Stefan Schweizer meint: «Auf die Stärkung der Handlungsmöglichkeiten einer Region in Krisensituationen hinzuarbeiten, ist immer sinnvoll.» Allerdings hat er Bedenken in Bezug auf das Verhältnis von Aufwand und Nutzen. «Ob und in welchem Umfang Resilienz strategisch entwickelt und operationell umgesetzt werden soll, muss jede Region für sich beurteilen.» 

regiosuisse-Themendossier «Resilienz in der Regionalentwicklung»
Wie können Regionen resilienter werden, um auf zukünftige Schocks besser vorbereitet zu sein und gestärkt daraus hervorzutreten? Das regiosuisse-Themendossier bietet einen Einstieg ins Thema und mögliche Ansätze für die Umsetzung in den Regionen: regiosuisse.ch/resilienz

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regiosuisse.ch/nrp – modellvorhaben.ch

Literatur

Resiliente Regionen. Zur Intelligenz regionaler Handlungssysteme. In: «Multidisziplinäre Perspektiven der Resilienzforschung», pag. 295–332. Robert Lukesch. Springer Fachmedien, Wiesbaden, 2016.

Regionale Resilienz. Zukunftsfähig Wohlstand schaffen. Dirk Raith, Daniel Deimling, Bernhard Ungericht, Eleonora Wenzel. Metropolis Verlag, 2017.

Wie gehen Regionen mit Krisen um? Eine explorative Studie über die Resilienz von Regionen. Robert Lukesch, Harald Payer, Waltraud Winkler-Rieder. Wien, 2010.

La résilience, un outil pour les territoires ? Clara Villar (Cerema) e Michel David (MEDDE/CGDD). IT-GO Rosko, 2014.

La résilience en trois actes: résistance, reset et relance.  Xavier Comtesse, Mathias Baitan.

Resilienza tra territorio e comunità, Approcci, strategie, temi e casi, Fondaziona cariplo, 21, 2015.

La resilienza territoriale: un concetto polisemico per lo sviluppo delle scienze regionali». Paolo Rizzi. Scienze Regionali, 1/2020.  

Resilienza e vulnerabilità nelle regioni europee. Paola Graziano und Paolo Rizzi. Scienze Regionali, 1/2020.

Weitere Artikel

«Das Zauberwort heisst Diversifizierung»

Wie präsentiert sich die wirtschaftliche Situation in den Zielgebieten der Neuen Regionalpolitik (NRP) nach mehr als einem halben Jahr Corona-Krise? Haben sich die Massnahmen der NRP auch in der Krise bewährt? Welche Konsequenzen ergeben sich für eine in Zukunft möglichst krisenresistente und resiliente Regionalpolitik? Im schriftlich geführten Interview mit «regioS» äussert sich Staatssekretärin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch, SECO-Direktorin, zur aktuellen Situation und zu den Perspektiven für die Weiterentwicklung der NRP.

Frau Staatssekretärin, wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Entwicklung in den Zielgebieten der NRP in diesem Jahr?

Die Corona-Krise hat in diesem Jahr in den NRP-Regionen, insbesondere in vielen Bergregionen, negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung gehabt. Das liegt daran, dass die Branchenstruktur in den Berggebieten oftmals nicht sehr diversifiziert ist. Die Abhängigkeit vom weltweit arg gebeutelten Tourismus war hier besonders problematisch.

Gilt das generell für die Tourismusregionen im Berggebiet oder gibt es da auch Unterschiede?

Es gibt auf jeden Fall Unterschiede. Ferienregionen, die traditionell stärker auf den Schweizer Markt ausgerichtet sind, wie Graubünden oder der Jura und das Drei-Seen-Land, konnten mit einem «Sommerhoch» die Einbussen aus dem ersten Halbjahr teilweise kompensieren. Gerade Destinationen, die in den letzten Jahren auf internationale Gäste gebaut hatten und davon zweifellos auch profitierten, erlebten hingegen zum Teil massive Einbussen.

© regiosuisse

Wie sieht es in anderen Regionen aus, die weniger vom Tourismus abhängig sind?

Vergleichsweise hart von der Krise getroffen wurden auch Regionen mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil von Grenzgängern an der Gesamtbeschäftigung wie der Jura und das Tessin oder NRP-Regionen, die stark von der Industrie abhängig sind. Im Kanton Jura leiden vor allem die Uhrenindustrie und die Metallindustrie unter dem Einbruch der Exportnachfrage.

Wie gut haben sich die Regionen in den Zielgebieten der NRP geschlagen in Anbetracht dessen, dass wir eine ausgesprochene Ausnahmesituation erlebten?

Bestmöglich. Erfreulich sind die Beispiele, in denen die Bevölkerung und die Unternehmen in der Krise mit neuen Ideen aufgewartet haben. Ich denke da an die Tourismusdestinationen, die ihre Angebote nach Möglichkeit ausgebaut und auf eine andere Klientel ausgerichtet haben. Für diejenigen Bevölkerungsgruppen, die ihre Arbeit vor allem im Homeoffice erledigten und dies vermehrt auch vom Feriendomizil im Berggebiet aus taten, waren neue Angebote wie zum Beispiel Co-Working-Spaces oder digitale Plattformen sehr willkommen. Als Beispiel für Letzteres kommt mir die Plattform «mehr-uri.ch» in den Sinn, die auch über die NRP finanziert wurde. Sie bietet Urner Geschäften die Möglichkeit, allfällige Kunden auf ihre Angebote aufmerksam zu machen.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung für die unmittelbare Zukunft?

Die wirtschaftliche Lage ist für alle herausfordernd und der Ausblick äusserst ungewiss. Die im Herbst angebrochene zweite Infektionswelle lässt die vom Tourismus geprägten Bergregionen, die einen Grossteil ihrer Einkünfte in den Wintermonaten generieren, erneut zittern. Wirtschaftlich steht uns ein schwieriger Winter bevor, nicht nur in den NRP-Regionen.

Waren Sie selbst dieses Jahr öfter in den Berggebieten, und was ist Ihnen dabei spontan aufgefallen? Was war anders als in früheren Jahren?

Ich war diesen Sommer viel in den Bergen unterwegs und habe viele Gäste aus anderen Landesteilen getroffen; ich denke, dass viele Schweizer ihre eigene Bergwelt entdeckt haben. Das könnte auch in Zukunft Ansporn sein, vermehrt Ferien in den hiesigen Bergen zu verbringen. Ich war auch beeindruckt von der Art und Weise, wie Berghütten ihre Schutzkonzepte umsetzten; hoffentlich bleibt weniger Gedränge in den Hütten auch in Zukunft ein Erfolgsrezept.

© regiosuisse

Wie weit haben nach Ihrer Einschätzung die Bemühungen der NRP in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass es in diesem schwierigen Jahr den Regionen nicht noch schlechter ergangen ist?

Die NRP setzt alles daran, die Regionen darin zu unterstützen, den Strukturwandel zu meistern. Sie stärkt gezielt die Innovation in ihren Zielgebieten und verbessert die Rahmenbedingungen für die Unternehmen. Die Neue Regionalpolitik hat durch die Unterstützung von Projekten massgeblich dazu beigetragen, dass zum Beispiel die Digitalisierung auch in den Berggebieten und im ländlichen Raum vorangetrieben wird.

Können Sie hier ein konkretes Beispiel nennen?

Zum Beispiel wurde über die NRP das Projekt «miaEngiadina» teilweise mitfinanziert, mit dem Ziel, im Unterengadin einen bevorzugten Rückzugs-, Inspirations- und Vernetzungsort aufzubauen, der Wissensarbeitende in die Region lockt. Dessen Grundpfeiler sind heute eine ausgezeichnete digitale Infrastruktur, verschiedene Co-Working-Spaces, Weiterbildungsangebote und eine Umgebung, die mit einem attraktiven Erholungs- und Freizeitangebot punktet.

Wurden im Rahmen der NRP aufgrund der Krise auch kurzfristige Massnahmen umgesetzt?

Die NRP ist nicht als Kriseninstrument konzipiert; gleichwohl konnte sie auch mit kurzfristigen Massnahmen zur Stärkung der regionalen Wirtschaft in der Krise beitragen. So haben zum Beispiel unsere Partner, die über die NRP unterstützten Regionalen Innovationssysteme (RIS), kurzfristig ihre etablierten Innovationscoachings in Krisencoachings umfunktioniert.

Wo hat die Corona-Krise Defizite in der Neuen Regionalpolitik offengelegt?

Die Neue Regionalpolitik ist, wie gesagt, nicht als Kriseninstrument konzipiert. Die Fördermittel wurden daher auch nur in Einzelfällen zur Bewältigung der Krise eingesetzt. So hat das Angebot, die Amortisation der NRP-Darlehen während der Krise zu stunden, den Projektträgern dringend benötigte Liquidität verschafft. In Krisenzeiten sind auch Instrumente, die auf eine mittel- bis langfristige Wirkung ausgelegt sind, sehr wichtig, weil sie Perspektiven skizzieren. Dabei werden die längerfristigen Herausforderungen aufgenommen und die aktuelle Projektförderung wird konsequent darauf ausgerichtet. Ich bin überzeugt, dass die NRP hinsichtlich der aktuellen Herausforderungen und wichtiger Themen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit gut positioniert ist.

SECO-Direktorin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch © regiosuisse

Muss das Kriterium der Krisenresistenz, das heute nicht explizit in der Regionalpolitik verankert ist, in Zukunft stärker gewichtet werden? Und wenn ja, wie?

Sie sagen richtig, «nicht explizit in der Regionalpolitik verankert ist», denn implizit spielt die Krisenresistenz bei den langfristig ausgerichteten NRP-Zielen natürlich mit. Durch Anstrengungen zur Stärkung und Diversifizierung der Wirtschaft und zur Qualifizierung der regionalen Akteure wird auch in den Zielgebieten der NRP die Voraussetzung zur erhöhten Krisenresistenz geschaffen. Bund und Kantone verfügen neben der NRP ausserdem über ein breit gefächertes Instrumentarium, das sich wesentlich besser eignet, um die Wirtschaft in Krisenzeiten gezielt zu unterstützen.

Die NRP baut ihre Förderhilfe auf dem Exportbasisansatz auf. Hat sich dieser Grundsatz in der Corona-Krise nicht als ein allzu einschränkender Faktor erwiesen?

Diese Einschätzung teile ich nicht. Der Exportbasisansatz, der einen Grundsatz der NRP bildet, geht davon aus, dass der Wohlstand und das Entwicklungspotenzial einer Region von denjenigen wirtschaftlichen Aktivitäten bestimmt werden, die Wertschöpfung durch die Exporte von Gütern und Dienstleistungen aus diesen Regionen in andere Regionen, Kantone oder auch ins Ausland generieren. So betrachtet, ist beispielsweise der Tourismus per se exportorientiert, ob es sich nun um inländische oder ausländische Gäste handelt. Er bildet deshalb auch einen der Förderschwerpunkte in der NRP. Es gibt aber durchaus auch Förderbereiche in der NRP, in denen der Exportbasisansatz als limitierender Faktor bei der Projektunterstützung wirkt.

Heisst das, der Exportbasisansatz als Grundsatz der NRP wird auf Seiten Bund hinterfragt?

Im Hinblick auf das nächste Mehrjahresprogramm 2024–2031 soll der Exportbasisansatz überprüft werden. Wir gehen diese Analyse ergebnisoffen an.

Auch die monostrukturelle Ausrichtung vieler Regionen auf den Tourismus erweist sich nun in vielen Destinationen als Klumpenrisiko: Was wäre in diesem Bereich das Rezept für die Zukunft?

Das Zauberwort heisst Diversifizierung, nur ist das leichter gesagt als getan. Der Tourismus wird in vielen Regionen in den Zielgebieten der NRP auch künftig der wichtigste Wirtschaftsfaktor bleiben. Aufgrund der Erfahrungen in diesem Jahr wird sich aber die eine oder andere Destination zum Beispiel Gedanken zur Gästestruktur machen und versuchen, diese zu diversifizieren.

© regiosuisse

Sie haben vorhin auch die Digitalisierung angesprochen. Ist sie für Regionen in den Zielgebieten der NRP eine Chance?

Eine in allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen geförderte Digitalisierung könnte das Arbeiten und Wohnen im ländlichen Raum und in den Berggebieten wieder attraktiver machen. Das würde deren Wirtschaftskraft sicherlich stärken. Die «Flucht» aus den Städten während der ersten Covid-Welle hat aufgezeigt, dass die Peripherie durchaus ihren Reiz haben kann. Wie nachhaltig dieser Corona-Effekt ist, ist jedoch schwer abzuschätzen.

Wo sehen Sie weitere Alternativen und Möglichkeiten, die NRP und die damit erfassten Regionen krisenresistenter zu machen?

Wie bereits erwähnt, kann eine Region mit möglichst diversifizierter Wirtschaft die Herausforderungen einer Krise tendenziell besser bewältigen als eine Region mit einseitig strukturierter Wirtschaft. Wobei natürlich auch eine Diversifizierung innerhalb einer Branche eine grosse Wirkung haben kann, Stichwort «vom Wintertourismus zum Ganzjahrestourismus». Die NRP unterstützt dies unter anderem durch die Beratung und das Coaching von Unternehmerinnen und Unternehmern, die Innovationen in ihren Betrieben umsetzen und neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln wollen.

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Junge Ideen für die Regionalentwicklung

Lukas Denzler

Im «Next Generation Lab» von regiosuisse entwickeln junge Erwachsene Ideen für ihre Region. Dabei werden auch neue Ansätze wie das «Design Thinking» getestet. Die ersten Erfahrungen mit diesem Format sind vielversprechend. Entscheidend ist eine gute Begleitung durch mit der Region vertraute Innovations-Coaches und Mentoren. Das Vorgehen könnte Regionen als Ideengenerator dienen. Für eine konkrete Umsetzung der Projektideen sind jedoch weitere Anstrengungen notwendig.

Die Weichenstellungen von heute formen die Zukunft, in der die nächste Generation leben wird. Doch wie lassen sich junge Erwachsene in die Zukunftsgestaltung einbeziehen – Menschen der Generation Z, die um die Jahrtausendwende geboren wurden und zu den Digital Natives gehören? regiosuisse hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen dieser Generation aktiv in die ursprünglich für April 2020 geplante Konferenz «Schweiz 2040: Regional- und Raumentwicklung von morgen – Trends, Visionen, Entwicklungsfelder» einzubeziehen. Ein eigener Workshop sollte den jungen Erwachsenen und ihren Ideen an der Konferenz eine Plattform bieten.

Junge für die Zukunft der Region gewinnen
Die Idee klingt gut. Doch wie lassen sich junge Menschen für eine Fachkonferenz zur Zukunft der Regionalentwicklung begeistern? Was manche der Organisierenden geahnt hatten, bestätigte sich. «Es war äusserst schwierig, mit diesem Thema junge Erwachsene zu erreichen», sagt Thomas Probst von regiosuisse. «Wir mussten erkennen, dass wir eigentlich über keinen Draht zu den jungen Leuten verfügen.» Dank grosser Anstrengungen und der Unterstützung durch regionale Entwicklungsträger sowie Hochschulen ist es schliesslich doch gelungen, sieben Teams für die Teilnahme an der Konferenz zu gewinnen. Das Corona-Virus machte dem Vorhaben jedoch schliesslich einen Strich durch die Rechnung.

© regiosuisse

Corona zum Trotz entschieden sich die Initiatoren, das Pilotvorhaben «Next Generation Lab» noch 2020 durchzuführen. Teams von drei bis vier jungen Erwachsenen sollten im Rahmen eines innovativen und kreativen Formats Projektideen für ihre Region entwickeln. Der Ansatz des «Design Thinking» umfasst Methoden aus dem Innovationsmanagement und der Start-up-Szene. Der Ansatz stellt die Bedürfnisse und Motivationen der Nutzenden ins Zentrum. Stichworte sind zudem: kreativ, offen, multidisziplinär. Am ersten Tag, dem sogenannten «Design Sprint», nahmen vier Teams aus der Region Prättigau/Davos, dem Thurgau, dem Ober- und dem Unterwallis teil. Jedes Team wurde von einem Innovations-Coach und einem Mentor aus der entsprechenden Region betreut. Die Teams fanden sich vor Ort in ihrer Region zusammen, während der Austausch mit den Coaches und Mentoren und die Bewertung der Projektideen durch eine Jury, bestehend aus einem Vertreter des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO), einer Vertreterin des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE) und einem Vertreter von regiosuisse, virtuell erfolgte.


Tourismusangebot und Direktvermarktung
Die Ergebnisse des ersten Tags überzeugten. Alle vier Teams hätten ihre Ideen an einem Folgetag im Rahmen eines «Deep Dive» vertiefen können. Persönliche Gründe wie neu gestartete Ausbildungen und Ortswechsel führten aber dazu, dass nur zwei Teams die Arbeit fortsetzten. Dabei entwickelten sie Geschäftsmodelle und Umsetzungspläne. Das Team aus dem Unterwallis verknüpfte seine Idee mit einem touristischen Angebot im Val d’Hérens. So sollen den Gästen mit einer Bustour die Naturschönheiten und kulturellen Besonderheiten des Tals nähergebracht werden. Die Gruppe aus Frauenfeld möchte regionale Produzenten mit Konsumenten zusammenbringen und strebt damit eine Direktvermarktung der Produkte im städtischen Umfeld sowie kurze Transportwege an.

Vlnr.: Sarah Michel, Raphael Zingg, Simon Vogel, Ina Schelling © regiosuisse

«Es war anstrengend, aber wir hatten am Schluss ein Ergebnis», sagt Simon Vogel von der Frauenfelder Gruppe. Der Ablauf sei sehr professionell gewesen, und er habe viel gelernt. Sie hätten sich überlegt, was im Kanton produziert werde. So sei die Idee entstanden, in der Stadt – über den Wochenmarkt hinaus – ein Angebot an landwirtschaftlichen Produkten aus der Region zu schaffen. «Wir wollen die Region mitgestalten», umreisst Simon Vogel die Motivation der Mitglieder seiner Gruppe. Beruflich arbeitet er als wissenschaftlicher Assistent im Bereich Elektrotechnik an der ZHAW in Winterthur und sitzt seit wenigen Monaten auch im Thurgauer Kantonsrat.
Brigitte Fürer, bis im Sommer Geschäftsführerin der Regio Frauenfeld, betreute als regionale Mentorin die Gruppe am ersten Tag. «Die Regio Frauenfeld war stets offen für Projekte mit jungen Menschen», sagt sie. Regionalentwicklung und nachhaltige Entwicklung gehörten zusammen, und das habe immer auch mit der jungen Generation zu tun. Eine Initiative wie das «Next Generation Lab» gebe neue Impulse und sei inspirierend. «Es liegt nun an der Region, die Idee aufzunehmen und weiterzuentwickeln», findet Fürer.

Sherine Seppey hat mit zwei Kolleginnen am «Next Generation Lab» teilgenommen. Sie hätten das Val d’Hérens gewählt, weil sie das Tal schon kannten. Der erste Tag sei sehr produktiv gewesen. «Die Betreuung hat geholfen, dass wir uns auf den Kern unserer Idee konzentrieren konnten», sagt die Studentin der HES-SO Valais-Wallis. Am zweiten Tag habe man die Idee konkretisiert und die Etappen für eine Realisierung skizziert. Im Anschluss daran hätten sie auch einen potenziellen Partner gefunden, der sich vorstellen könnte, ihren Vorschlag in sein touristisches Angebot zu integrieren.

Von der Idee zur Umsetzung
Die Projektidee sei realistisch, meint François Parvex, Experte für Kommunal- und Regionalentwicklung, der das Team Unterwallis in Sion betreute. «Die jungen Leute haben Ideen, sind aber nicht gewohnt, diese in einem Projekt auch umzusetzen», sagt er. Das «Next Generation Lab» hätten sie wie ein Spiel erlebt. Laut Parvex könnten Regionalentwicklerinnen und -entwickler dieses Format für Ideenwettbewerbe anwenden. Ihm schwebt eine Art «Ideengenerator» für die Regionen vor. Um die Ideen weiter zu konkretisieren und umzusetzen, bräuchte es dann ein gewisses Startkapital.

Jury-Mitglied Maria-Pia Gennaio Franscini, im Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) Mitverantwortliche für die «Modellvorhaben Nachhaltige Raumentwicklung», hat es in der Regel mit Fachleuten zu tun. Sie war denn auch neugierig, wie sich die Zusammenarbeit mit jungen Menschen gestalten würde, und meint: «Es war eindrücklich, wie engagiert die Teilnehmenden dabei gewesen sind.» Eine aktive Einbindung der Jungen und Experimente mit verschiedenen Methoden und Ansätzen könnte sie sich künftig auch bei den «Modellvorhaben Nachhaltige Raumentwicklung» vorstellen.

Sherine Seppey und François Parvex © regiosuisse

«Das ‹Next Generation Lab› ist ein sehr guter Hebel, um junge Menschen für die Entwicklung ihrer Region zu sensibilisieren», findet Sherine Seppey. Wie es mit der von ihrer Gruppe entwickelten Idee weitergeht, ist noch offen. Es hängt davon ab, was man von der jungen Generation erwarte, bilanziert Simon Vogel von der Gruppe in Frauenfeld. «Ideen zu generieren, das geht gut.» Diese mit jungen Leuten auch umzusetzen, sei hingegen wenig realistisch, denn diese seien noch in der Ausbildung oder in anderen Bereichen stark engagiert. Vielleicht lasse sich eine Idee aber im Rahmen einer bestehenden Initiative realisieren. «Unsere Idee würde sehr gut zu einem Konzept passen, wie die Stadtkaserne in Frauenfeld künftig genutzt werden könnte», ist Simon Vogel überzeugt. Judith Janker, seit September Geschäftsführerin der Regio Frauenfeld, möchte die Idee denn auch weiterentwickeln. Das aufgegriffene Thema treffe einen Nerv der Zeit. Die Idee hätte am 25-Jahre-Jubiläum der Regio Frauenfeld Ende Oktober präsentiert werden sollen. Dieses musste aufgrund der Corona-Situation jedoch auf nächsten Frühling verschoben werden.

«Sowohl in Frauenfeld als auch im Unterwallis haben die Teams in zwei Tagen aus vagen Ideen konkrete Geschäftsmodelle entwickelt. Sie haben damit weit mehr erreicht, als wir bei der Konzeption ‹Next Generation Labs› erwartet haben» sagt Thomas Probst von den Initiatoren. Nun gelte es zu prüfen, wie die Pläne in die Umsetzung gebracht werden können. Dazu brauche es neben den jungen Erwachsenen auch die erfahrenen Akteurinnen und Akteure der Regionen.

Next Generation Lab: Design your future!
In einem Labor wird getüftelt, getestet. Es werden neue Verfahren geprobt, Ideen entwickelt, Ansätze verworfen und mit Kreativität und Teamwork noch bessere Lösungen entwickelt. Genau so funktioniert auch das Next Generation Lab – ein Innovationslabor zur Ideenentwicklung. Dabei testet regiosuisse einen co-kreativen Ansatz im virtuellen Raum: regiosuisse.ch/next-generation-lab

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Die digitale Antwort der Unternehmen im Arc jurassien

Muriel Raemy

Resilienz ist das zentrale Thema des «Digital Arc Hub», eines Projekts, das in Zeiten der Pandemie aktueller ist denn je. Das im Rahmen des interkantonalen NRP-Programms «Arc jurassien» unterstützte Vorhaben zielt darauf ab, ein Diagnose-Tool zu entwickeln, mit dem KMU ihre digitale Reife beurteilen können. Die Herausforderungen sind gross. Der Einbruch des Welthandels aufgrund der Corona-Krise belastet die Wirtschaft des Arc jurassien stärker als anderswo in der Westschweiz, da das BIP im Jurabogen stark mit der Maschinen-, der Präzisionsins­trumente- und der Uhrenindustrie verbunden ist – Branchen, die sehr sensibel auf den internationalen Kontext reagieren.

Srinagar Gunasekaram, in der Küche des Restaurants «Paprika», ist Pionieranwender der Digital Arc Hub-Software.
© regiosuisse

Der 2018 ins Leben gerufene «Digital Arc Hub» vereint zahlreiche Wirtschaftsakteurinnen und -akteure der Kantone Jura und Neuenburg, des Berner Juras und des nördlichen Waadtlands. Sie alle wollen sich ein Bild von der digitalen Reife aller Unternehmen machen, unabhängig von ihrer Grösse oder ihrem Tätigkeitsbereich. Dazu wurde an der Haute École de Gestion Arc (HEG Arc) ein Selbstdia­gnose-Tool entwickelt, das sich derzeit in der Testphase befindet. Der entsprechende Fragebogen ermöglicht es, interne Prozesse, Kundenzufriedenheit und die Strategie des Geschäftsmodells zu erfassen. Die gesammelten Daten werden verwendet, um die digitale Reife der Unternehmen nach spezifischen Merkmalen abzubilden. Dies gibt Wirtschaftsverbänden und politischen Entscheidungsträgern die erforderlichen Instrumente in die Hand, um Führungs­kräfte von Unternehmen zu beraten, Ausbildungslücken zu schliessen oder auch den Austausch bewährter Praktiken zu ermög­lichen. Insgesamt bietet der «Digital Arc Hub» Coaching und gezielte Hilfeleistungen an, um Unternehmen in ihrer digitalen Entwicklung zu unterstützen.

arcjurassien.chregiosuisse.ch/nrpdigitalarchub.ch«Digital Arc Hub» in der Projektdatenbank auf regiosuisse.ch

Sie finden hier die Langfassung in Italienisch.

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Reka-Dorf Sörenberg

«regioS 08» (Dezember 2013) berichtete über die Erneuerung des ehemaligen Hapimag-Feriendorfes in Sörenberg LU durch die Schweizer Reisekasse Reka. Die NRP beteiligte sich am Projekt mit rund 1,2 Millionen Franken.

Reka-Dorf – Entwicklungsschub für Sörenberg

Das Engagement der Reka löste in Sörenberg weitere Entwicklungsprojekte aus. Sörenberg Flühli Tourismus startete eine umfassende Qualitätsoffensive, um den Ort als kinder- und familienfreundliche Destination zu positionieren. Mit gutem Erfolg: Die Zahl der Logiernächte ist kontinuierlich gestiegen. 2019 übernachteten im Familienresort 46 339 Gäste und sorgten für eine Auslastung von 70 Prozent. «Auch in diesem Jahr entwickelten sich die Übernachtungszahlen trotz Corona-Lockdown erfolgreich», sagt Damian Pfister, Leiter Reka-Ferien. Zurzeit arbeitet das Reka-Feriendorf zusammen mit den weiteren Leistungsträgern am Projekt «Abenteuer Entlebuch» für eine noch stärkere Positionierung der Destination. «Wir hoffen, vor allem in der Zwischensaison noch attraktiver zu werden», so Pfister. Das Vorhaben kostet rund eine Million Franken und wird von der NRP mit 80 000 Franken à fonds perdu unterstützt.

30 Jahre Interreg

Interreg, das grenzüberschreitende Förderinstrument der Europäischen Union, besteht nun seit 30 Jahren. Seit den Anfängen beteiligen sich daran auch Schweizer Partnerinnen und Partner. In der Jubiläumsbroschüre «30 Jahre Interreg – 30 ans d’Interreg – 30 anni di Interreg» werfen Beteiligte auf Programm-, Projekt- und Poli­tikebene aus der Schweiz und dem Ausland einen Blick zurück und nach vorne. Sie berichten über ihre Erfahrungen mit Interreg, die Bedeutung der einzelnen Programme und die Chancen, die sich für die Regionen dank der grenzüberschreitenden und transnationalen Zusammenarbeit auch in Zukunft eröffnen.

Download Jubiläumsbroschüre:
interreg.ch

Editorial

Die Covid-19-Pandemie setzt der Schweizer Wirtschaft zu, insbeson­dere dem Tourismus und der Exportindustrie, die in manchen Zielgebieten der Neuen Regionalpolitik (NRP) eine zentrale Rolle spielen. Wie haben diese Regionen die Krise bisher bewältigt? Haben ihnen Projekte und Massnahmen der NRP geholfen, in der Krise zu bestehen? Ergeben sich daraus Konsequenzen für die künftige Ausrichtung der NRP? Diesen Fragen geht die aktuelle Ausgabe von «regioS» in ihrem Schwerpunkt nach.

In einem zweiten Hintergrundartikel beleuchtet «regioS 19» das Thema der Resilienz, das mit der Corona-Krise ebenfalls in den Fokus rückt. Denn es stellt sich ja nicht nur die Frage, wie sich die Krise meistern lässt, sondern auch, was es braucht, damit Regionen widerstandsfähiger werden, Krisen trotzen oder sich zumindest schnell wieder davon erholen können. Einen Beitrag dazu leiste die Diversifizierung der Wirtschaft, meint Staatssekretärin und SECO-Direktorin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch im Interview zu den Herausforderungen der Corona-Krise. Erfolgversprechend sind auch der Einbezug der jungen Generation in die Regionalentwicklung und Bemühungen, die Unternehmen einer Region digital fit zu machen.

Zur Stärkung der Resilienz gilt es laut SECO-Direktorin Ineichen-Fleisch nebst der Diversifizierung in den Regionen insbesondere die Qualifizierung der regionalen Akteurinnen und Akteure weiter voranzutreiben. Die Unterstützung durch die NRP, unter anderem über das Wissensmanagement von regiosuisse, bleibt damit gefragt – auch im kommenden Jahr.

Gute Lektüre und schöne Festtage wünscht

Urs Steiger, Redaktor «regioS»

© regiosuisse