Regionalprodukte – stark in der Nische, mit Potenzial für weiteres Wachstum

Pirmin Schilliger & Urs Steiger

Was steckt hinter dem Erfolg der Regionalprodukte? Und wie steht es um deren Zukunftsaussichten? Diese und weitere Fragen diskutierten eine Expertin und zwei Experten am Round Table von «regioS»: Eliane Kern, Verantwortliche für Kommunikation und Events von «Feld zu Tisch», einer B2B-Vermarktungsplattform für Regionalprodukte im Raum Basel, Peter Stadelmann, Verantwortlicher für die Regionalprodukte der UNESCO-Biosphäre Entlebuch, und Urs Bolliger, Geschäftsführer und Leiter Märkte von «Culinarium», dem Trägerverein der Marke «regio garantie» in der Ostschweiz.

Steile Zuwachsraten in den letzten zehn Jahren belegen die eindrückliche Erfolgsgeschichte der Regionalprodukte. Welchen Anteil haben die Fördergefässe des Bundes wie die Neue Regionalpolitik (NRP), die Projekte Regionale Entwicklung (PRE) der Landwirtschaftspolitik oder die Tourismusförderung von Innotour?

Urs Bolliger: Die dem Verein Schweizer Regionalprodukte (VSR) angeschlossenen Marken, also auch wir von «Culinarium» in der Ostschweiz, profitieren vor allem vom Absatzförderungsprogramm des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW), das seit 2001 läuft. In den entsprechenden Projekten handelt es sich schwerpunktmässig um Marketing- und Kommunikationsmassnahmen, wobei jeweils zwischen 30 und 50 Prozent der eingesetzten Mittel vom Bund stammen.

Eliane Kern: Auch beim Aufbau von «Feld zu Tisch» ist die Unterstützung durch das BLW über das Projekt zur Regionalen Entwicklung (PRE) «Genuss aus Stadt und Land» massgebend.

Peter Stadelmann: Als Biosphäre-Reservat Entlebuch sind wir primär Teil der Pärkepolitik, für die das Bundesamt für Umwelt (BAFU) zuständig ist. Dieses unterstützt die Pärke zwar nicht bei der Produktentwicklung. Trotzdem profitieren auch wir von Bundeshilfen, und zwar über die erwähnten Fördergefässe des BLW. Besonders wichtig ist die PRE-Unterstützung beim Aufbau der «Biosphäre Markt AG» als Vermarktungsplattform für die Region. Ohne die staatliche Hilfe wäre es kaum möglich gewesen, diese Organisation auf die Beine zu stellen und auf dem Markt zu positionieren.

Peter Stadelmann © regiosuisse

Welches ist Ihre eigene, bislang grösste regionale Erfolgsgeschichte?

Eliane Kern: Wir konnten in den letzten zwei Jahren in der Region Basel ein Netzwerk aufbauen, unter anderem mit einem Format, das wir «Speed Dating» für den regionalen Direkthandel nennen. Mit diesem Format kommen Produzentinnen und Produzenten mit Abnehmerinnen und Abnehmern zusammen und lernen sich kennen, sodass die gewünschten Handelsbeziehungen beinahe automatisch entstehen. Da treffen sich etwa die Betreiber eines Lokalladens in Basel, die mit regionalen Produkten handeln, mit einer Tempeh-Produzentin in Liestal BL oder einem Produzenten von Kichererbsen in Wenslingen BL, um nur zwei Beispiele von vielen direkten Geschäftsbeziehungen zu erwähnen. Auch die runden Tische, die wir regelmässig veranstalten, um unsere Ideen und Werkzeuge weiterzuentwickeln, stossen auf grosses Interesse. Wir erfahren dabei im Gespräch mit Produzentinnen und Abnehmern von ihren unmittelbaren Bedürfnissen, etwa in Bezug auf die technischen Anforderungen, und wir können dann umso zielgerichteter handeln.

Peter Stadelmann: Aus Sicht der Biosphäre Entlebuch ist der Aufbau der Markt AG der wichtigste Meilenstein der letzten Jahre. Die Organisation ist für die Regionalproduzenten zum entscheidenden Türöffner geworden, um mit den Grossverteilern ins Geschäft zu kommen. Eine zentrale Stelle ist das A und O, um in diesem Bereich Absatz zu generieren. Die Grossverteiler möchten schliesslich nicht mit jedem Käser und jedem Metzger individuell verhandeln müssen. Die Schwelle zur Zusammenarbeit wird deutlich niedriger, wenn es dafür eine Ansprechperson für die gesamte Region gibt. Neben dieser eher organisatorischen fallen mir verschiedene weitere Erfolgsgeschichten mit einzelnen Produkten ein. Ich denke zum Beispiel an Urdinkel, mit dessen Anbau wir vor vierzehn Jahren auf Initiative eines Verarbeiters begonnen haben. Mittlerweile blüht diese Kultur in der Region, nicht zuletzt, weil alle Abnehmer – also der Müller, Bäcker, Teigwarenhersteller – und die Endverbraucherinnen und -verbraucher bereit sind, den Mehrpreis zu bezahlen, den es aufgrund der höheren Produktionskosten in unserer Höhenlage einfach braucht.

Urs Bolliger: Zentral und entscheidend für unsere Erfolgsgeschichte ist die Zusammenarbeit mit der Migros, die schon vor Jahren das Programm «Aus der Region, für die Region» lanciert hat. Wir arbeiten mit der Migros Ostschweiz seit 2003 zusammen, und ähnlich ist die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern unserer Dachorganisation im Verein Schweizer Regionalprodukte (VSR) mit den weiteren Migros-Genossenschaften in der ganzen Schweiz. Dass die Migros mit uns zusammen Regionalität definiert hat und dass die Richtlinien von allen Beteiligten respektiert werden, erachte ich als einen sehr grossen Meilenstein. Wenn man sich die Umsatzstatistiken anschaut, dann ist definitiv die Migros mit dem Programm «Aus der Region, für die Region» der eigentliche Absatztreiber.

Urs Bolliger © regiosuisse

Trotz allen Erfolgsgeschichten mussten Sie auch Lehrgeld zahlen. Wo zum Beispiel?

Urs Bolliger: Schwieriger als mit dem Detailhandel ist die Zusammenarbeit mit der Gastronomie. Die Gastronomie wurde von der ganzen Corona-Geschichte richtiggehend durchgeschüttelt. Zudem steht sie schon lange unter heftigem Preisdruck, sodass wir uns den Kopf darüber zerbrechen, wie wir mit einem vernünftigen Aufwand zusammenarbeiten könnten. Es finden sich zwar einzelne Gastrobetriebe, die länger schon intensiv mit Regionalprodukten arbeiten. Leider aber gibt es eine grosse Anzahl Betriebe, die über die Speisekarte den Anschein zu erwecken versuchen, ein bisschen auf regionale Produkte zu setzen. Sieht man genauer hin, sind die meisten Angebote auf dem Teller alles andere als regional.

Eliane Kern: Auch in der Region Basel beschäftigt uns die Frage, wie wir mit der Gastronomie besser zusammenarbeiten könnten. Viel Lehrgeld mussten wir ausserdem bei der Entwicklung der Software für unsere B2B-Plattform zahlen. Wir haben uns dies einfacher vorgestellt und gehofft, auf eine bereits bestehende Lösung zurückgreifen zu können. Mittlerweile sind wir in der Rolle, dass wir auf nationaler Ebene eine Eigenentwicklung anstossen, also eine Open-Source-Lösung, die von ähnlichen Projektträgern ebenfalls genutzt werden kann. Zu schaffen machen uns auch die Nachhaltigkeit und die vergleichsweise hohen Kosten der kleinteiligen Lebensmittellogistik.

Herr Stadelmann, wo liegen die Stolpersteine im Entlebuch?

Peter Stadelmann: Damit der Aufbau der Markt AG nicht zum Stolperstein wurde, brauchte es viele Gespräche, und wir benötigten sehr viel Feingefühl. Wir mussten zum Beispiel die Käsereien, die bisher sehr selbständig agiert und ihre eigene kleine Marke aufgebaut hatten, für unser Anliegen gewinnen. Für die einzelne Käserei bedeutete dies, dass sie einen grossen Teil der Marktverantwortung an die neue Organisation, die Markt AG, abgeben musste, die fortan die Koordination und den Verkauf übernahm. Diese Veränderung ist ein schwieriger und langwieriger Prozess, bei dem nicht alles reibungslos funktioniert. Unser einheitlicher Auftritt heisst für den einzelnen Betrieb, dass er seine eigene Unternehmensmarke zurückstellen muss. Ausserdem muss er in der Vermarktung plötzlich mit Betrieben zusammenarbeiten, die er bislang vor allem als Konkurrenten wahrgenommen hat.

Läuft es mit der Gastronomie im Entlebuch besser als etwa in der Ostschweiz oder in Basel?

Peter Stadelmann: Nein, die Gastronomie ist auch hier im Entlebuch ein hartes Brot. Der Preiskampf ist heftig, und die vielen Kleinproduzenten in unserer Region können die Nachfrage etwa bei Grossbanketten nicht immer abdecken. Ausserdem ist die Bereitschaft der Gastronomen wie auch der Gäste gering, sich beim Essen nicht nur auf Steaks und Schnitzel einzulassen, sondern auf die Verwertung des ganzen Tieres. Es braucht generell ein Umdenken, damit auch mal ein regionales Nichtedelstück auf der Menükarte landet.


Eliane Kern: Die Preissensitivität ist in der Gastrobranche tatsächlich ausschlaggebend dafür, wo die Lebensmittel letztlich eingekauft werden. Hinzu kommen Kriterien wie Praktikabilität und Effizienz des Marktplatzes. Wie sind die Lieferzyklen? Wie lange dauert es von der Bestellung bis zur Anlieferung? Wie ist die Verfügbarkeit des Angebotes? Wie zuverlässig und effizient funktioniert die Lieferkette? Wir können auf unserem B2B-Marktplatz zwar einiges gewährleisten, müssen aber einräumen, dass gewisse Herausforderungen von einem grösseren Handelsbetrieb einfacher zu bewältigen sind als von einer kleinteiligen Logistik.

Eliane Kern © regiosuisse

Gibt es für diese Fälle überhaupt vernünftige Lösungsansätze?

Urs Bolliger: Man muss die Relationen im Auge behalten. Regionalprodukte werden in den Medien zwar gehypt, aber Gäste, die im Restaurant explizit danach fragen, bleiben eine Minderheit. Wir sprechen von einem Marktanteil zwischen 5 und 10 Prozent, den die Regionalprodukte über alle Verkaufskanäle hinweg insgesamt besetzen. Ein ähnliches Phänomen habe ich schon mehrere Male erlebt beim «Bio». Wenn man den Durchschnittskonsumenten fragt: «Was denkt ihr, wie hoch ist mittlerweile der Anteil Bio am Verkauf?», lautet die Antwort: «Sicher 50 Prozent.» Tatsächlich liegt der Marktanteil von Bio-Produkten zwischen 15 und 18 Prozent. Die Wahrnehmung des Konsumenten entspricht nicht seinem tatsächlichen Konsumverhalten. Das fällt mir besonders auf, wenn ich mit Metzgereien rede, die auch ein Catering betreiben. Beim Catering scheint es zwar erwünscht, Regionalprodukte im Angebot zu haben. Aber kaum jemand ist bereit, Regionalität explizit einzufordern. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir mit Regionalität eine Nische besetzen. Der Lösungsansatz müsste sein, dass wir uns auf diese Nische fokussieren und dort versuchen, erfolgreich zu arbeiten mit zuverlässig funktionierenden Konzepten. Wir können aber nicht erwarten, dass die Bäume in den Himmel wachsen.

Regionalprodukte haben also nur geringe Chancen auf dem Massenmarkt?

Urs Bolliger: Die gute Zusammenarbeit mit der Migros zeigt, dass wir im Detailhandel durchaus mit Klasse und Masse punkten können. Wir sprechen hier von rund 1 Milliarde Franken, die die Migros mittlerweile jährlich über den Kanal «Aus der Region, für die Region» umsetzt. Darüber hinaus arbeiten wir mit weiteren Detailhändlern zusammen. Jüngstes Beispiel ist Aldi Suisse mit der Marke «Saveur Suisse». Aktuell sind wir mit weiteren Detailhändlern im Gespräch, und es zeichnen sich weitere Absatzmöglichkeiten in anderen Bereichen ab. So haben die SBB die Bewirtschaftung ihrer rund 4000 Automaten in diesem Jahr neu ausgeschrieben mit der Bedingung, dass mindestens 10 Prozent der Artikel Regionalprodukte sein müssen. Das hat dazu geführt, dass uns ein grosser Automatenbetreiber kontaktiert hat, der nun von den SBB für die nächsten Jahre den Zuschlag erhalten hat. Es gibt also weitere Absatzkanäle, über die noch mehr echte Regionalität zum Konsumenten fliessen kann.

Frau Kern, wie beurteilen Sie die Möglichkeiten, in einen breiteren Markt vorstossen zu können?

Eliane Kern: Wir suchen derzeit sehr gezielt den Kontakt mit der Gemeinschaftsgastronomie. Ob uns die gewünschte Absatzerhöhung in diesem Segment gelingen wird, hängt jedoch vom Ausbau unserer Produktionsinfrastruktur ab. Gefragt sind in diesem Fall vorgerüstete Produkte mit einem höheren Convenience-Grad. Wir gehen bei der Umsetzung schrittweise vor und versuchen mittels Marktanalysen herauszufinden, was wirklich funktionieren kann.

Wie kommt die Biosphäre Entlebuch in diesen breiteren Markt?

Peter Stadelmann: Hätten wir das Rezept, mit Regionalprodukten den Massenmarkt zu erobern, würde ich es nicht verraten. Letztlich ist unsere Arbeit ein stetes Strampeln mit kleinen Projekten. Der Kanton Luzern als bisher tierintensiver Kanton startet neuerdings eine Bio-Kampagne und eine Offensive für Spezialkulturen. Hier suchen wir aktuell die Zusammenarbeit, allerdings im Bewusstsein, dass wir uns auch in diesem Bereich in einem Verdrängungskampf befinden. Aus meiner Sicht ist es entscheidend, dass man die speziellen Produkte, die eine Region zu bieten hat, auf dem Markt an richtiger Stelle zu platzieren versucht. Wir im Entlebuch sind ein Grasland, Bergzone 1 und höher – da unterliegen wir bezüglich Vielfalt und Produktivität starken Einschränkungen. Umso wichtiger scheint mir das Denken in Richtung von noch mehr Qualität statt Quantität. Wir müssen uns mit unseren Regionalprodukten so abheben, dass wir in jeder Beziehung einzigartig sind.

Konsumentinnen und Konsumenten stellen sich unter «regional» kurze Wege, Nachhaltigkeit, gesunde Produkte und oft auch «Bio» vor. Können die Produzentinnen und Produzenten diese Erwartungen erfüllen?

Urs Bolliger: Laut Umfragen erwarten die Konsumentinnen und Konsumenten vom Regionalprodukt nicht zwingend auch «Bio». Jedoch ist es eine Tatsache, dass der Konsument manchmal zu viele positive Argumente in die Regionalprodukte hineininterpretiert. Grundsätzlich geniessen Regionalprodukte ein sehr hohes Vertrauen, was uns zu höchster Sorgfalt verpflichtet. Massgebend für die Qualitätskriterien aller «regio.garantie»-Produkte ist der sogenannte ökologische Leistungsnachweis (ÖLN), wie er in den Richtlinien für die Regionalmarken im Detail festgehalten ist.

Eliane Kern: Wir stellen fest, dass gewisse regionale Produkte national herumspediert werden. Das muss nicht unbedingt heissen, dass diese Produkte weniger nachhaltig sind, denn in einer CO2-Bilanz fallen andere Kriterien wie Kühllager viel stärker ins Gewicht als die gefahrenen Kilometer. Trotzdem arbeiten wir daran, uns bezüglich Nachhaltigkeit in sämtlichen Bereichen zu verbessern. Das ist und bleibt eine grosse Herausforderung, die einen Systemwechsel erfordert, der nicht einfach so über Nacht passieren wird.

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