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Regio Retica: Der Alpenring, der Schweizer und Italiener verbindet

Von der Engadiner Bergwelt bis ins italienische Veltlin: Wer hier lebt, überquert die Staatsgrenze fast täglich, sei es auf dem Weg zur Arbeit, beim Einkaufen oder beim Austausch von Dienstleistungen. Regio Retica kann man sich wie einen grossen Ring in den Alpen vorstellen, in dem alles zusammenhängt: Was auf der einen Seite geschieht, wirkt sich direkt auf die andere aus. Die Region umfasst mehr als 4000 km² und knapp 200 000 Einwohnerinnen und Einwohner – verteilt auf die Schweizer und die italienische Seite. Mit Regio Retica entsteht ein Zukunftsmodell: eine Region, die über die Grenze hinweg gemeinsam denkt und handelt.

Viele pendeln, andere sind auf Gesundheits- und Pflegedienste jenseits der Grenze angewiesen, und auch im Tourismus gibt es unzählige Berührungspunkte zwischen der Schweizer und der italienischen Seite. Maurizio Michael, seit über 20 Jahren in grenzübergreifenden Projekten aktiv, bringt es auf den Punkt: «Ohne die italienischen Arbeitskräfte, gerade im Pflegebereich, könnten gewisse Dienstleistungen in der Schweiz nicht aufrechterhalten werden.» Die Grenze ist zwar sichtbar – der permanente Austausch und die enge Zusammenarbeit aber längst Teil des Alltags. Regio Retica will diese Realität nun institutionalisieren.

Von Projekten zu Strukturen 

Bisher lebte die grenzüberschreitende Zusammenarbeit stark von einzelnen Projekten – und von engagierten Personen. Mit Regio Retica soll daraus nun eine dauerhafte Struktur werden. Die Basis dafür sind das Programm Interreg Italia-Svizzera und die Neue Regionalpolitik (NRP). Interreg ist ein europäisches Förderinstrument für grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Wie Maurizio Michael betont, hat die Schweiz hier eine besondere Rolle: Sie ist zwar nicht EU-Mitglied, beteiligt sich aber mit eigenen Mitteln am Programm.

Während Interreg den Rahmen für die grenzübergreifende Zusammenarbeit schafft, gibt die NRP den entscheidenden Schub, damit deren Ergebnisse in den Regionen selber verankert werden. Maurizio Michael erklärt: «Interreg öffnet uns Türen für die Zusammenarbeit mit Italien. Die NRP zwingt uns zugleich, den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mehrwert für die Schweizer Seite klar herauszuarbeiten.» Interreg sorgt für den Blick über die Grenze, die NRP dafür, dass daraus bleibende Strukturen entstehen – mit Wirkung für Bevölkerung und Wirtschaft.

Val Morteratsch: Sicht auf Piz Palü & Piz Bernina ©Andrea Furger

Zwischen Nähe und Unterschieden – die Rolle von Übersetzern

Auf den ersten Blick wirken Südbünden und das Veltlin vertraut: gemeinsame Sprache, ähnliche Traditionen. Und doch gibt es markante Unterschiede bei den politischen Systemen, bei den Bildungswegen, aber auch ganz einfach bei unterschiedlichen Bedeutungen von Worten. Maurizio Michael beschreibt es so: «Manchmal genügt schon ein einziges Wort, das in Italien etwas anderes bedeutet als in der Schweiz. Das Wort Strategie wird zum Beispiel in Italien oft «mit einem Zeitraum von fünf Jahren gleichgesetzt» – so lang wie eine Legislaturperiode dauert. Für die Schweiz ist eine Strategie die Grundlage eines Projektes. Da braucht es Vermittlung – nicht nur in der Sprache, sondern auch im kulturellen Verständnis.»

Auch unterschiedliche Steuersysteme und Abkommen sind zusätzliche Hürden für Projekte über die Grenze hinweg – oft ebenso anspruchsvoll wie kulturelle Unterschiede. Hier setzt das Projekt Regio Retica ein: Es bringt Nachbarn an einen Tisch, macht Unterschiede sichtbar, vermittelt und schafft dadurch neues Vertrauen.

Corvatsch: Aussicht Fuorcla Surlej ©Engadin Tourismus AG

Der Blick nach vorn

Bis Sommer 2025 läuft eine grosse sozioökonomische Analyse. Sie untersucht Mobilität, Arbeitsmarkt und Dienstleistungen auf beiden Seiten der Grenze. Darauf aufbauend sollen bis 2026 erste Pilotprojekte starten – etwa ein gemeinsames Busticket, das die grenzüberschreitende Mobilität erleichtern soll, oder eine Tourismuskarte, die Angebote im Engadin und im Veltlin verbindet. Bis 2027 soll Regio Retica nicht nur Projekte umgesetzt haben, sondern auch als juristisch anerkannte grenzüberschreitende Region bestehen. Konkret bedeutet das, dass sie als institutionelle Region mit rechtlich verbindlicher Struktur etabliert wird.

Ein Blick in andere Regionen zeigt, was möglich ist. Das erfolgreiche Interreg-Projekt Via Spluga, ein Klassiker unter den Kultur- und Weitwanderwegen zwischen Thusis und Chiavenna, generiert beispielsweise inzwischen jährlich etwa eine Million Schweizer Franken Umsatz. Das Projekt wurde von Anfang an im Sinne einer aktiven Regionalentwicklung gestaltet, in dem Gemeinden, Tourismusorganisationen und Kulturinstitutionen ein nachhaltiges Angebot erarbeitet haben. Die Route ist somit nicht nur ein kulturelles und touristisches Highlight, sondern auch ein Instrument zur Sicherung von Arbeitsplätzen, Förderung regionaler Identität und Stärkung der regionalen Wertschöpfung.

Dieser Beitrag basiert auf einem Gespräch mit Maurizio Michael, seit über 20 Jahren Experte für grenzüberschreitende Zusammenarbeit und einer der Köpfe hinter dem Projekt Regio Retica

Mehr erfahren über Interreg & NRP – und wie diese Programme Regionen helfen, ihre Zukunft gemeinsam zu gestalten:

Weitere Quellen: