Podcast: «Ticino a Te» – regionale Wertschöpfung für heute und morgen

Ende 2024 wurde das Tessin für seine starke regionale Wertschöpfungskette mit dem «Cercle régional» geehrt. Zur Auszeichnung verhalf ihm die erfolgreiche Verankerung von Regionalprodukten in der lokalen Gastronomie und Hotellerie, namentlich mit den Projekten «Ticino a Te» und «Ticino a Tavola». Sibilla Quadri, Geschäftsleiterin des Tessiner Zentrums für Agrar- und Lebensmittelkompetenzen, stellt die Projekte im Podcast «Region am Mikrofon» vor. Sie spricht darüber, wieso es so wichtig ist, alle Beteiligten an einen Tisch zu holen, und wie Projekte von bereits bestehenden Ressourcen und Erfahrungen profitieren können.

«Wir sind das Bindeglied in der Wertschöpfungskette für Tessiner Lebensmittel.»

Alle Akteurinnen und Akteure an einem Tisch

Seit 2016 setzt sich «Ticino a Te» («das Tessin für dich») für die sektorenübergreifende Zusammenarbeit von Akteurinnen und Akteuren aus Tessiner Landwirtschaft, Lebensmittelverwertung, Gastronomie und Hotellerie ein. Die Projektverantwortliche Sibilla Quadri betont, wie wertvoll diese Vernetzung für alle Beteiligten ist: «Wir schaffen Sichtbarkeit für lokale Produzentinnen und Produzenten, dank der sie eine breitere Kundschaft ansprechen können. Konsumentinnen und Konsumenten können über unser Netzwerk herausfinden, welche Produkte von wem in ihrer Region produziert werden.»

Im Rahmen von «Ticino a Te» laufen verschiedene Initiativen, darunter auch «Ticino a Tavola» («das Tessin bei Tisch»), eine Initiative von GastroTicino und dem Tessiner Bauernverband. Dabei handelt es sich um eine Zusammenarbeit mit 103 Tessiner Gastronomiebetrieben. Die beteiligten Betriebe verpflichten sich, dass auf ihrer Speisekarte immer mindestens ein Menü mit drei Gängen oder vier einzelne Gerichte zu 60 Prozent aus Tessiner Produkten bestehen und dass Tessiner Weine mindestens 40 Prozent ihrer Weinkarte ausmachen. Im Rahmen von «Ticino a Tavola» werden jährlich 400’000 Gerichte aufgetischt. Das generiert 3,5 Millionen Franken, von denen ein Grossteil zurück an die Tessiner Landwirtschaft und Lebensmittelverwertung fliesst.

«Wer die Herkunft eines Produkts kennt, weiss es besser zu schätzen.»

Mehr als nur eine Frage des Preises

Auf die Frage, ob regionale Produkte preislich mit industriellen Produkten mithalten können, antwortet Quadri: «Wenn ein industrielles Produkt unter denselben Bedingungen produziert wurde, wie ein lokales, dann sind die Preise oft vergleichbar – ich denke da zum Beispiel an die tierfreundliche Haltung von Hühnern oder die Bezahlung der Arbeitenden. Aber sehr oft werden Produkte gegenübergestellt, die unter ganz anderen Bedingungen produziert wurden. Ich finde nicht, dass sie sich so vergleichen lassen.»

Um auf diese Unterschiede in der Produktion hinzuweisen, ist eine wichtige Aufgabe von «Ticino a Te» die Aufklärung: In Zusammenarbeit mit 90 Schulmensen setzt sich «Ticino a Te» dafür ein, dass bei Schülerinnen und Schülern Regionales auf dem Teller landet. «Es ist wichtig, dass Kinder den Wert von regionalen Produkten zu schätzen lernen, schliesslich sind sie die Kundschaft von morgen», so Quadri. Auch Stadtbewohnerinnen und -bewohner werden im Rahmen des Projekts über die Herkunft ihrer Lebensmittel aufgeklärt. «Wer die Herkunft eines Produkts kennt, weiss es besser zu schätzen», meint Quadri.

Langfristig Wirkung erzielen

Dass der Tessiner Beitrag zur regionalen Wertschöpfungskette gleich mehrfach ausgezeichnet wurde, ist kein Zufall: Die Jury für den «Cercle régional» lobte insbesondere das Herzblut, das in «Ticino a Te» steckt und zeigte sich beeindruckt davon, wie viel das Projekt auch mit limitierten finanziellen Mitteln bewirken konnte. Neben kantonalen Geldern erhielt «Ticino a Te» zu Beginn auch NRP-Fördermittel des Bundes. Ab dem fünften Jahr wurde das Tessiner Zentrum für Agrar- und Lebensmittelkompetenzen nur noch vom Kanton Tessin finanziert.

Stefano Rizzi, Direktor der Abteilung Wirtschaft des Kantons Tessin erklärt: «Wir haben das Tessiner Zentrum für Agrar- und Lebensmittelkompetenzen als Pilotprojekt mit der regionalen Wirtschaftspolitik unterstützt. Ziel war die Vernetzung aller Akteurinnen und Akteure in der Region, um die Entwicklung innovativer Projekte zu fördern, die den Reichtum der Tessiner Agrar- und Ernährungswirtschaft aufwerten können. Angesichts der positiven Auswirkungen – auch auf die Wettbewerbsfähigkeit des Primärsektors – beschloss der Kanton, die Initiative gemäss dem kantonalen Landwirtschaftsgesetz mit einem wiederkehrenden Beitrag zu unterstützen.»

Quadri betont, wie wichtig die Unterstützung zu Beginn war: «Dank den Geldern der NRP und des Kantons konnte das Projekt überhaupt auf die Beine gestellt werden. Uns ist es wichtig, dass unsere Arbeit dem Tessin langfristig weiterhilft – dafür braucht es viel Arbeit und nicht zuletzt finanzielle Ressourcen».

Das Tessiner Zentrum für Agrar- und Lebensmittelkompetenzen (CCAT) verwaltet, betreut und entwickelt Projekte im Agrar- und Ernährungssektor. Es verfügt über ein starkes Netzwerk von Kontakten und schafft Synergien zwischen Projekten. Durch die Erfahrungen, die im Rahmen der Entwicklung von «Ticino a Te» und die Zusammenarbeit mit dem Gastronomiesektor gewonnen wurden, ist es ein starker Partner für weitere Projekte der Regionalen Entwicklung, insbesondere PRE.

Fotos: Tessiner Zentrum für Agrar- und Lebensmittelkompetenzen (CCAT) 

RiCoNET – das Wallis und das Piemont denken Raumnutzung neu

In vielen Regionen stehen Räume und Gebäude leer oder werden nur sehr limitiert genutzt. Das Interreg-Projekt «Räumliche Regeneration und Kooperation für die grenzüberschreitende Governance» (RiCoNET) hat sich zum Ziel gesetzt, das Potenzial solcher unterbenutzten Räumlichkeiten zu analysieren und herauszufinden, wie es voll ausgeschöpft werden kann. Die schweizerisch-italienische Zusammenarbeit geht die Raumneunutzung gemeinsam an und gibt Impulse für andere Regionen.

Im Interview gibt Cristina Saviozzi, Co-Projektleiterin auf Schweizer Seite und Forscherin am Institut für Tourismus der HES-SO in Sion, Einblicke in die Herausforderungen und Erfolge des Projekts und erklärt, wieso das Neudenken von Räumen und Gebäuden uns in der Zukunft immer mehr beschäftigen wird.

Frau Saviozzi, welche Ziele verfolgten Sie mit dem Projekt RiCoNET?

RiCoNET setzte sich mit der Revitalisierung unterbenutzter Räumlichkeiten in den schweizerisch-italienischen Grenzgebieten im Wallis und im Piemont auseinander. Dafür haben wir verglichen, welche Methoden in beiden Ländern zur Anwendung kommen. Ausserdem haben wir Workshops und Schulungen zur Thematik angeboten.

Wer war daran beteiligt?

Das Projekt wurde auf Schweizer Seite von der HES-SO und auf italienischer Seite von der Universität Ostpiemont geleitet. Es fand in enger Zusammenarbeit mit der italienischen Stadt Biella und mit den Walliser Gemeinden Riddes und Isérables statt. Die Schweizer Projektpartner wurden über Interreg-Mittel der Neuen Regionalpolitik unterstützt, die italienischen Partner über Interreg-Gelder der EU. Ohne diese Unterstützung wäre ein Projekt dieser Grösse nie zustande gekommen

RiCoNET wurde offiziell 2023 abgeschlossen. Ist das Projekt heute trotzdem noch relevant?

Unbedingt! Unterbenutzte Räumlichkeiten gibt es überall. Biella ist eine Stadt, Riddes und Isérables sind kleine Berggemeinden und doch verbindet die Thematik alle drei. Mit dem gesellschaftlichen Wandel ändern sich die Bedürfnisse in den Regionen und immer mehr Räumlichkeiten verlieren ihren ursprünglichen Nutzen.

Das zeigte zum Beispiel unser Workshop in Isérables: Die traditionellen Agrarpraktiken in Berggebieten haben sich – nicht zuletzt durch den Klimawandel – verändert und viele der Getreidespeicher stehen heute leer. Im Workshop haben wir Ideen dafür entwickelt, wie sie ihren Gemeinden trotzdem einen Mehrwert bieten können – als Kulturstätten, Tourismusattraktionen oder als Mehrzweckräume.

Auf unserer Webseite stellen wir auch weiterhin die Ressourcen zur Verfügung, die wir an unseren Workshops erarbeitet und an unseren Schulungen geteilt haben. RiCoNET ist in diesem Sinne weiterhin aktiv und relevant.

Können Sie die Massnahmen, die im Rahmen von RiCoNET stattgefunden haben, genauer beschreiben?

Wir haben mit den Studierenden beider Hochschulen Workshops durchgeführt, an denen wir unterbenutzte Räumlichkeiten in den Partnergemeinden besuchten und Neunutzungsmöglichkeiten dafür andachten. Für ein leerstehendes Industriegebäude in Biella entwickelten wir zum Beispiel einen Ansatz, wie es neu für kulturelle Anlässe und für öffentliche Zusammenkünfte verwendet werden könnte. Ausserdem haben wir das «Living Lab RiCoNET» ins Leben gerufen – eine Wissens- und Austauschplattform für Methoden und Ideen zur Umfunktionierung ungenutzter Räumlichkeiten.

An wen richtet sich die Wissens- und Austauschplattform?

Living Lab RiCoNET ermöglicht den Austausch zwischen verschiedenen Zielgruppen. Bürgerinnen und Bürger können untergenutzte Räume identifizieren und Ideen für deren Neunutzung vorschlagen.

Die Plattform richtet sich auch an die öffentliche Verwaltung, indem ihr Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, mit denen sie die vorübergehende Neunutzung ungenutzter Räumlichkeiten angehen kann.

Schliesslich begrüsst die Plattform auch Fachleute aus der Stadtplanung und Architektur, die auf Grundlage der Diskussionen im Living Lab Ideen austauschen und Erneuerungsprojekte in Betracht ziehen können.

Sie haben erwähnt, dass es sich bei RiCoNET um eine Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Italien handelt. Wie hat sich die Zusammenarbeit gestaltet?

Die Thematik beschäftigt beide Länder. Durch die enge Zusammenarbeit konnten wir unser Wissen austauschen und vereinen. Wir konnten Wirtschaftsstudierende aus Italien und Tourismusstudierende aus der Schweiz für Diskussionsrunden zusammenbringen. Da unsere drei Partnergemeinden sich geografisch und demografisch stark unterscheiden, konnten wir die Raumentwicklung in einem breiten Spektrum andenken.

Was war besonders schwierig?

Covid hat uns dazu gezwungen, Schulungen online statt vor Ort abzuhalten. Wir mussten uns ausserdem intensiv mit den Rechtstexten beider Länder auseinandersetzen, da es keine nationalen oder internationalen Gesetze zur temporellen Umfunktionierung von Räumlichkeiten gibt, sondern nur Verordnungen auf Gemeindeniveau.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Auf die drei Toolkits, die aus unseren Workshops entstanden sind und die wir der öffentlichen Verwaltung und anderen Interessentinnen und Interessenten zur Verfügung stellen! Sie sind das greifbare Resultat unserer Arbeit. Auf einem abstrakteren Niveau die Tatsache, dass wir Studierende aus zwei Ländern mit unterschiedlichen Studiengängen zusammenbringen konnten. Von diesem Austausch haben wir alle profitiert. Nicht zuletzt arbeiten wir bereits an einem neuen Projekt. Es beschäftigt sich ebenfalls mit der Umfunktionierung von leerstehenden Räumlichkeiten zu Multifunktionsflächen, von denen Gemeinden profitieren können.

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Fotos: RiCoNET